Vincent Kompany: Warum der Bayern-Coach zuerst in der Leichtathletik landete

Brüssel, 1975. Pierre, der Vater von Vincent Kompany, kommt als politischer Flüchtling vor Zaires Diktator Mobutu nach Belgien, und erst nach sieben Jahren kann er den Status „sans-papier“ (ohne Papiere) ablegen. Er überlebt, indem er in einer Fabrik arbeitet, Gelegenheitsjobs als Taxifahrer annimmt und Nachhilfe gibt. Die Qualitäten, um mit seinem fußballerischen Talent Geld zu verdienen, hätte er zwar, fürchtet aber, sofort per One-Way-Ticket zurück nach Kinshasa geschickt zu werden, sobald er sich einem Erstligisten anschließt. Also trainiert er in der Reserve des damaligen Zweitligisten Racing Mechelen.

Seine Frau Joseline, eine Flämin, arbeitet im Jobcenter, die Familie lebt im sechsten Stock eines Wohnturms im strukturschwachen Norden von Brüssel, Spitzname: Wildwest. Vincents Grundschule hört dagegen auf den optimistischen Namen ‘t Klavertje, das Kleeblättchen. Papa Pierre macht seinen Abschluss als Ingenieur, Fachrichtung Luftfahrttechnik.

Schwester von Kompany wird tot geboren

Seine Diplomarbeit über eine Wasserwindmühle ist die beste seines Jahrgangs, er gewinnt Preise auf Erfinder-Messen, doch die Hürden sind hoch, um daraus Geld machen zu können. „Die Erfindung hat mein Leben nicht zerstört und mich viel gelehrt. Ich wollte nie auf Knien kriechen, nur um ein paar Cent mehr herauszuschlagen“, sagt er und entscheidet sich, Mechanik, Technik und Technisches Zeichnen zu unterrichten.

Das erste Kind, Isabelle, wird tot geboren. Im März 1984 das zweite Kind, Christel. Vincent Jean Mpoy kommt zwei Jahre später im Edith Cavell Hospital in Ukkel zur Welt, später folgt noch Bruder François. Der Vater sagt: „Wir haben den Kindern ein Gefühl von Stolz vermittelt. Sie durften es sich weder gefallen lassen noch schweigen, wenn sie ungerecht behandelt wurden. Wir haben uns gegen diskriminierende Äußerungen gewehrt.“

Vater von Kompany wird der erste schwarze Bürgermeister Belgiens

Vorbilder sind folglich Nelson Mandela, Mahatma Gandhi und Martin Luther King. Seine Werte beschreibt Pierre Kompany so: „Es sind deren drei: Solidarität, Solidarität und Solidarität.“ 2006 wird er als Unabhängiger auf der Liste der Sozialisten gewählt und ist bis 2012 Stadtrat in Ganshoren. Zwei Jahre später zieht er für die Christdemokraten in das Brussels Parlement ein. Weitere vier Jahre später wird er der erste schwarze Bürgermeister einer belgischen Gemeinde, in Ganshoren, bis 2022. Und 2024 zieht er gar als Abgeordneter ins belgische Parlament ein.

Und die Kinder? Kicken natürlich, auch in der Wohnung. Die Brüder spielen eins gegen eins, die Schwester muss ins Tor. Bei den Pfadfindern sollen sie soziale Skills lernen. Demut steht ebenfalls auf dem Stundenplan: Seinen 18. Geburtstag feiert Vincent mit einem kleinen Kuchen, mit der Familie, wie immer. Höhepunkt des Familien-Jahres: der Urlaub nahe Marseille.

Familienurlaub: Kompany lernt Olympique Marseille zu lieben

Vincent lernt Olympique Marseille zu lieben, damals gerade Champions-League-Sieger geworden, 1993, mit einem gewissen Rudi Völler. Ebenfalls im Kader: ein Verteidiger afrikanischer Abstammung, Marcel Desailly. Als Innenverteidiger und defensiver Mittelfeldspieler wird er Kompanys Vorbild. Die Familie übernimmt Ausflüge ins Stadion und zu Trainingseinheiten; auf einem Foto ist Klein-Vincent mit Robert Pirès und Ibrahima Bakayoko zu sehen. Abends schaut er gern Western, wegen der coolen Machos, aber auch wegen der Pferde. Was er auch toll findet: die Trilogie „Der Pate“ und die NBA.

Die Kompany-Kids wachsen zweisprachig auf, Papa büffelt abends niederländisch. Vincent sagt: „Ich hatte das Glück, in verschiedenen Kulturen aufzuwachsen. Das macht dich offen für alles. Je mehr kulturelles Gepäck man mit sich herumträgt, desto toleranter wird man. Wenn man sich auf sein eigenes kleines Reich beschränkt, geht man automatisch davon aus, dass man im Recht ist.“

Vincent Kompany im Trikot von Anderlecht.
Vincent Kompany im Trikot von Anderlecht.
© IMAGO/VINCENT VAN DOORNICK
Vincent Kompany im Trikot von Anderlecht.

von IMAGO/VINCENT VAN DOORNICK

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Vincent Kompany: „Ich werde niemals schweigen“

Die Eltern legen Wert auf Höflichkeit, Respekt gegenüber Autoritätspersonen, bürgerliches Engagement, Sportlichkeit und vorbildlichen Einsatz in der Schule. Nicht ausgesprochen, aber ebenso wichtig: zielstrebig und ehrgeizig zu sein, sich zu übertreffen und das Beste aus allem zu machen. „Wenn es etwas gibt, womit ich nicht einverstanden bin, dann mache ich den Mund auf“, sagt Kompany, „ich werde niemals schweigen.“ Was typisch für seine Familie sei? „Wir haben keine Komplexe. Ein Anderer ist nicht mehr wert als wir.“

Bei den Brüdern hängen Poster des AC Mailand, von Marseille und Barcelona an der Wand. François, der 2024 bei KSC Lokeren seine Kickerkarriere beendet hat, erklärt die Getriebenheit der Kompanys: „Unsere Eltern wollten, dass wir lernen, uns zu behaupten. Wir sind auch dickköpfig. Das haben wir von unserer Mutter, die diesen für die Ardennen typischen Wesenszug mitgebracht hat. Wir wollen es im Leben schaffen.“

Vincent Kompany kann „Ungerechtigkeit nicht ertragen“

Bruder Vincent fügt an: „Wenn ich eins von meiner Mutter habe, dann, dass ich Ungerechtigkeit nicht ertragen kann. Dann werde ich wütend. In der Schule habe ich oft Ärger bekommen, weil ich mich für jemanden eingesetzt habe.“

Manchmal hat er sich deswegen sogar geprügelt. Dabei sei er sonst total ruhig, findet er: „Ich bin jemand, der sich selten aufregt, bin entspannt, bringe keine Überdosis an Energie mit. Das ist etwas, das meine Mutter nerven kann. Für sie muss alles schnell gehen, während ich immer zeigen will, dass ich die Situation im Griff habe. Und ich wäge Vor- und Nachteile ab, habe einen großen Stolz, ein großes Ego. Manchmal ist das eine negative Eigenschaft, aber es hilft auch: Weil ich in meinem Stolz nicht angetastet werden will, bin ich sehr vorsichtig und verringere so die Chance, dass mich jemand ausnutzt.“

Pierre (li.) und Vincent Kompany.
Pierre (li.) und Vincent Kompany.
© imago/Reporters
Pierre (li.) und Vincent Kompany.

von imago/Reporters

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Kompanys Mama stirbt früh

Und dann petzt die Mama, die sich vom Vater scheiden lässt, als Vincent 14 ist und sechs Jahre später stirbt, noch ein paar Schrullen ihres Sohnes: „Morgens aufstehen war immer eine große Sache für ihn.“

Außerdem sei er ein Träumer: „Es kam oft vor, dass er auf der Straße gegen irgendetwas lief, weil er mal wieder in Gedanken versunken war.“ Fußballschuhe vergessen, Sachen in der Umkleidekabine liegen lassen: Das kam mehr als ein Mal vor. „Es ist Zerstreutheit“, so die Mutter, „nicht mangelnde Sorgfalt.“

Kompanys Fußball-Trainer schickt ihn erstmal zur Leichtathletik

Ansonsten ist der junge Vincent ein begeisterter, vielseitiger Sportler: spielt Volleyball, fährt Rollschuh, geht reiten, fährt Kajak, Rad und Skateboard. Als Kind spielt er in der Nähe des Wohnblocks Fußball, aber meist allein: Er ist schüchtern und donnert den Ball einfach ständig gegen die Wand. Meist ist er eines der jüngsten Kinder in der Gruppe und wirkt manchmal verloren. Später beteiligt er sich stärker, auch am Sonntagvormittag mit einem Klub bestehend aus Kongolesen.

Vincent Kompany gewinnt als Neunjähriger ein Speerwurfwettkampf.
Vincent Kompany gewinnt als Neunjähriger ein Speerwurfwettkampf.
© IMAGO / Reporters
Vincent Kompany gewinnt als Neunjähriger ein Speerwurfwettkampf.

von IMAGO / Reporters

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Wie ein Profi geht er das an, denn er ist der Einzige mit Stollenschuhen. Mit sechs meldet ihn der Vater beim Royal Sporting Club Anderlecht an, mit dem er Jahre später so erfolgreich sein wird, dass ihn halb Europa haben will. Doch was macht der Coach? Schickt Vincent erstmal zum Leichtathletikverein Excelsior Brüssel, weil er so schnell laufen kann. Kompany nimmt an Wettkämpfen im Laufen, Weitsprung und Speerwurf teil, trainiert in der freien Zeit aber auch noch bei den Fußballern mit. Mit zwölf muss er sich entscheiden – und wählt den Fußball. Gute Wahl!