Vierschanzentournee: Die Deutschen und das Tournee-Rätsel – Hoffen auf das Recknagel-Wunder

Trotz vieler Erfolge in den vergangenen Jahren bleibt die Vierschanzentournee ein Rätsel für die deutschen Skispringer. Der Sieg scheint außer Reichweite – vor Innsbruck bleiben nur Zweckoptimismus und der Glaube an ein Wunder. Deutschlands erstem Tourneesieger gelang genau das.

All die beeindruckend weiten und konstant starken Sprünge des Pius Paschke, sein anfangs ungläubiger Jubel, die Festspiele des deutschen Teams an den Schanzen, das ihren erfahrensten Mann feierte, der sich vom Mittelmaß an die Spitze katapultiert hatte, und in dessen Sog auch Olympiasieger Andreas Wellinger an Flughöhe gewann – all diese Bilder und Erinnerungen sind gerade erst ein paar Wochen her. Doch jetzt, da die dritte Station der Vierschanzentournee in Innsbruck ansteht (Sa., 13.30 Uhr/ARD und Eurosport), scheinen sie weit entfernt.

Österreichs Adler dominieren, Paschkes Rückstand ist groß und ein Ende des 23 Jahre währenden Wartens auf einen deutschen Tourneesieger nicht in Sicht. Was der Mannschaft bleibt, ist Zweckoptimismus, die Hoffnung auf ein Skispringwunder und die Erinnerung an einen Helden vergangener Tage, dem einst glückte, was sie nun heraufbeschwören: eine Aufholjagd, mit der keiner mehr rechnet. „Abgerechnet wird am Ende. Sag niemals nie, es ist schon viel passiert“, bemüht Andreas Wellinger ein paar Floskeln, die in 72 Tournee-Jahren allerdings oft auch zutrafen.

Erst recht am Bergisel in Innsbruck. Die dortige Schanze verzeiht keine Patzer und bestraft bisweilen selbst kleine Fehler mit einem immensen Weitenverlust. Hinzu kommt, dass die dritte Tournee-Station manches Mal in einer Windlotterie endete oder zumindest die Bedingungen trotz Kompensationspunkten oft mitausschlagebend waren.

Das Gesamtklassement jedenfalls wurde dort ein ums andere Mal kräftig durcheinandergewirbelt. In den vergangenen Jahren allerdings eher zum Nachteil der Deutschen, die stets ihre Probleme in Innsbruck hatten – jedenfalls dann, wenn es ein Tournee-Wettbewerb war.

Der erste Sieg eines Deutschen war eine Aufholjagd

Allzu viel Hoffnung auf blitzsaubere Sprünge der Deutschen machte die Qualifikation am Freitag allerdings nicht: Beim Sieg des Österreichers Jan Hörl war Philipp Raimund als siebter bester DSV-Athlet, direkt dahinter landete Paschke. In der Tournee-Gesamtwertung liegt der 34-Jährige als Sechster 25,3 Punkte hinter dem Führenden Daniel Tschofenig aus Österreich.

Unmöglich, dies aufzuholen, ist es nicht – es gelang einst Helmut Recknagel, Deutschlands erstem Sieger der Vierschanzentournee und insgesamt dreimaligem Triumphator. Nach Platz zwei 1957 in Oberstdorf büßte er beim folgenden Neujahrsspringen scheinbar alle Chancen ein, als er durch einen Sturz nur 35. wurde und als Gesamtneunter 25 Punkte Rückstand auf den Führenden Nikolai Kamenski (Sowjetunion) hatte. Recknagel aber gewann danach in Innsbruck und holte anschließend als Bischofshofen-Sieger auch noch die restlichen 15 Punkte auf.

„Als erster Deutscher das Kunststück fertig zu bringen, die Tournee zu gewinnen – das war schon ein Vergnügen“, sagte er einmal WELT. Zur Wahrheit gehört natürlich, dass Recknagel damals in herausragender Form war – und Paschke dies aktuell nicht mehr ist. Aber wie sagte noch Andreas Wellinger …

Melanie Haack ist Sport-Redakteurin und war bei der Gala Sportler des Jahres. Für WELT berichtet sie seit 2011 über olympischen Sport und war auch bei den Spielen von Paris vor Ort. Hier finden Sie alle ihre Artikel.