Videospiel „Silent Hill f“: Der Horror ist eine Vogelscheuche

Und wieder stehen sie dort, auf dem kahlen Feld im Nebel, die bedrohlichen Sensen stecken in ihren Körpern, ihre Leiber sind grotesk verdreht. Die menschlichen Vogelscheuchen sind nicht mit Stroh gefüllt, sie tragen zerrissene Schuluniformen, ihre Gesichter sind zu lachenden Fratzen verzerrt. Sie warten auf einen Moment der Unachtsamkeit, in dem sie lebendig werden und dem Spieler in den Rücken fallen. Kaum dreht man sich um, hört man schnelle, sich heranpirschende Schritte. Richtet man seinen Blick auf die Gefahr, stehen alle starr vor dem Spieler, wie unberührt. Was an das Kinderspiel „Ochs am Berg“ erinnert, hat im Videospiel „Silent Hill f“ jede Unschuld verloren.

„Silent Hill“ beweist seit 1999, dass Horror am Controller am besten funktioniert. Die Videospielreihe, die inzwischen über 25 Titel zählt, verbindet Themen wie Schuld, Depression und Trauma mit dem übernatürlichen Horror der nebligen namensgebenden Kleinstadt im US-Bundesstaat Maine. Der Schauplatz ist nur eine der vielen Inspirationen, die die Spielereihe den Büchern von Stephen King entnimmt. Doch so, wie sich King 1977 mit „The Shining“ von seinem Lieblingsschauplatz Maine entfernte, geht nun auch „Silent Hill f“ andere Wege und verlässt die USA. Was bleibt, ist der Nebel und eine wirtschaftlich marode Kleinstadt namens Ebisugaoka in den japanischen Bergen.

„Silent Hill f“ überzeugt mit Atmosphäre, nicht mit dem Gameplay

Das Japan der 1960er Jahre erlebt den Übergang von Tradition zur Moderne und verlangt von den Menschen Konformität und Leistungsbereitschaft. Die Protagonistin Hinako fügt sich nicht ein. Zu Beginn des Spiels läuft sie vor dem trinkenden Familienpatriarchen davon, der Tochter und Mutter anschreit. Doch bis auf ihren Kindheitsfreund Shu und die Schulfreundinnen Sakuko und Rinko findet Hinako die Kleinstadt verlassen vor. Entstellte Monster patrouillieren durch die vernebelte Welt und es liegt an den Kindern, um ihr Überleben zu kämpfen. In der kleinen Gruppe gibt es Spannungen, Rinko ist neidisch auf die enge Freundschaft zwischen Hinako und Shu. Damit nicht genug, verwandelt sich die Welt der Protagonistin zuweilen in eine Ansammlung dunkler Shintō-Schreine, über denen blutrote Wolken hängen. Die Konstellation der Figuren und Welten wird in einem lethargischen, beinahe zähen Einstieg geschildert, doch nach den ersten beiden Stunden entwickelt sich „Silent Hill f“ zu einer verstörenden, anspruchsvollen Erzählung über Eifersucht und die Last von Erwartungen.

Das Japan der 1960er Jahre verlangt Konformität und Leistungsbereitschaft. Die Protagonistin Hinako fügt sich nicht ein.
Das Japan der 1960er Jahre verlangt Konformität und Leistungsbereitschaft. Die Protagonistin Hinako fügt sich nicht ein.Konami Digital Entertainment

Womit sich das Spiel beschäftigt, wird zu Beginn in einer Warntexttafel kommuniziert: Geschlechterdiskriminierung, Kindesmisshandlung, Mobbing, Folter und explizite Gewaltdarstellungen. Mitunter fühlt man sich an den Horror des Schriftstellers von Ryū Murakami erinnert. Da gibt es den schummrigen Flur in der Schule, auf dem die Schüler plötzlich in unnatürlichen Haltungen posieren, um beim nächsten Blick zu verschwinden. Da sind die Origami-Figuren, die Hinako verraten, dass ihre vermeintlich beste Freundin sie verachtet. Sie wird von einem Monster überfallen und von Tentakeln umschlungen. Anspielungen auf sexuelle Übergriffe sind in „Silent Hill f“ keine Seltenheit.

Zuschlagen, ausweichern, kontern: Besonders innovativ ist das Gameplay nicht.
Zuschlagen, ausweichern, kontern: Besonders innovativ ist das Gameplay nicht.Konami Digital Entertainment

Die kaleidoskopartige Geschichte, die fünf verschiedene Enden bietet, stammt von einem Autor mit dem Pseudonym „Ryukishi07“. Hinter dem Alias, das aus einem Internet-Forum stammen könnte, verbirgt sich ein in der japanischen Anime- und Manga-Szene renommierter Autor. Mit der Serie „Higurashi: When They Cry“ wurde er Mitte der 2000er Jahre eine feste Größe im japanischen Horror-Genre und in den Folgejahren international bekannt. Im Spiel greift er auf seine Leitmotive zurück: Schüler in der Adoleszenz, instabile Freundschaften, Gewaltspiralen und Traditionen, die auf Fortschritt treffen. Es geht um Abschied von den Freunden, von der Jugend und den eigenen Überzeugungen.

Das Spielerische hält mit der komplexen Erzählung nicht mit. In Klassenräumen, unheimlichen Wäldern und labyrinthartigen Gängen setzt sich Hinako gegen die Monster mit Schlaginstrumenten zur Wehr, die sie in der Umgebung findet. Kommt es zum Kampf, kann sie ausweichen, im richtigen Moment kontern und sich verteidigen. Um ihre Lebensenergie wieder aufzufrischen, greift Hinako auf Schokolade, Limonade oder den Verbandskasten zurück. Das ist weder innovativ, noch hat es eine nennenswerte spielerische Tiefe. „Silent Hill f“ will allein mit seinen Figuren und seiner bedrohlichen Atmosphäre überzeugen.

DSGVO Platzhalter

Ein fester Bestandteil der „Silent Hill“-Reihe sind seit jeher Rätsel. Hinako muss Schlüssel suchen, Zahlenkombinationen finden, Codes übersetzen, Käfige öffnen und herausfinden, welche der Vogelscheuchen als nächste mit der Sense zuschlägt. Zu keinem Zeitpunkt sind die Rätsel so langweilig oder simpel, wie man es aus anderen Spielen gewohnt ist. Und wenn man es am wenigsten erwartet, schlägt der Horror zu.

Die atmosphärische Traumreise, die etwa 13 Stunden dauert, lebt von der Angst vor einer sich ständig verändernden Welt. Es ist das Licht am Ende des Ganges, das jeden Moment ausgehen könnte, eine verblasste Jugendliebe, die Enttäuschung der Eltern und die schlurfenden Schritte, die man aus verlassen geglaubten Häusern hört. Spätestens wenn die leise Chormusik des Komponisten Akira Yamaoka erklingt, versteht jeder: „Silent Hill“ ist zurück, und zwar besser denn je.

Silent Hill f gibt es für Play Station 5, Xbox Series und Windows, Preis 42 bis 80 Euro.