
In vielen Bundesländern säumen Tausende tote Kraniche Wiesen und Felder, verendet an der Vogelgrippe. Wie gefährlich ist das aktuelle H5N1-Virus für den Menschen? Tierseuchen-Expertin Christa Kühn beantwortet die wichtigsten Fragen zur grassierenden Geflügelpest.
Allein in Brandenburg sind schon mehr als 1000 Kraniche an der Vogelgrippe verendet. Das H5N1-Virus ist auch in Geflügelhaltungen eingedrungen. Enten und Gänse müssen getötet werden.
Professorin Christa Kühn, die Präsidentin des Friedrich-Loeffler-Instituts für Tiergesundheit auf der Ostseeinsel Riems, beantwortet die wichtigsten Fragen zu dem aktuellen Seuchengeschehen.
WELT: Frau Kühn, was ist das Besondere an diesem Ausbruch der Vogelgrippe?
Christa Kühn: Ungewöhnlich ist, dass der Ausbruch in diesem Jahr relativ früh beginnt. Hinzu kommt, dass mit den Kranichen eine sehr auffällige Spezies betroffen ist, für die es in der Bevölkerung eine gewisse Sympathie und Aufmerksamkeit gibt. Wir hatten auch in den Vorjahren große Ausbrüche in Wildvogel-Kolonien, die aber nicht so intensiv wahrgenommen wurden. Ungewöhnlich in diesem Jahr ist aber auch, dass schon mehrere Geflügelhaltungen betroffen sind.
WELT: Ist es das erste Mal, dass der Erreger die Kraniche befällt?
Kühn: Es gab bereits große Ausbrüche in Israel und in Ungarn. Dass Deutschland bislang nicht betroffen war, könnte daran liegen, dass die Kraniche schon weiter im Süden waren, als das Virus in den Vorjahren mit anderen Wildvögeln bei uns ankam. Jetzt aber werden noch viele Kraniche bei uns rasten, sich anstecken und das Virus dann weiterverbreiten. Aus Ostfrankreich werden bereits erste Fälle gemeldet.
WELT: Der erste große Vogelgrippe-Ausbruch in Deutschland war 2006, als sogar die Bundeswehr mit Flugzeugen nach verendeten Schwänen auf der Insel Rügen suchte. Wie unterscheidet sich der aktuelle Erreger von dem Erreger damals?
Kühn: Das verfolgen wir sehr intensiv und untersuchen die jeweiligen Erreger eines Ausbruchs sehr genau. H5N1 ist ein sogenanntes RNA-Virus, das aus acht Segmenten besteht. Diese Viren mutieren und verändern sich ständig. Und damit ändert sich auch ihre Pathogenität und ihre Fähigkeit, Tiere zu infizieren.
WELT: Ist das Virus also mal mehr und mal weniger aggressiv?
Kühn: Das ist wie bei der Influenza des Menschen. Es gibt Jahre, in denen es kleine Ausbrüche gibt, auf die Jahre mit schwereren Ausbrüchen folgen, wie etwa in den Wintern Anfang der 2020er-Jahre und im Sommer 2023, als sehr viele Wildvögel betroffen waren. Insgesamt hat sich das Virus immer einmal wieder besser an verschiedene Wildvogelarten angepasst. Außerdem müssen wir berücksichtigen, dass nach intensiven Ausbruchsjahren Altvögel dann im folgenden Jahr eine gewisse Immunität aufweisen, die sie gegen Erkrankungen schützt.
WELT: In den USA hat das Virus sogar Kühe befallen. Ist damit auch in Deutschland zu rechnen?
Kühn: Diesen Infektionen bei Kühen ist ein großer Ausbruch bei Wildvögeln und in Geflügelhaltungen vorausgegangen. Möglicherweise gab es Managementfehler im Umgang mit der Seuche. Wie das Virus in die Kuhställe gelangen konnte, wird sich nicht genau klären lassen. Jedenfalls haben wir daraufhin in ganz Deutschland ein intensives Monitoring-Programm gestartet. Das war zu einem Zeitpunkt, als die Vogelgrippe unter Wildvögeln grassierte und viele Kühe auf der Weide standen. Und wir haben nicht einen Fall gefunden. H5N1 ist ein Vogelvirus, aber es kann eben in sehr seltenen Ausnahmefällen auch Säugetiere befallen. Daher empfehlen wir den Behörden, die jetzt betroffene Betriebe beproben, nicht nur das Geflügel, sondern auch andere Tiere zu untersuchen. In Großbritannien ist auf diese Weise ein infiziertes Schaf entdeckt worden.
WELT: Kann das Virus auch von Kuh zu Kuh weitergegeben werden?
Kühn: Normalerweise erfolgt die Ansteckung bei Grippe ja durch Tröpfcheninfektion, Tiere und auch der Mensch verbreiten die Erreger vor allem durch Niesen und Husten. Die Kühe dagegen haben sich vermutlich über die Milch und Melkmaschinen infiziert. Gelangt das Virus ins Euter einer Kuh, ähneln die speziellen Zelloberflächen dort denen eines Vogels – und dadurch kann sich das Virus extrem stark vermehren. Die hohe Viruslast begünstigt dann die Ausbreitung. Ein winziger Tropfen Milch einer kranken Kuh genügt, um eine andere Kuh zu infizieren.
WELT: Wie gefährlich ist die Vogelgrippe für den Menschen?
Kühn: Grundsätzlich können sich Menschen infizieren, mit einem großen Aber. In den USA haben sich während der großen Ausbrüche im Geflügel und bei Milchkühen gerade einmal 70 Menschen infiziert. Wobei es vor allem zu Bindehautentzündungen gekommen ist. Eine vorerkrankte Person ist gestorben – vermutlich mit und nicht an der Vogelgrippe. Wir schätzen daher das aktuelle Risiko, sich mit H5N1 zu infizieren, für normale Bürger als gering ein. Für Personen, die jetzt etwa in betroffenen Beständen die Tiere keulen, ist das Risiko moderat. Sie sollten Schutzkleidung und eine Atemmaske tragen.
WELT: Das gilt auch für Personen, die einen toten Kranich finden und einsammeln wollen?
Kühn: Wer einen toten Kranich findet, sollte ihn nicht anfassen, sondern die zuständigen Veterinärbehörden informieren.
WELT: Wie groß ist die Gefahr einer neuen Pandemie?
Kühn: Angst vor einer Pandemie ist unbegründet. Das wäre völlig übertrieben. Dennoch rate ich zu einer gewissen Wachsamkeit. Jetzt beginnt auch für den Menschen die normale Grippe-Saison. Und es sollte vermieden werden, dass sich jemand, der bereits an Grippe erkrankt ist, auch noch mit dem H5N1-Virus infiziert. Dann kann es tatsächlich zu neuen Virus-Varianten kommen. Daher mein dringender Rat: Hände weg von verendeten Kranichen und anderen Wildvögeln!
WELT: Vor allem Geflügelhalter sind ja derzeit in Alarmbereitschaft. Warum impfen sie ihre Tiere nicht einfach?
Kühn: Es gibt Impfstoffe, doch sie sind problematisch, wie gerade die Franzosen erfahren. Sie haben am 1. Oktober im vorletzten Jahr begonnen, Enten zu impfen, und einen Tag später haben die USA ihren Markt für die Einfuhr von Geflügelprodukten aus Frankreich komplett geschlossen. Das hat natürlich enorme wirtschaftliche Konsequenzen. Der andere Punkt ist: Auch nach einer Impfung kann das Virus noch zirkulieren, man spricht von einer Impfdecke, unter der es sich unbemerkt ausbreiten kann. Da die H5N1-Viren sehr stark mutieren, müssten auch die geimpften Bestände sorgfältig überwacht werden. Das verursacht erhebliche Kosten, und außerdem erfordert es sehr viel Personal.
WELT: Stattdessen werden sämtliche Tiere eines betroffenen Betriebs getötet, in Brandenburg zum Beispiel 5000 Gänse. Ist diese Maßnahme noch zeitgemäß?
Kühn: Ich möchte nicht missverstanden werden. Wir sollten durchaus über Impfungen nachdenken, etwa bei Gänsen. Aber in einem Hähnchenmastbetrieb mit zehntausenden Tieren wäre das praktisch kaum durchzuführen, da jedes einzelne Tier mehrfach in die Hand genommen werden müsste. Was die Keulungen betrifft: Wird in einem Bestand das H5N1-Virus nachgewiesen, müssen die Tiere getötet werden. So schreibt es das EU-Recht vor. Unter dem Aspekt des Tierschutzes wäre es auch nicht zu verantworten, infizierte Hühner oder Puten weiterleben zu lassen, denn sie würden qualvoll verenden.
WELT: Kann das Fleisch der getöteten Tiere verwendet werden?
Kühn: Nein, das ist verboten. Das würde auch schon daran scheitern, dass die Tiere ja zum Schlachthof transportiert werden müssten und dabei das Virus verschleppt werden könnte. Allein schon deshalb ist das keine Option. Die infizierten Tierkadaver werden verbrannt, um das Virus unschädlich zu machen. Im Rahmen der staatlichen Tierseuchenbekämpfung sind sämtliche Maßnahmen darauf ausgelegt, die weitere Ausbreitung eines Erregers wie H5N1 zu verhindern.