Die Reisewarnung des VfB Stuttgart klang dramatischer als so manche, die das Auswärtige Amt in den vergangenen Jahren herausgegeben hat. Vor dem Champions-League-Spiel bei Roter Stern Belgrad (Mittwoch, 18.45 Uhr) würden bereits an den Grenzübergängen nach Serbien „Personen, Fahrzeuge und Gepäck“ von Polizisten kontrolliert, lautete die Ankündigung der VfB-Fanbetreuung. Danach werde es mit Polizeibegleitung nach Belgrad weitergehen, ehe nach dem Spiel eine „Blocksperre von bis zu zwei Stunden“ anstehe. Und für alle, die noch nicht begriffen haben, was die Stunde geschlagen habe, betonte ein Mitglied des Stuttgarter Vereinsbeirats auf „X“, es sei energisch davon abzuraten, am Spielort Karten für den Heimbereich zu erwerben: „Von Belgrader Vereinsseite wurde dringend davor gewarnt, außerhalb des Gästebereichs Karten zu kaufen oder sich gar im Heimbereich zu bewegen. Es herrsche ansonsten ‚Lebensgefahr‘.“
Im Vergleich dazu nahm sich der Hinweis, dass an den Stadiontoren Hartgeld konfisziert werde, eher harmlos aus. „In Serbien gilt Münzgeld als verbotener Gegenstand („Wurfgeschoss“) und wird am Eingang abgenommen“, erläuterte der VfB. Dass man ausgerechnet Schwaben unterstellt, sie könnten mit ihrem hart verdienten Kleingeld einfach so um sich schmeißen, hat humoristische Aspekte. In Südosteuropa ist eine solche Maßnahme allerdings nicht ungewöhnlich. Den Schalke-Fans, die ihr Team 2017 zum Spiel bei PAOK Saloniki begleiteten, wurde ebenfalls Bargeld abgenommen.
Tatsächlich ist das Stadion Rajko Mitic in Belgrad ein riskantes Terrain, das Derby gegen Partizan zählt zu den konfliktträchtigsten Europas. Zudem ist nicht zu leugnen, dass die Gewaltbereitschaft in vielen Stadien Ost- und Südosteuropas so ausgeprägt ist, dass Familien mit Kindern vor allem bei brisanten Paarungen den Besuch vermeiden. Andererseits übt die dortige Gewaltaffinität eine wachsende Faszination auf viele hiesige Ultraszenen aus. Verallgemeinerungen verbieten sich dennoch: Auch in Osteuropa haben sich die Fanszenen stark ausdifferenziert, viele Freundschaften, die sich beispielsweise zwischen sächsischen und tschechischen Fangruppen etabliert haben, haben dazu beigetragen, dass die wechselseitigen Vorurteile bei jungen Menschen in der Grenzregion abgenommen haben. Wie das Belgrader Städtemarketing die Warnungen aus Stuttgart aufgenommen hat, ist nicht bekannt. Vor „Lebensgefahr“ wird ansonsten ja eher bei Reisen in Regionen, die von Drogenkartellen dominiert werden, oder in Kriegsgebiete gewarnt.
In der Stuttgarter Fanszene wird kontrovers diskutiert, ob die Warnung der VfB-Fanabteilung so dramatisch hätte ausfallen müssen – oder ob sie zu unbegründeter Paranoia führe. Einige Fans, die seit Sonntag bester Laune in Serbien sind, sollen sich jedenfalls besorgt erkundigt haben, ob sie sich bis Donnerstag überhaupt auf die Straße trauen dürften. Es deutet allerdings einiges darauf hin, dass die Warnungen auch deshalb so drastisch ausfielen, weil der VfB zu seinen Anhängern auch viele arglose zählt, die von einer Fahrt nach Heidenheim auf Auswärtsspiele als solche schließen. Und wer sich als Gastfan in Belgrad so unbeschwert verhält wie im Regionalexpress von Ulm nach Heidenheim, zeigt wirklich erhöhte Risikobereitschaft. VfB-Fans, die sich – wie in Madrid oder Turin geschehen – fröhlich singend auf den zentralen Plätzen des Lebens freuen, wird man am Mittwochnachmittag also eher nicht sehen.
Ein Euroleague-Basketballspiel dürfte die Situation in Belgrad noch verschärfen
Erfahrene Groundhopper, also Menschen, die Stadionbesuche sammeln wie andere Leute Briefmarken, kommen indes zu einer entspannteren Prognose für das Mittwochsspiel. Wer sich nicht wie ein dem Klischee entsprechender deutscher Mallorca-Tourist benehme, riskiere in Belgrad nicht mehr als an anderen raueren Standorten, heißt es. Auch in Marseille sollte man schließlich nicht mit einem Paris-Trikot am Alten Hafen flanieren, und in Köln seien „Hurra, hurra, die Gladbacher sind da“-Gesänge ja auch keine allzu brillante Idee.
Ob mit oder ohne Münzgeld – bis Donnerstagabend werden wohl die allermeisten Stuttgarter Fans wieder im beschaulichen Schwaben sein. In Belgrad könnte es nach dem Champions-League-Spiel allerdings turbulent weitergehen. Partizan, der – und hier trifft das Wort wirklich zu – verhasste Lokalrivale von Roter Stern, spielt tags darauf in der Euroleague gegen Olympiakos Piräus. Es handelt sich dabei zwar um Basketball, doch das spielt in dem Fall eine untergeordnete Rolle. Denn in vielen süd- und osteuropäischen Ländern unterstützen Fußball-Ultras und Hooligans auch die Basketballer ihrer Vereine. Dass die Gewaltfraktion von Roter Stern mit der von Olympiakos gut befreundet ist, könnte daher sowohl für Mittwoch, als auch für Donnerstag nichts Gutes bedeuten.
Schließlich dürften viele Olympiakos-Fans schon einen Tag vorher in Belgrad sein, um dann am Donnerstag gemeinsam mit den Freunden vom Roten Stern die Auseinandersetzung mit Partizan-Fans zu suchen. Diejenigen der 2400 erwarteten VfB-Fans, die nach dem Spiel noch in Belgrad bleiben wollen, um sich die Stadt anzusehen, sollten also auch am Donnerstag nicht unbedingt mit Fantrikot in die Fußgängerzone oder zum Nikola-Tesla-Museum gehen. Auch diese Warnung findet sich natürlich in den Stuttgarter Fan-Infos.