
Über Karl May gibt es die Anekdote, dass er auf seiner ersten Weltreise einen Nervenzusammenbruch erlitt, im November 1899 auf Sumatra. Die Bücher, für die er noch heute geliebt wird, hatte er da längst geschrieben. Es heißt, die Realität jener Länder, die May sich so ausgiebig vorgestellt hatte, habe ihn derart erschüttert, dass er sich wie ein Verrückter benahm. Karl May war damals 57 Jahre alt, er hatte sich stets als Held seiner eigenen Romane verstanden. Auf Sumatra, so wird über den großen Kolportage-Künstler kolportiert, führte er sich auf wie ein Kind.
Im Karl-May-Museum in Radebeul, der Stadt, in der der Schriftsteller 1912 gestorben ist, muss man einen solchen Realitätsschock nicht befürchten. Die berühmten Gewehre aus Winnetou – Henrystutzen, Bärentöter, Silberbüchse – schimmern in ihrer Vitrine in der Villa Shatterhand, dem großbürgerlichen Haus, das May als erfolgreicher Schriftsteller bewohnte. In der Villa Bärenfett, einem Blockhaus im Garten, schirmt die lebensgroße Figur eines Apache-Kriegers die Augen mit der Hand vor der spärlichen Deckenbeleuchtung ab.
Doch während das Museum seine Gäste seit 1928 an gleicher Stelle empfängt, hat die Welt sich weitergedreht, und so steht man heute vor der Frage: Hat die museale Nachlasspflege von May noch eine Zukunft, nach Jahren der Diskussion um kulturelle Aneignung und Restitution von Exponaten? Die Idee einer Antwort liegt auf der anderen Seite, an der Meißner Straße. Dort soll in zwei Jahren ein Neubau eröffnen, der als Empfang, Ausstellungsraum und Depot dienen wird: 1.200 Quadratmeter auf zwei Geschossen in einem Bau mit klaren Linien und Stahllamellen in der Klinkerfassade. Die eingeplanten 6,5 Millionen Euro teilen sich Bund, Land, Stadt und Karl-May-Stiftung.
Zum Spatenstich am vergangenen Samstag hat der Juni eine jähe Kehrtwende gen Hochsommer gemacht: Während der Posaunenchor ein von Karl May komponiertes Lied spielt, schwitzen in der Vormittagssonne neben Granden der Karl-May-Gemeinde auch der Radebeuler Oberbürgermeister, der Landrat und die CDU-Kulturministerin Barbara Klepsch.
Die Brache, auf der sie stehen, mag wirken, als befänden sie sich schon auf halbem Wege in die Prärie. Nun aber soll gebaut werden. Also sticht auch die Ministerin mit dem Spaten in die trockenharte Erde. Ihre ganze Generation habe Mays Bücher „verschlungen“, hat sie zuvor in ihrer Ansprache gesagt. In ihnen sei sie „in eine Welt eingetaucht“, die „von Toleranz spricht, von Völkerverständigung erzählt, von gegenseitigem Respekt“.
Doch steht Karl May nun mal auch für den stereotypen Blick Europas in eine teils idealisierte, teils verachtete „neue“ Welt, zu Sprache geworden in einem Wort, das den Museumsleuten recht leicht über die Lippen geht. Man habe den Begriff „Indianer“ kritisch debattiert, sagt der wissenschaftliche Leiter des Museums, Robin Leithold. Auch mit Gästen aus indigenen Kulturen habe man diskutiert: „Da ernteten wir riesengroße Fragezeichen.“ Die Gäste hätten kaum verstanden, dass man sich an einer Frage aufhalte, die für sie gar nicht wichtig sei.
Laut Duden gilt der Begriff „Indianer“ als diskriminierend. Doch die Debatte ist heterogener. Auch einige Fachleute sehen kein Problem darin, „Indianer“ zu sagen. Zwar handelt es sich um eine Fremdbezeichnung aus Kolonialzeiten, beruhend auf Kolumbus’ Missverständnis, er befände sich auf dem Weg nach Indien. Allerdings sind Alternativen wie „Native Americans“ oder „First Nations“ ebenso Fremdbezeichnungen und Sammelbegriffe für diverse ethnische Gruppen. Auch indigene Amerikaner verwenden teils den Begriff „Indianer“, etwa beim „American Indian Movement“, einer Organisation, die Interessen der First Nations vertritt.