Volkswagen: Mal eben ein Werk schließen? Das geht nicht

Am Ende war der Jubel groß. Nach vier Monaten Verhandlungen,
zum Schluss mit einem 40-stündigen Marathongespräch, stand das Ergebnis fest:
VW würde nicht, wie angekündigt, 30.000 Beschäftigte entlassen. Stattdessen
führte der Konzern temporär die Vier-Tage-Woche ein – und erreichte über diese
Vereinbarung mit der IG Metall die geforderte Kostensenkung
. „Ein
Wunder“ nannte 1993 das der damalige Tagesthemen-Moderator Ulrich Wickert.

Über 30 Jahre später stehen der Konzern
und die IG Metall vor einem ähnlichen Problem: Zehntausende Beschäftigte will Volkswagen
notfalls entlassen
, wenn die Personalkosten nicht sinken, mehrere Werke könnten
geschlossen werden. Milliarden Euro sollen gespart werden, die Liste
mit Kürzungsforderungen ist lang. Und wie damals will die IG Metall, bestens
organisiert in dem Autokonzern, weder Werksschließungen noch betriebsbedingte
Kündigungen oder Lohnkürzungen akzeptieren. Aber was kommt sonst infrage?

Jedenfalls nicht das Arbeitszeitmodell aus den Neunzigern, sagt
der Sprecher des Konzernbetriebsrats, Heiko Lossie. „Das ist keine Lösung. Unsere Stammbelegschaft
ist selbst in der derzeit prekären Auslastungssituation mit dem geringen
Fahrzeugvolumen abgesichert, da dreht keiner Däumchen.“ Wie es weitergehen soll, kann und will aber derzeit niemand beantworten. Die rund 120.000 VW-Beschäftigten in Deutschland sind daher sehr besorgt. Die IG
Metall hat intern über die VW-App ein Fragetool eingerichtet, das die Beschäftigten nutzen können, um ihre Sorgen loszuwerden. Wer die Fragen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter liest, merkt sofort: Die Menschen rechnen mit dem Schlimmsten – dem Verlust ihres Arbeitsplatzes. Die meisten wollen wissen, wann es zu Kündigungen kommen kann und welche VW-Werke es wohl treffen wird, die geschlossen werden. Insgesamt zehn Werke gibt es in der Bundesrepublik.

Beruhigen, verhandeln, eine Lösung finden

Die IG Metall versucht zunächst zu beruhigen. Kündigungen
seien erst ab Juli 2025 möglich, wenn der bereits gekündigte Tarifvertrag zur
Beschäftigungssicherung ausläuft.
Theoretisch könne es aber jedes Werk treffen. „Im Fokus der Arbeitgeberseite
stehen also Fahrzeugbau und Komponente, die VW AG und deren Töchter, Ost wie
West, Nord wie Süd – Klein und Groß“, schreibt Betriebsratschefin Daniela Cavallo in der App an die Mitarbeitenden. Aber Schließungen werde man ohnehin nicht
zulassen.

Bis zum kommenden Juli hätten der Konzern und die Gewerkschaft also Zeit, ein Paket zu verhandeln, das im Fall von Massenentlassungen greift. Selbst wenn es den
Tarifpartnern bis dahin nicht gelingt, eine sozialverträgliche Lösung zu finden, stünden die VW-Beschäftigten aber nicht
am nächsten Morgen vor den Türen der Arbeitsagenturen. Denn Betriebsverfassungs-
und Kündigungsschutzgesetz legen Konzern und Gewerkschaft ein enges Korsett mit
Bedingungen an.

Das fängt schon bei den Kündigungen an. Wird ein Werk
geschlossen, sind zwar alle Beschäftigten an diesem Standort theoretisch betroffen. Aber der
Konzern ist groß:  „Jemanden in einem so
großen Unternehmen zu kündigen, ist am Ende gar nicht so einfach. Denn wenn es
im gesamten Unternehmen – also nicht nur in dem Betrieb, in dem der
Arbeitnehmer beschäftigt ist – einen freien Arbeitsplatz gibt, dann darf nicht
gekündigt werden. Der Monteur aus Wolfsburg hat also etwa Anspruch auf einen
vergleichbaren, freien Arbeitsplatz in Zwickau“, sagt Frank Bayreuther, Arbeitsrechtler an der Uni Passau und Experte für kollektives Arbeitsrecht.