Das Klubheim des SC Wiener Viktoria war gut gefüllt am Donnerstagabend. Zu einer Art Public Viewing hatte der kleine Regionalligist aus Wien-Meidling geladen, Fernsehkameras waren vor Ort, alles zu Ehren seines berühmten Hauptdarstellers: Toni Polster, 61, sitzt seit inzwischen elf Jahren bei der Viktoria auf der Trainerbank, vor den Spielen wird er auch gerne mal angekündigt als Rekordhalter für die meisten Tore in der österreichischen Nationalmannschaft. Man ist zu Recht sehr stolz auf den Polstertoni, bei der Viktoria. Und man musste deshalb gemeinsam da durch und sich a bisserl trösten, angesichts dessen, was sich am Donnerstagabend drüben im Ernst-Happel-Stadion zutrug.
Dort spielten die Österreicher in der WM-Qualifikation gegen das selbst aus österreichischer Sicht sehr, sehr kleine San Marino, für dessen Nationalmannschaft sich das Happel-Stadion wie ein wildes Fahrgeschäft auf dem benachbarten Prater anfühlen musste. 10:0 stand es am Ende, es war der höchste Sieg in der österreichischen Fußballgeschichte. Und es hatte einen bemerkenswerten Protagonisten: Den viermaligen Torschützen Marko Arnautovic, 36, der mit nun 45 Toren alleiniger Rekordtorschütze seines Landes ist. Zumindest laut offizieller Rechnung, aber dazu gleich noch.

:Nachspielzeit am Wiener Zivilgericht
Österreichs Rekordtorschütze Toni Polster, 60, ist der Meinung, dass ihm in der offiziellen Länderspielstatistik drei Tore vorenthalten werden. Also klagt er. Der Prozess wäre leicht zu vermeiden gewesen.
Der gebürtige Wiener Marko Arnautovic ist zeit seiner Karriere ein faszinierender Charakter, weil er gleichzeitig so gerne und so ungern im Mittelpunkt steht. Von einem Menschen kann man in seinem Fall erzählen, der einmal einem Polizisten bei einer Kontrolle entgegnete: „Ich kauf’ dein Leben“. Der seit einigen Jahren eine eigene Gin-Marke betreibt und der in den allermeisten Menschen, die ihm öffentlich begegneten, immer Kritiker und Gegner sah. Womit er manchmal gar nicht so falschlag. Und doch kann man Arnautovic würdigen als einen großen Fußballer, nicht nur in Österreich, sondern in ganz Europa: 128 Länderspiele hat er nun bestritten, auch das ist Rekord. Wobei ihm diese Rekorde ja goa nix bedeuten.
„So lange dabei zu sein und noch immer solche Emotionen zu erleben, ist Wahnsinn“, sagte Arnautovic, der nach seinem vierten Treffer von der gesamten Mannschaft vor der Kurve gefeiert wurde, besungen von beachtlichen 37 500 Zuschauern. Er jubelte mit einer Schluss-Aus-Geschafft-Geste, als wäre gerade eher Druck von ihm abgefallen. Monatelang war Arnautovic auf diesen Rekord angesprochen worden, er konnte es schon nicht mehr hören. Insbesondere vor den zwei Spielen gegen San Marino hatte er immer wieder betont, dass ihm das Thema „egal“ sei, solange die WM-Qualifikation zustande kommt. Nun sieht es nach beidem aus: Weil im Parallelspiel am Donnerstagabend Bosnien-Herzegowina zwei Punkte auf Zypern liegen ließ (2:2), braucht Österreich nur noch vier Punkte aus drei verbleibenden Spielen, um sich erstmals seit 1998 für eine Endrunde zu qualifizieren. Am Sonntagabend folgt ein Härtetest in Bukarest gegen Rumänien.
Arnautovic, Sohn eines Serben und einer Österreicherin aus dem Wiener Bezirk Florisdorf als Aushängeschild, diese Geschichte steht dem Land gut zu Gesicht
Arnautovic wird dann erstmals in seiner neuen Rolle als Rekord-Arnie auflaufen, in gewisser Weise auch als Fahnenträger einer Fußballnation, die nicht immer an ihn geglaubt hat: „Es hat auch zwischen uns Höhen und Tiefen gegeben“, sagte der 36-Jährige zu den Journalisten: „Aber danke auch an euch, danke an ganz Österreich.“ Der Sohn eines Serben und einer Österreicherin aus dem schwierigen Wiener Bezirk Floridsdorf als sportliches Aushängeschild, diese Geschichte steht dem Land ganz gut zu Gesicht, das seine migrantische Community nicht immer nur als wertvoll ansieht. Und: Man muss sich ja nicht von seinem alten Helden verabschieden, nur weil man einen neuen hat.
Kein Österreicher hatte einen Wettstreit zwischen Arnautovic und Polster herbeigeschrieben oder -geredet, der neue Rekordtorschütze selbst hat sich stets in höchsten Tönen über „den Toni“ geäußert. Bei Polster – offiziell 44 Treffer – konnte man allerdings die Bitterkeit schon heraushören, trotz der „Herzlichen Gratulation“ an Arnautovic. Über den Gegner San Marino sagte er, es sei eine „Auswahl von Pizzabäckern“, gegen die Österreich gewann: „So eine schwache Mannschaft hat es zu meiner Zeit nicht gegeben.“
Polster besteht zudem persönlich und juristisch darauf, dass ihm drei Tore fehlen, und zwar aus den als „inoffiziell“ gewerteten Spielen gegen Liechtenstein 1984, in Tunesien 1987 und in Marokko 1988. Möglich also, dass er im Klubheim der Viktoria weiterhin als Rekordtorschütze angekündigt wird.
