
Das Werk von D’Angelo ist schmal, aber einflussreich. Der US-Künstler hat zwischen 1995 und 2014 gerade einmal drei Soloalben veröffentlicht: „Brown Sugar“, „Voodoo“ und „Black Messiah“. Doch jedes dieser drei Werke hat dem zeitgenössischen R & B jeweils eine neue Richtung gegeben.
Geboren 1974 in Richmond im Bundesstaat Virgina, wächst Michael Eugene Archer in einer religiösen Familie auf. Schon im Kindesalter zeigt sich sein außergewöhnliches musikalisches Talent. Als Dreijähriger spielt er Klavier, mit fünf sitzt er an der Orgel in der Kirchengemeinde seines Vaters. Er singt im Chor und bringt sich Bass, Gitarre und Schlagzeug selbst bei. Ein Mentor beschreibt ihn als „James Brown, Michael Jackson und Prince vereint in einem Zwölfjährigen“.
Anfang der 1990er bricht Archer die Schule ab und geht nach New York. Dort legt er sich den Namen D’Angelo zu, in Anspielung auf den Renaissance-Künstler Michelangelo. Majorlabel beginnen sich für ihn zu interessieren.
Southerngospel und Eastcoast-HipHop
Als 1995 schließlich sein Debüt „Brown Sugar“ erscheint, wird D’Angelo über Nacht zum Star. Aufgenommen mit analogen Instrumenten, verbindet D’Angelo darin den Gesang von Südstaatengospel mit jazzigen Pianofiguren und der Beatästhetik des Ostküsten-HipHop.
Mit der Coverversion von „Cruisin’“ verbeugt er sich vor seinem Idol Smokey Robinson, dessen hohes Falsett seinen Gesang geprägt hat. „Brown Sugar“ wird zum Aushängeschild einer neuen Bewegung, „Neo Soul“, zu der auch Erykah Badu, Maxwell und Tony! Toni! Toné! gezählt werden.
Nach einer ausgedehnten Tour taucht D’Angelo ab. Mit einer losen Gruppe befreundeter Musiker*innen, darunter der Schlagzeuger Questlove und Bassist Pino Palladino, mietet er ein Tonstudio in Manhattan an. Vor jeder Session hören die Beteiligten Musik von Stevie Wonder, Sly Stone und weiteren Stars oder schauen Aufzeichnungen der TV-Show „Soul Train“. Inspiriert davon, jammen sie.
Ölschimmernde Funkgrooves
Am Ende dieses dreijährigen Prozesses steht „Voodoo“ (2000), D’Angelos Meisterwerk voller schwerer, ölschimmernder Funkgrooves. Das Video zur Single „Untitled“ setzt hingegen einen anderen Akzent. Eine Kamera umkreist den nackten, durchtrainierten Oberkörper von D’Angelo. Im Vergleich zu massig-muskulösen Rapstars wie DMX wirkt der Sänger wie ein Sexsymbol, maskulin und feinfühlig zugleich.
Wieder verschwindet D’Angelo nach seiner Konzertreise von der Bildfläche. Geschichten von Drogen, Alkohol und Verhaftungen machen die Runde. Seine Stimme findet sich hin und wieder in Liedern von Kolleg*innen. Erst 2014 wird unerwartet das politische Album „Black Messiah“ veröffentlicht, das D’Angelo als Reaktion auf die BlackLivesMatter-Demonstrationen in den USA herausbringt. Es enthält seine düstersten und grimmigsten Stücke.
D’Angelos drei Alben sind allerdings nur eine Seite des musikalischen Könnens. Seine wahre Bestimmung offenbart sich in den Konzerten, die von den emotionalen Gottesdiensten der Pfingstbewegung geprägt sind: „Von der Bühne gehe ich ohne Umwege direkt in die Kirche“, erklärte er 2015 in einem Interview. Denn Konzerte von D’Angelo sind ekstatische Erfahrungen: Langsam baut er seine Stücke auf, um sie auf dem Höhepunkt mit einem Schlag in sich zusammenfallen zu lassen – nur um sofort wieder von vorne zu beginnen: ein ständiges Spiel von Anspannung und Erlösung, das mit jedem Durchgang an Intensität gewinnt.
„Ich mache das nicht für gute Kritiken oder Geld. Mein ganzes Leben wird von Musik geprägt sein. Das macht mich aus“, hat D’Angelo 1996 vorausgesagt. Da stand er am Beginn seiner Karriere. Jetzt ist er im Alter von nur 51 Jahren an Bauchspeicheldrüsenkrebs gestorben. Viel zu früh. Mit ihm verlieren wir einen ganz großen Soul-Musiker.