Ursprung von Corona: Auch das Parlament wusste von nichts

Nach den Enthüllungen zum
Ursprung des Coronavirus diskutieren die Parteien in Berlin über die politischen
Konsequenzen. Am Mittwoch hatten ZEIT und Süddeutsche Zeitung ihre
Recherchen veröffentlicht, wonach der Bundesnachrichtendienst (BND) seit Jahren
davon ausgeht, dass das Virus aus einem Labor im chinesischen Wuhan stammt

– und nicht, wie bislang vermutet, auf einem Wildtiermarkt auf den
Menschen übertragen wurde. Laut BND beträgt die Wahrscheinlichkeit für diese
sogenannte Laborthese demnach zwischen 80 und 95 Prozent. Auch die Neue Zürcher
Zeitung
hatte darüber berichtet. Infolge der Recherchen wurde am
Donnerstag durch den BND das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestags (PKGr) unterrichtet, das die Geheimdienste kontrolliert und geheim tagt. Das Gremium
veröffentlichte nun eine Stellungnahme, in der es die Bundesregierung
kritisiert.

Die Mitglieder des PKGr sind der
Auffassung, die Bundesregierung hätte das Gremium früher darüber unterrichten
müssen, „welche konkreten Arbeitsthesen bezüglich des Ursprungs der
Coronapandemie der Bundesnachrichtendienst prüft und aufklärt“. Man
erwarte aber, dass die Bundesregierung „spätestens nach dem bevorstehenden
Abschluss der Untersuchungen“ die Öffentlichkeit entsprechend unterrichte.

Schon bevor das Kontrollgremium vom
BND unterrichtet wurde, hatten die Rechercheergebnisse auch international für
Aufsehen gesorgt. So reagierte das chinesische Außenministerium mit einem
Statement auf die neuen Erkenntnisse: „In der Frage des Coronavirus lehnt China
jegliche Form politischer Manöver entschieden ab“, sagte eine Sprecherin des
Ministeriums in Peking. Die Volksrepublik vertrete die Ansicht, dass
wissenschaftliche Fragen von Wissenschaftlern beurteilt werden sollten. Das
Ministerium verwies darüber hinaus auf eine Expertengruppe der
Weltgesundheitsorganisation (WHO), die nach Gesprächen mit Forschern vor Ort zu
dem Schluss gelangt sei, dass ein Durchsickern des Virus aus dem Labor in Wuhan
„höchst unwahrscheinlich“ gewesen sei.

Allerdings hatte die WHO die
chinesische Regierung wiederholt dazu aufgerufen, „Daten und Zugang zur
Verfügung zu stellen, damit wir die Ursprünge von Covid-19 verstehen können“ – und keine der Ursprungshypothesen ausgeschlossen.

ZEIT und SZ hatten mit ihren Recherchen ebenso offengelegt, dass die Einschätzung
des BND zum Ursprung des Virus dem Kanzleramt bereits frühzeitig vorlag, das
Kanzleramt die Informationen aber über Jahre unter Verschluss hielt. Sowohl
unter Bundeskanzlerin Angela Merkels (CDU) als auch unter ihrem Nachfolger Olaf
Scholz (SPD) wurden die Informationen nicht weitergegeben. So erklärte auch der damalige
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), dass er nichts von dem BND-Bericht
gewusst habe: „Den kenne ich nur aus der Berichterstattung“, sagte Spahn dem
Sender ntv. Auch sein Nachfolger Karl Lauterbach (SPD) erklärte, in die
Vorgänge „nicht einbezogen“ gewesen zu sein. Er könne daher „diese Vorgänge
nicht kommentieren“, sagte er im WDR.

Merkel hatte auf Anfrage der ZEIT
und der SZ zunächst erklärt, alle Unterlagen aus ihrer
Amtszeit lägen im Kanzleramt. Sie bat darum, dort nachzufragen. Auf Anfrage des
Tagesspiegels wies sie den Vorwurf, die Erkenntnisse des BND in ihrer Amtszeit vertuscht
zu haben, „ganz grundsätzlich zurück“.

Laut Informationen von ZEIT ONLINE
rechtfertigte sich die Bundesregierung in der geheimen Sitzung des PKGr am
Donnerstag damit, dass erst Ende 2024 ausreichend Belege für die Laborthese
vorgelegen hätten. Mehrere Mitglieder des Gremiums sagten im
Gespräch mit ZEIT ONLINE, dass sie sich darauf geeinigt hätten, über die
Stellungnahmen hinaus nicht öffentlich über den Sachverhalt zu sprechen. Bei
einzelnen Mitgliedern ist jedoch größerer Unmut zu spüren, da sie zum wiederholten
Mal von zentralen Vorgängen innerhalb des BND durch Presseberichte erfahren
hätten – und nicht vorab durch die zuständigen Stellen informiert worden seien.

Noch vor der Sitzung hatte der
Vorsitzende des Gremiums, Konstantin von Notz (Grüne), auf X eine Stellungnahme
veröffentlicht:
Wenn es sich bewahrheite, schrieb er, dass die
Coronapandemie menschengemacht sei, müsse sich „gravierend etwas ändern an
unserer Wahrnehmung dieser Katastrophe, die unzählige Menschenleben forderte,
an deren Folgen viele Menschen heute noch leiden und die Billionen von Euro
gekostet hat“.