
Dass amerikanische Eliteuniversitäten nicht in Jahren, sondern eher in Jahrhunderten denken, deutet bereits der Sammelbegriff ihrer acht Mitglieder an der Ostküste an: Ivy League, wahrscheinlich nach jenem Efeu benannt, das seit dem 18. Jahrhundert die Backsteinbauten umrankt und sie so märchenhaft in der Zeit versunken scheinen lässt.
Viele europäische Universitäten sind zwar deutlich traditionsreicher als die Ivies, aber Harvard, Yale oder Princeton haben es besser als die meisten anderen geschafft, internationale Marken zu werden – Oxford und Cambridge vielleicht ausgenommen. Die Kernbotschaft dieser Marken: In ihren Kathedralen des Wissens werden nicht nur die Eliten von morgen ausgebildet, die Präsidenten, Nobelpreisträger, IT-Pioniere oder Olympiasieger, nein, hier wohnt auch der Weltgeist. Materialistischer formuliert: Hier läuft der Motor der westlichen Moderne, und zwar generationenübergreifend und unabhängig davon, wer gerade regiert.
Schließlich sind die US-Eliteuniversitäten, zu denen neben der Ivy League etwa auch die Stanford- oder die Berkeley-Universität gehören, an den allermeisten Innovationssprüngen der vergangenen Jahrzehnte maßgeblich beteiligt, ganz gleich auf welchem Wissensfeld: von Computerchips über mRNA-Impfstoffe bis zur poststrukturalistischen Philosophie.
Das im Hinterkopf zu haben, hilft zu verstehen, warum die Trump-Regierung jetzt mit solcher Wucht gegen die amerikanischen Eliteuniversitäten vorgeht. Auf den ersten Blick scheint es sich dabei allein um einen rechten Kulturkampf zu handeln. Nachdem die US-Regierung unlängst Fördergelder in Höhe von 400 Millionen Dollar für die Columbia-Universität einfror, ist nun Harvard dran. Bundesmittel über mehr als zwei Milliarden Dollar wurden gesperrt – zudem droht Trump der Universität, ihre Steuervorteile zu streichen. Die Begründung ist in beiden Fällen ähnlich: Die Hochschulen verfolgten angeblich eine woke Agenda, beförderten Antisemitismus und beherbergten vermeintlich politisch radikale Gaststudenten. Es sind offensichtliche, aber erfolgreiche Vorwände.
Sortiermaschinen mit Sendungsbewusstsein
Nicht nur knickte die Columbia-Universität ein und überarbeitete ihre Inklusions- und Diversityprogramme, landesweit üben sich viele Bildungsinstitutionen bereits in vorauseilendem Gehorsam. So berichtete der New Yorker, dass die Ohio State University Inklusionsprogramme einstellte und in diesem Zusammenhang 16 Stellen strich. Das New College in Florida feuerte einen Professor aus China, der sich legal in den USA aufhielt und Asyl ersuchte, mutmaßlich schlicht aus Angst vor Ärger mit den Behörden. Die New York University sagte wiederum den Vortrag einer Ex-Vorsitzenden von Ärzte ohne Grenzen ab, weil es in ihrer Präsentation auch um medizinische Opfer im Gazastreifen gehen sollte sowie um die fatalen Folgen der von Elon Musk initiierten Abwicklung der Entwicklungsbehörde USAID.
Doch es gibt neben diesem Kulturkampf womöglich noch einen anderen, weniger offensichtlichen Grund für die Heftigkeit der Angriffe. Und die haben mit dem Efeu zu tun. Harvard, Yale und Co., deren Namen sogar auf H&M-Sweatshirts gedruckt werden, sind geprägt von einer eigentümlichen Mischung aus ostentativ inszenierter Traditionspflege und radikalem Zukunftswillen. Das wiederum verbindet sie mit zwei ganz anderen Organisationen: der katholischen Kirche und kommunistischen Staatsparteien.
Die Gemeinsamkeiten im Selbstverständnis sind, wenn man genauer hinsieht, eklatant. Erstens sind alle drei Kaderorganisationen, also Sortiermaschinen, die ihre Emissäre ins ganze Land, ja die ganze Welt aussenden, um im besten Fall die Geschicke der Menschheit zu lenken. Zweitens statten sie ihre Mitglieder mit reichlich kulturellem, sozialem und ökonomischem Kapital aus. Wer aufgenommen wird, hat nicht nur Zugang zu Herrschaftswissen und dem richtigen Netzwerk, er oder sie verfügt beinahe schon über eine Lizenz zum Gelddrucken.
Und drittens, das ist vielleicht das Wichtigste, folgen alle drei einem gewissen Ewigkeitsanspruch. Kommunisten, Kirche und Eliteunis verstehen sich gewissermaßen als geschichtsphilosophische Agenturen, die in ganz großen Zyklen denken. Kommunisten zielen auf die klassenlose Gesellschaft, Katholiken auf das Paradies, Eliteunis auf die ewige Verfeinerung des Menschen durch Bildung und Wissen. Zwischenbilanzen ziehen sie, wenn überhaupt, erst nach Jahrhunderten. Das zeigt sich etwa daran, dass die Harvard-Universität erst vor Kurzem ihre Verbindungen zur Sklaverei aufarbeitete.
Während allerdings von den kommunistischen Parteien im Wesentlichen nur die chinesische übrig geblieben ist und die katholische Kirche ihre schwindenden Restbestände verwaltet, erscheinen die US-Eliteuniversitäten heute eigentlich potenter denn je. Kommunisten und Katholiken steht ihr Dogmatismus im Weg, diese Unis aber haben sich perfekt an die kapitalistische Moderne angepasst. Deshalb laufen ihre Kaderschmieden nach wie vor auf Hochtouren.