
Vor dem „Derbi madrileño“ hinkt Atlético den eigenen Ansprüchen und den eigenen Investitionen hinterher. Auch auf Vereinslegende Diego Simeone wächst der Druck.
Vor dem „Derbi madrileño“ am Samstag (27.09.2025, 16.15 Uhr, Live-Ticker bei sportschau.de und Zusammenfassung in der Sportschau ab 18 Uhr) hinkt Atlético den eigenen Ansprüchen und den eigenen Investitionen hinterher. Auch auf Vereinslegende Diego Simeone wächst der Druck.
Die Planer von La Liga haben es in dieser Saison eigentlich gut mit Atlético gemeint. Der erste Kracher wurde erst für den siebten Spieltag vorgesehen, davor hießen die Gegner Espanyol, Elche, Alavés, Villarreal, Mallorca und Vallecano. Das klingt ein wenig nach Warmspielphase für den Showdown gegen die Königlichen, doch nur die Heimspiele gegen Villarreal (2:0) und mit einer ganz großen Energieleistung am Mittwochabend gegen Rayo (3:2 nach 1:2-Rückstand) wurden gewonnen.
13 Jahre in Serie in der Champions League
Mit neun Punkten Rückstand geht die Mannschaft von Simeone nun in das Stadtderby gegen Real, das nach sechs Partien die Optimalausbeute von 18 Punkten auf dem Konto hat. Für Atlético ist Platz 8 gemessen an der kompletten Zeit unter diesem Trainer ein klarer Fehlstart, auch wenn die Art und Weise der Aufholjagd gegen Vallecano etwas Zeit zum Durchatmen verschaffen dürfte. Doch Atlético ist inzwischen seit 13 Jahren immer in der Champions League dabei, war 2014 und 2021 Meister, zweimal Vizemeister und acht Mal Dritter. Platz vier in der Saison 2023/24 war der einzige kleinere Ausrutscher.
In diesem Jahr wollte Atlético die beiden Großklubs mal wieder so richtig ärgern und hat dafür sehr viel Geld in die Hand genommen. 176 Millionen Euro wurden in neue Stars investiert, davon 42 Millionen für Linksaußen Alex Baéna von Villarreal, 26 für Innenverteidiger David Hancko von Feyenoord, 24 für Mittelfeldspieler Johnny Cardoso (Betis Sevilla), 22 für die hängende Spitze Giacomo Raspadori von Italiens Meister Neapel und nochmal 21 für einen weiteren Linksaußen, Thiago Almada von Botafogo. Eingenommen wurden im Sommerfenster 68 Millionen Euro, so dass sich ein Transferminus von 108 Millionen ergibt, eins der höchsten in Europas Top-Ligen.
„Mit einem tollen Kader etwas Großes erreichen“
Geschäftsführer und Klub-Mitbesitzer Miguel Angel Gil Marin erklärte aber, dass das kein Problem sei: „Es geht darum, dass wir etwas Großes erreichen wollen, daran glauben wir ganz fest„, sagte er vor dem Saisonstart. Zur Begründung sagte Gil Marin: „Weil wir jetzt einen tollen Kader haben.“ Die Geduld der Fans scheint aber sehr überschaubar zu sein. Schon nach den ersten beiden Sieglos-Spielen gab es nach dem peinlichen 1:1 gegen Aufsteiger Elche ein ohrenbetäubendes Pfeifkonzert.
Von den fünf Neuen jenseits der 20-Millionen-Marke stand im Champions-League-Spektakel gegen den FC Liverpool nur Raspadori in der Startelf. Baena fehlt wegen einer Blinddarmentzündung, Hancko schmorte 90 Minuten auf der Bank, Cardoso war nicht mal im Kader, Thiago Almada leidet unter einer Muskelverletzung. Das Spiel gegen die „Reds“ zeigte einerseits, dass es in der Mannschaft grundsätzlich stimmt, mit viel Energie wurde trotz spielerischer Unterlegenheit ein 0:2-Rückstand ausgeglichen, doch in der Nachspielzeit setzte es den 2:3-K.o.-Treffer durch Virgil van Dijk.
Vollgas an der Linie, aber Zweifel an der Spielidee
Dass es Verschleißerscheinungen beim ewigen Simeone gibt, der inzwischen seit 14 Jahren an der Seitenlinie auf und ab wetzt und 744 Pflichtspiele für Atlético Vollgas gegeben hat, lässt sich auch nicht behaupten. Gegen Liverpool sah er in der 74. Minute erst Gelb wegen einer Unbeherrschtheit gegenüber dem Schiedsrichtergespann, weil ein Eckball nicht gegeben wurde. In der Nachspielzeit reagierte er dann wütend auf Fan-Anfeindungen hinter seiner Bank und flog mit Rot auf die Tribüne.
Doch bei all seiner nach außen strahlenden Energie mehren sich die Zweifel an seiner Spielidee und seinem positiven Einfluss auf die Kaderzusammenstellung.
Seit Sommer 2024 wurden von „Atléti“ rund 350 Millionen Euro in neue Spieler investiert, weit mehr als bei Real Madrid und beim FC Barcelona. Doch ein neuer Ansatz ist nicht erkennbar. Mit vielen der Zugänge fremdelt Simeone und vertraut im Zweifel auf die Helden der Vergangenheit: Antoine Griezmann hat zwar noch kein Tor und keinen Assist in dieser Saison, stand aber gegen Liverpool in der Startelf. Koke kam als erster Einwechselspieler zum Zug, doch auch bei ihm steht in allen Kategorien die Null.
Nur Julián Alvarez hat wirklich eingeschlagen
Von all den teuren Neuzugängen der jüngeren Vergangenheit hat bisher nur Julián Alvarez wirklich überzeugt, für den Argentinier stehen in 63 Pflichtspielen 33 Tore und neun Assists zu Buche – ihm allein und seinen drei Treffern war auch am Mittwoch, wenige Tage vor dem wichtigen Derby, der Sieg gegen Vallecano zu verdanken. Das schlimmste Beispiel für Misswirtschaft war Joao Felix, der 2019 für 127 Millionen Euro von Benfica losgeeist wurde, dann zweimal verliehen und schließlich für 52 Millionen an den FC Chelsea verscherbelt wurde – eine Minusbilanz von 75 Millionen Euro bei einem einzigen Spieler.
Am Legendenstatus von Diego Simeone bei den Rojiblancos wird all das nichts ändern, doch die neuerlichen Mega-Investitionen erhöhen auch den Druck auf ihn. Hat er noch die Power, sich wirklich auf die vielen neuen Spieler einzulassen, einen moderneren Ansatz für das ausrechenbare Atlético-Spiel zu finden, das nach wie vor von Power, Leidenschaft und Härte lebt?
In der Öffentlichkeit wurde bereits mit Fernando Torrres eine andere Atlético-Ikone als möglicher Nachfolger diskutiert, das war lange Zeit bei diesem Klub undenkbar. Deshalb ist klar für Diego Simeone: Das Derby gegen Real wird auch für ihn persönlich eins der wichtigsten in seinen 14 Jahren beim Arbeiterklub von Madrid.