
„Auf Sylt radelt man, egal in welche Richtung, gefühlt immer gegen den Wind.“ Silke Allenstein muss es wissen. Die 61-Jährige macht seit Jahrzehnten Urlaub auf der beliebtesten deutschen Insel. Mal zehn Tage, mal sieben. Meistens ist sie mit dem Fahrrad unterwegs. Viele andere auch.
Wer in diesen Tagen auf Sylt ist, dürfte sich gelegentlich die Augen reiben – nicht wegen des Windes oder der salzhaltigen Luft, sondern weil er überall auf der Insel Fahrradfahrer sieht. Ein auf 200 Kilometern gutausgebautes Radwege-Netz lädt ein, Sylt vom Fahrradsattel aus zu erkunden. Extreme Steigungen gibt es nicht, dafür freie Sicht auf sattgrüne Wiesen, blühende Heide und imposante Kliffe. Idylle zwischen Dünen und Deichen. Dazu feine Sandstrände im Westen, ausgedehntes Wattenmeer im Osten. Die einzigartige Natur der Insel ist einer der Hauptgründe, warum es sich lohnt, mit dem Fahrrad über Sylt zu cruisen. Und zwar saisonunabhängig.
Einige Sylt-Fans setzen sich einfach aufs Rad und cruisen der Sonne entgegen. So entdeckt man mitunter die schönsten Orte und neue Strecken. Die Radwege führen mal über glatten Asphalt, mal über Sand- und Schotterpisten, vorbei an Pferden und Galloways, mit Blick auf Watt und Deiche. Andere nutzen bestimmte Routen, um an einer Fischbude ein Krabbenbrötchen oder in einem Restaurant eine Lachsforelle oder ein Schnitzel mit Möhrchen in Sahnesoße zu genießen. Besonders beliebt sind die „Fernstrecken“ entlang der stillgelegten Inselbahntrasse. Die Nordtour führt von Westerland über Wenningstedt und Kampen mit dem legendären Promi-Strand Buhne 16 nach List, die Südtour von Westerland über Rantum – hier befinden sich die beiden Kult-Strandrestaurants Samoa und Sansibar – nach Hörnum. Wer den Sylter Osten entdecken möchte, macht eine Rundtour über den Nössedeich Richtung Morsum Kliff und zurück durch die Tinnumer Wiesen oder über das Rantumbecken. Etwas ganz Besonderes ist ein Fahrradausflug zum Lister Ellenbogen. Die Landzunge gehört zu den schönsten Naturschutzgebieten auf Sylt. Tipp: Radeln zum nördlichsten Punkt Deutschlands und dann weiter zur Spitze des Ellenbogens. Während man ihn umwandert – weicher Sandstrand unter den Füssen – kann man Seehunde und Zugvögel beobachten, die sich vor der Küste versammeln. Der Ellenbogen ist zudem ein bevorzugtes Gebiet der Kite-Surfer.
Dass Radfahrer auf Sylt von ständigem Gegenwind berichten, ist kein Wunder: Das schmale Eiland liegt in der häufig stürmischen Nordsee und viele Radwege führen durch Dünen und Küstenabschnitte ohne nennenswerte Erhebungen oder gar Berge, die den Brisen Paroli bieten könnten. Außerdem kann das Wetter auf der nördlichsten Insel der Republik schnell umschlagen – und der Wind auch. Morgens bläst er einem auf dem Fahrrad vielleicht Richtung List ins Gesicht, nachmittags auf dem Rückweg nach Hörnum auch wieder. Das Gute daran: Die Sylter Luft ist gesund. Das berühmte mineralienhaltige Heilklima der Insel entsteht durch Salz auf der Haut und eine erfrischende Brise vom Meer.
Sylt ist in den vergangenen Jahren, wie andere Nordseeinseln auch, zu einem wahren Fahrrad-Eiland geworden. Susanne Steinert, Inhaberin der Verleihfirma Ebike Sturmflotte in Westerland: „Die Nachfrage nach Mietfahrrädern ist in den letzten Jahren gestiegen.“ Außerdem sei ein Trend zur Online-Buchung zu erkennen. Auch Silke Allenstein leiht sich, im Gegensatz zu vielen anderen Urlaubern, die ihren Drahtesel im Zug, auf dem Auto oder der Fähre aus mitbringen, bei jedem Sylt-Besuch wieder ein Rad: „Die Bikes sind hier qualitativ gut und Anbieter findet man überall auf der Insel.“ Insgesamt gibt es über 40 überwiegend privat betriebene Fahrradverleih-Stationen mit annähernd 11.000 Velos, davon 2300 E-Bikes. Zur Miete steht die gesamte Modellpalette vom Kinderrad über Lastenräder, Rennräder und City-Räder bis zu Tandems.
Als Konkurrent zu den Privatanbietern tritt auf der Insel der Sylt Tourismus-Service (ISTS) auf. Mit der Begründung, „emissionsfreie Mobilität“ zu schaffen, werden an drei Standorten rund 200 E-Bikes, 20 E-Scooter, 15 E-Roller und 15 E-Autos angeboten. Kristina Kreiss, Nachhaltigkeitsmanagerin beim ISTS, bezeichnet das als „ein starkes Signal für verantwortungsbewussten Tourismus“. Doch nicht alle freuen sich darüber. So wurde dem Inhaber des Fahrradverleih Rantum 2.0 nach fast 35 Jahren der Pachtvertrag gekündigt, um an seinem Standort, am Strandweg in Rantum, ein E-Mobility Center zu eröffnen. Gottfried Steinhardt hat seine Räder (Preise pro Woche: ab 62 Euro) nun in einer Halle untergebracht und liefert sie zu zentral liegenden Feriendomizilen (fünf Euro).
Zum Vergleich: Für ein Elektrofahrrad im E-Mobility Center der Gemeinde muss man mindestens 30 Euro pro Tag hinlegen. Solche Preise ärgern viele Kunden. „Nicht jeder Sylt-Urlauber ist Millionär“, lächelt Silke Allenstein. Trotzdem sollen die E-Mobility Center in Rantum, am Surfhouse Campingplatz und an der Himmelsleiter in Westerland laut ISTS zwischen April und Oktober zu durchschnittlich 70 Prozent ausgelastet sein.
Fazit: Wer Sylt einmal anders genießen will, sollte auf einen Drahtesel steigen und losstrampeln. Radfahren auf der schönsten Insel Deutschlands bedeutet Bewegung, Entspannung, Genuss und unvergessliche Eindrücke.