Verleihung des Jugendliteraturpreises bei der Buchmesse in Frankfurt – Kultur

Bücher, Worte, Bilder positionieren sich. Sie fordern und fördern Haltung, das ist eine Erkenntnis der Verleihung des Deutschen Literaturpreises auf der Frankfurter Buchmesse. „Ein reicher Fang“ ist das Motto der diesjährigen Nominierungen. Rund 1600 Gäste sind bei der Gala dabei, Karin Prien, Bundesministerin für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend sagt in ihrem Grußwort, dass man heute „die besten Kinder- und Jugendbücher“ feiere.

Denn es gibt sie, die Bücher, die sich erzählend und zeichnend den Fragen der Kunst und der Gegenwart stellen, die den Blick in psychologische, gesellschaftliche und politische Abgründe riskieren, die zur Sprache bringen, was bewegt, sei es tastend, versponnen, mit Witz oder Radikalität. So unterschiedlich Erzählweisen und Bildgestaltung sind – in Themen wie Gewalt, Krieg, Klimakrise, Verlust, aber auch Zärtlichkeit, Freundschaft, Fantasie korrespondieren sie miteinander.

Im Jugendroman „Elektrizität und Himmelsfische“ von Andrej Bulbenko und Marta Kajdanowskaja bilden Fluchtnotizen auf 14 Zetteln die Zumutung jedes Krieges unmittelbar ab: Aus allem herausgerissen erhebt die Ich-Erzählerin rau und ungeheuer ihre Stimme. Die Illustratorin Birgit Schössow nimmt mit ihrem erzählerischen Debüt, dem Kinderbuch „Oma verbuddeln“, den Tod souverän auf die Schippe, in der Sparte Bilderbuch gibt Mehrdad Zaeri in reduzierten Illustrationen „Anna. Was die Zeit nicht heilt“ ein Gesicht, damit die wahre Freundschaftsgeschichte einer Zwangsarbeiterin zur Zeit des Zweiten Weltkrieg nicht verloren geht.

Der Zugang zur Welt, das zeigen alle nominierten Bücher, ist vielfältig, vieldeutig und offen. Darin liegt die nicht zu unterschätzende Bedeutung der Kinder- und Jugendliteratur: Wo sie gelingt und zu Leserinnen und Lesern findet, stellt sie Weichen, öffnet Türen, macht zugänglich.

Dass zu wenige Kinder diesen Zugang haben, wissen alle an diesem Abend, im Publikum und auf der Bühne. Dass Karin Prien das „skandalös“ findet, dass sie den Zugang zum Lesen erleichtern will, nimmt man ihr ab. Zunächst öffnet sie, wie beim Oscar, Briefumschläge. Die Spannung steigt, der Countdown läuft, fünfmal wird sie verkünden, wer gewonnen hat – das Ergebnis ist erfreulich überraschend.

Zwerge, die auf Käfern reiten

In der Sparte Bilderbuch gewinnt „Regentag“ von Jens Rassmus. Weil es draußen schüttet, müssen zwei Kinder sich was einfallen lassen. Als Zwerge reiten sie auf Käfern, als Riesen tanzen sie über Hausdächer, grenzenlosen Gedankensprünge werden zum Spiel. Rassmus öffnet Räume der Fantasie auf farbintensiven Acrylbildern. Reingehen, hindurch spazieren und abheben können nun alle Kinder.

Im Kinderbuch ist „Himmelwärts“ Geschichte eines himmelschreienden Verlustes und großer „Vermissung“. Tonis Mutter ist an Krebs gestorben, Karen Köhler hält dem Tod die „Superkraft Liebe“ entgegen. Zum Glück hat Toni eine beste Freundin, die beiden wollen mit selbst gebasteltem kosmischen Radio Funkkontakt zu Tonis Mutter herstellen. Der Countdown läuft, Kapitel zählen rückwärts, es antwortet eine Astronautin.

Auch beim Preisträger im Jugendbuch „Und die Welt, sie fliegt hoch“ von Sarah Jäger, illustriert von Sarah Maus, trifft ein komischer Vogel auf einen Astronauten, es sind Verkleidungen aus Kindertagen. Es ist Sommer, eine hat Hausarrest und darf nicht raus, der andere hat Panikattacken und will nicht raus. Ava hat Angst, den anderen zu viel zu werden, Juri findet unter dem Astronautenhelm Schutz. Schon mit ihrem Debüt „Nach vorn, nach Süden“ hat Sarah Jäger sich weit aus der Erzählkurve gelehnt, dass „Und die Welt, sie fliegt hoch“ von der Jugend- und Kritikerjury nominiert und den Preis nun bekommen hat, ist die fällige Würdigung einer der aktuell interessantesten deutschsprachigen Autorinnen.

„Erwarten Sie jetzt keine klugen Antworten von mir“, sagt Sarah Jäger, als sie die Preisstatue, die Momo, entgegennimmt und zeigt mit ihrem Freudentanz die Theaterfrau, die sie auch ist.

Überhaupt besticht die Leichtigkeit der Preisverleihung. Im Sachbuch Läuse zur Kopfsache erklärt: Das „Handbuch zum Überleben auf Menschen“ von Berta Páramo legt, weil aus Laus-Sicht erzählt, per se einen fulminanten Perspektivwechsel hin: weg vom Anthropozentrismus hin zu einem respektvollen Umgang mit allen Lebensformen. Der konsequent-schrägste und überraschendste Titel der sechs Nominierten ist es allemal.

Die Klimakrise treibt die Jugendlichen um

Und dann ist da noch die Präsentation der Jugendlichen ihrer Nominierungsliste. Schwarz gekleidet spielen sie Szenen aus den Romanen, in diesem Jahr ist das beeindruckend. Kartons sind die einzigen Requisiten, sie fliegen durch die Luft, werden zu Stolpersteinen, zu Brücken, zum Turm, zum Rednerpult. Am Ende ist „No Alternativ“ von Dirk Reinhardt (Gerstenberg) der Gewinnertitel. Die Klimakrise treibt die Jugendlichen um. „Ich frage mich, wie die Welt in ein paar Jahren aussehen wird“, sagt Emma, die Protagonistin, bevor sie sich radikalisieren wird. „Radikal ist es nicht, die Umwelt zu schützen, radikal ist es, sie zu zerstören“, ist die Antwort des Autors an diesem Abend. Er widmet seinen Preis der jungen Generation.

Das gilt für die Cartoonistin Maren Amini, die mit dem Sonderpreis für Illustration in der Sparte Neue Talente ausgezeichnet wurde. Als die Taliban in Afghanistan an die Macht kamen und die Kunst verboten wurde, kam Amini auf die Idee, die Lebensgeschichte ihres Vaters zusammen mit ihrem Vater zu erzählen. Tausend Vögel hat er zur Schmerzbewältigung gemalt, auch sie sind in „Ahmadjan und der Wiedehopf“ drin.

Die Künstlerin Antje Damm wiederum wird mit dem Sonderpreis für das Gesamtwerk Illustration für ihre Gestaltungsfreude, ihre künstlerische Vielfalt, ihre kreative Auseinandersetzung mit der Welt geehrt. „Besuch“ wird zum Spektakel, „Räuberkinder“ mischen Kindheiten auf, „Frag mich!“ sollte sowieso nie aufhören. Denn Erinnerung und Weitermachen, auf die Welt vorbereiten und Welt gestalten – das ist, was die Kinder- und Jugendliteratur kann. Wie weit sie geht, macht der Jugendliteraturpreis sichtbar.