Urteil zum „Compact“-Magazin: Der liberalen Demokratie gehen die Ideen aus

Es hätte Nancy Faesers großer Erfolg werden sollen. „Rechtsextremismus entschlossen bekämpfen“ hieß das Paket, das die damalige Bundesinnenministerin (SPD) im Februar vergangenen Jahres vorgestellt hat. Man wollte durchgreifen, Neonazis entwaffnen, ihre Finanzquellen austrocknen, sie aus öffentlichem Dienst, sozialen Medien, Sportvereinen entfernen. Und ihre Netzwerke zerschlagen, durch „Verbotsmaßnahmen mit möglichst empfindlicher Wirkung“, namentlich durch Vereinsverbote. Was dann folgte, entschied das Bundesverwaltungsgericht am Dienstagvormittag, war zu empfindlich, um noch verhältnismäßig zu sein. Das Verbot des radikal rechten Compact-Magazins, von Faesers Ministerium im vergangenen Juli verhängt und vom Bundesverwaltungsgericht einen Monat später wieder einkassiert, wurde nun endgültig aufgehoben.

„Sieg auf ganzer Linie“, jubelte Compact-Chefredakteur Jürgen Elsässer wenige Minuten nach der Urteilsverkündung auf X. „Pressefreiheit lässt sich nicht verbieten!“ Er hat Recht. 
Für das höchste Verwaltungsgericht sind die verfassungswidrigen Inhalte, die Compact produziert, nicht prägend für das Gesamtprodukt. Diese Argumentation mag angesichts der regelmäßigen Grenzüberschreitungen von Elsässers Blatt verwundern. Hier sollte sich der geneigte Demokrat allerdings ein Leitprinzip der sogenannten Kommunikationsgrundrechte klarmachen, das leider auch für Faschisten gilt: Der Staat muss jede Äußerung auf die wohlwollendste Weise interpretieren, die semantisch und inhaltlich noch Sinn ergibt. Erst, wenn selbst diese Version klar verfassungsfeindlich ist, darf ein Gericht die Äußerung verbieten oder gar bestrafen. Denn sonst werden Meinungs- und Pressefreiheit zu einer Frage des subjektiven Eindrucks der entscheidenden Richterin.

Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass die grundgesetzwidrigen Stellen im Heft nicht insgesamt überwiegen. Schließlich geht es selbst bei Compact nicht immer nur um „Deutschland den Deutschen“, auch wenn der Klassiker des rassistischen Sprücherepertoires die letzte Ausgabe vor dem ursprünglichen Verbot im Juli 2024 zierte. Das Magazin widmet sich auch diversen Verschwörungsmythen, diffuser Geschichtsklitterung und der geradezu religiösen Huldigung verschiedener rechtsextremer Politiker. Nichts davon ist illegal. Und selbst wenn es um den Markenkern Rassismus geht, stehen die Dinge bei weitem nicht so eindeutig, wie man sie aus antifaschistischer Sicht betrachten kann und sollte. Viele der Texte, die das Innenministerium als Beweis für die Verfassungsfeindlichkeit vorgelegt habe, ließen sich laut Bundesverwaltungsgericht auch als „überspitzte, aber letztlich im Lichte der Kommunikationsgrundrechte zulässige Kritik an der Migrationspolitik“ deuten.

Politisch dürfte das Urteil ein kleines Beben auslösen. Und hier wird dieser Fall, der juristisch so schön klar ist, dass er nicht einmal als Klausuraufgabe taugen würde, kompliziert. Es ist strategisch desaströs und aus Betroffenensicht auch höchst angsteinflößend, wenn Rechtsextreme solche Erfolge einfahren. Denn nein, ein Verbot hätte unter dem Strich nicht „den Rechten genutzt“, wie es so oft heißt. Eine Demokratie darf sich selbstverständlich verteidigen, sie muss es sogar. Aber eben nicht gegen ein Magazin, das überwiegend rechtlich unbedenkliche Texte publiziert.

Gleichzeitig umhüllt Compact jetzt die charismatische Aura des Fast-verboten-worden-Seins – des Underdogs, der sich entgegen aller Wahrscheinlichkeiten durchgesetzt hat. Dies geschieht in einer Zeit, in der unter männlichen Jugendlichen ein Hype um rechte Ideen wächst und Vierzehnjährige sich faschistischen Terrorzellen anschließen. Solche Manöver kann sich die Politik nicht erlauben. Staatliche Repression gegen die radikale Rechte muss effektiv, gezielt und vor allem juristisch wasserdicht sein. Wenn die Fachwelt warnt, dass diese oder jene verlockende Maßnahme vor Gericht scheitern könnte, muss die Politik das endlich ernster nehmen.

Vor allem muss sie sich klarmachen, dass Repression keine echten Maßnahmen ersetzt. Keine politische Bildung, keine Extremismusprävention, keine gesellschaftliche Teilhabe. Anfang des Jahres erschien eine Studie der Universität Mannheim, nach der steigende Mieten in Städten die Zustimmungswerte der AfD steigern. Manche Ökonominnen raten deshalb zu einer antifaschistischen Wirtschaftspolitik – bisher jedoch ohne Erfolg. Demokratiefördernde Projekte, soziale Einrichtungen, Kulturzentren, Räume also, die Radikalisierung nachweislich vorbeugen, müssten gefördert werden, statt dass man ihnen reihenweise die Gelder kürzt. Wenn die liberale Demokratie all das weiter vernachlässigt und stattdessen auf ideenlosen Aktionismus setzt, wird das heutige Urteil nicht der letzte Anlass gewesen sein, zu dem bei Rechtsextremen die Korken knallen.