Vom Feiern, Reden, Denken: Rosa Würste in der blauen Stunde tauschen

E s ist ein herbstlicher Dienstagabend Anfang August. In Trenchcoat, Wollpullover und dicken Jeans habe ich mich nach vielen widerborstigen Gedanken endlich vom Schreibtisch gepult, um in der feuchten Dämmerung nach Prenzlauer Berg zu fahren. Mein Freund H. hat Geburtstag, die Luxusbar ist das Ziel, und als ich mit blasskalten Fingern die Haustür öffne, bin ich fast dankbar, dass mein Fahrrad seit Wochen in der Werkstatt steht, weil das Kack-Bianchi-Tretlager nicht bestellbar ist und ich einfach ohne schlechtes Gewissen in mein miefiges Auto steigen kann.

Aus dem Kassettendeck grummeln scheppernd Sounds von Alepher, vor den Scheiben verschwimmen die Imbissschuppen des Kottbusser Damms zu einem einzigen verschwommenen Neonlichstreifen. Die Dunkelheit steckt fest, sie bewegt sich nicht vor, nicht zurück. Die Stadt ist der wattigen blauen Stunde ertrunken. Niemand bewegt sich außer mir.

Unter den Straßenlinden der Prenzlauer Allee sitzen die Geburtstagsgäste in einem riesigen Stuhlkreis auf den feuchten Schweinebäuchen. Die Form ist merkwürdig dysfunktional, die Sitzenden viel zu weit voneinander entfernt, um sich mit wem anders als dem direkten Nachbarn zu unterhalten. Ein wenig, als würde man den Berliner Nachwende-Literaturbetrieb bei einer merkwürdigen rituellen Performance ertappen.

Ich kenne weniger Menschen als gedacht, registriere C. von hinten. Als ich mich über seine Schulter beuge, um ihn ins warme Ohr zu begrüßen, geht die Stadt plötzlich wieder an. Der Verkehr auf der Straße ist dröhnend laut, ich rufe etwas, erkenne nun doch mehr vertraute Menschen, sehe H., der eine Rede hält, nur versteht ihn niemand. Es liegt Nachdruck in der Mimik des Geburtstagskinds, während er stumm gegen das Stadtrauschen anbrüllt.

Das Hirn die Veranstaltungshalle

Ich brabbel C. etwas zu und bemerke eine Frau, die mir strahlend zuwinkt. Ich weiß, wir haben uns schon getroffen, ich weiß auch, dass ich sie sehr mag, doch mein Gehirn kann ihr Gesicht einfach nicht verpacken. Ich stelle mir vor, dass mein Kopf eine Veranstaltungshalle ist, in der die Menschen, die ich traf, und die Menschen, über die ich las, in ebenjenem Stuhlkreis sitzen. Der Raum ist voll, für jeden Neuen muss wer gehen. Die Frau steht noch draußen, als Erste in der Schlange.

Ich schiebe die Gedanken beiseite und meinen Körper durch die Stühle hin zu H. Wir umarmen uns lange und fest, zwischen uns halten wir das gemeinsame Wissen, dass ich fast nicht gekommen wäre, und die Freude, darüber, dass ich es doch tat. Dann überreiche ich ihm Erich Hamanns feine Platten edelbitter und eine rosa Stoffwurst der Künstlerin Nolundi Tschudi. H. malt mir im Tausch mit Edding ein Nashorn auf die Hand: „Mit dem Einhorn kriegst du freie Drinks.“

Auf dem Weg zur Bar verheddere ich mich in ein Gespräch mit B., die ich lange nicht gesehen habe, wische einem fremden Mann eine Ameise von der Schulter, die ihn schon den ganzen Abend heimsucht, und streichel kurz einen kleinen struppigen Hund.

In der Kneipe ist es wieder still. Goldenes Licht sickert direkt ins Glas Riesling, das ich C. in die Hand drücke. Draußen löst sich der Kreis, und plötzlich betritt die Frau mein Hirn. Es ist doch O.! Wir sprachen letztens nach dem Uni-Kolloquium. Ich bin erleichtert, dass es nur der Kontext war, der mein Denken blockierte.

Als ich ein alkoholfreies Bier später wieder ins Auto kletter, ist es immer noch gleich blau da draußen. Ein neuer Regenguss beginnt, ich wechsel das Tape und Jonathan Richmann beginnt zu plärren. „When you trust your friends with no reason ta nada/ This joy I’ve named shall not be tamed/ That summer feeling is gonna haunt you/ The rest of your life.“