Vierschanzentournee: Erstaunliches Statement des gelähmten Nick Fairall

Zehn Jahre ist es her, dass der amerikanische Skispringer Nick Fairall bei der Tournee-Qualifikation in Bischofshofen schwer stürzte. Seitdem sitzt der Olympiastarter von 2014 im Rollstuhl. Vor dem Finale der Tournee meldet er sich mit bewegenden Worten.

Nick Fairall flog weit an jenem Tag. Der amerikanische Skispringer segelte den Hang der Paul-Außerleitner-Schanze in Bischofshofen, der größten der vier Tournee-Bauten, entlang und setzte seine Landung in den Schnee – dann verlor er die Balance und stürzte. Kopfüber auf den eisigen Hang. Fairall blieb liegen.

Zehn Jahre ist das her. Wenn an diesem Montagabend in Stefan Kraft, Jan Hörl und Daniel Tschofenig drei Österreicher um den Sieg bei der Vierschanzentournee kämpfen, wird Fairall aus der Ferne zuschauen. Der Olympiateilnehmer von Sotschi 2014 sitzt im Rollstuhl, ist seit seinem Sturz in der Qualifikation am 5. Januar 2015 in Bischofshofen inkomplett querschnittgelähmt. „Vor 10 Jahren und vor ein paar Millionen Menschen hat sich mein Leben für immer verändert”, schreibt der heute 35-Jährige auf Facebook und veröffentlicht dazu jene Bilder der Tragödie, die schockierten: Fairall regungslos am Boden. Fairall, der in den Krankenwagen geschoben wird. Aber er ist nicht wütend heute, nicht auf sich, nicht auf die Sportart, auf niemanden. Das lässt sich schon erkennen an den weiteren Bildern, die er seinem Beitrag ebenfalls beifügt.

Der Amerikaner wurde damals noch am Tag des Sturzes operiert. Die Diagnose lautete: zwei gebrochene Rippen, Niere geprellt, rechte Lunge punktiert, leichte innere Blutungen sowie Bruch des ersten Lendenwirbels, der eine Lähmung in seinen Beinen auslöste. Ob er jemals wieder ein Gefühl darin haben würde, war mehr als ungewiss. Einen Tag später lag Simon Ammann nach einem ebenfalls schweren Sturz neben ihm – der Schweizer hatte Glück, verließ das Krankenhaus auf eigenen Beinen. Fairall im Rollstuhl, aber nicht als gebrochener Mensch.

In seinem aktuellen Beitrag teilt er noch einmal jenes Foto nach der OP, das damals schon veröffentlicht wurde: Fairall zeigt den Daumen nach oben. Im WELT-Gespräch sagte er darüber einmal: „Ich wusste, dass ich eine Entscheidung treffen muss: Lasse ich zu, dass dies hier mich und mein Leben definiert, ergebe ich mich in die Opferrolle – oder will ich mein Leben genießen?“ In jenem Moment – noch im Sanitätszelt an der Schanze – beschloss er: „Ich will kein Opfer sein, mich nicht vergraben. Ich will selbst die Kontrolle über mein Leben haben und die Dinge tun, die ich mag.“

Fairall: „Ich würde diesen Sprung noch einmal wagen“

Und Fairall fügt seinem aktuellen Facebook-Beitrag weitere Fotos hinzu, sie zeigen ihn im Winter, wie er auf einem Monoski sitzend einen schneebedeckten Hang hinunterfährt, und wie er im Sommer dank einer ähnlichen Konstruktion auf dem Wasser surft. Im Para-Wasserski hat er es sogar zur WM gebracht.

Und er schreibt dazu: „Mit all den Lektionen, die ich gelernt habe, den Menschen, die ich getroffen habe, und den Erfahrungen, die ich gemacht habe, würde ich diesen Sprung auf jeden Fall noch einmal wagen.“

Fairall blickt ohne Groll zurück auf sein Leben vor dem Rollstuhl, und ohne Groll aus dem Rollstuhl auf Skispringer, die Schanzen hinunterspringen. Bereits ein Jahr nach der Tragödie kehrte er zurück zur Tournee, in gewisser Weise auch als Therapie, und berichtete damals von einem ersten kleinen Kribbeln in den Beinen. Heutzutage hat er wieder ein bisschen Gefühl darin, kann auf einem Ergometer fahren, auf Krücken stehen und ein paar Schritte gehen – ähnlich wie der ebenfalls schwer gestürzte österreichische Skispringer Lukas Müller.

Fairall verfolgt das, was einst seine Leidenschaft war, weiterhin – meistens aus der Ferne am Bildschirm, selten auch live vor Ort. Wie 2018 beim Skiflug-Weltcup in Planica. „Es macht mich nicht traurig, beim Skispringen zu sein. Ich liebe es“, sagte er WELT. „Aber ich war neidisch. Alles, was ich wollte, war, dort oben zu sein und hinunterzufliegen.“

„Es bleibt ein Restrisiko. Ich liebe diesen Sport noch immer“

Dass es trotz der Entscheidung für das neue Leben, trotz des Optimismus nicht immer leicht war, verhehlt er nicht, aber auch die Herangehensweise, das Mindset eines Spitzensportlers half ihm – ebenso wie die Hilfsbereitschaft damals und heute. „Ich danke euch allen, dass ihr mein Leben lebenswert gemacht habt!“, schreibt er deshalb in seinem aktuellsten Beitrag und meint damit eine Welle der Solidarität.

Das deutsche Team zum Beispiel spendete ihm für die teure Reha das Preisgeld von 30.000 Euro nach einem Sieg im Mannschaftsspringen. Der polnische Skisprung-Olympiasieger von 1972, Wojciech Fortuna, versteigerte seine Goldmedaille, und teilte den Erlös von rund 45.000 Euro unter Fairall und der polnischen Eisschnellläuferin Natalia Czerwonka auf, die sich ebenfalls schwer am Rücken verletzt hatte.

Schon 2018 sagte Fairall WELT: „Mein Leben ist sehr gut. Ich bin glücklich und dankbar für das, was ich habe, für die Menschen um mich herum.“ Er habe die Leidenschaft wiedergefunden für das, was er im Leben tun möchte: „Skispringen ist sicher, aber es bleibt ein Restrisiko. Und dessen war ich mir bewusst. Ich liebe diesen Sport noch immer. Er hat mir viele unglaubliche Erlebnisse gebracht.“