Unmut bei Unternehmern: Deutschlands Mittelstand verliert die Geduld mit der Regierung

Nach dem Automobil-Dialog und vor dem Stahlgipfel beim Bundeskanzler startet Wirtschaftsministerin Katherina Reiche einen dritten Gesprächskreis zwischen Politik und Wirtschaft: den Mittelstandsdialog. Um den Tisch sitzen rund 50 Vertreter von Verbänden – und sparen nicht mit Kritik.

Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) hat in Berlin eine neue Reihe von Gipfeltreffen gestartet, nach der Autoindustrie ist nun der Mittelstand an der Reihe. Und ähnlich wie beim Automobil-Dialog im Bundeskanzleramt nahmen die Unternehmen von diesem Treffen wenig konkrete politische Unterstützung für ihre Belange mit.

Stattdessen begann auch dieser Dialog mit den üblichen Beschwörungsformeln zur Bedeutung kleiner und mittlerer Unternehmen und mit weiteren Beschreibungen der dramatisch schlechten Rahmenbedingungen für die Wirtschaft. Eine Zahl habe sie am Morgen erschrocken gemacht, sagte die Ministerin: „325.000 Arbeitsplätze seit 2022 nur für das Abarbeiten von bürokratischen Lasten.“

Sie bezog sich damit auf eine Betriebsbefragung des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung IAB, das zur Bundesagentur für Arbeit gehört. Demnach haben die Unternehmen in Deutschland tatsächlich diese Zahl neuer Stellen in den vergangenen drei Jahren für Verwaltungsaufgaben geschaffen – um gesetzliche Vorgaben und Dokumentationspflichten zu erfüllen. Reiches Schlussfolgerung: „Wir werden nicht mit Verwalten wachsen. Wir werden nur wachsen, wenn wir wieder Freiräume schaffen.“ Darüber wolle sie mit den Mittelständlern sprechen.

In der Runde im Berliner „Futurium“ saßen Vertreter von 50 Wirtschaftsverbänden, vom Bundesverband der Deutschen Industrie über die Deutschen Industrie- und Handelskammer bis zum Zentralverband des deutschen Handwerks. Dessen Präsident, Jörg Dittrich, formulierte die Bürokratie-Kritik drastisch: „Die Bürokratie führt letztendlich zum Staatsversagen, weil sie die Dinge nicht mehr alle einhalten können“, warnte er. In der Folge suche sich jeder die Regeln heraus, die er gerade einhalten könne. Das untergrabe das Vertrauen in staatliches Handeln.

Bürokratie schrecke auch die nächste Generation ab. Junge Meisterinnen und Meister würde sich deswegen nicht selbstständig machen, sagte Dittrich. „Bonpflicht, Zeiterfassung, Dokumentationspflichten, alles Punkte, die ganz schnell geändert werden können, um unternehmerisches Handeln nicht weiter zu ersticken.“

Auto, Stahl und jetzt der Mittelstand

Für Dittrich ist der Mittelstand in Deutschland der wesentliche Standortvorteil der Wirtschaft. „Dieses Fundament bröckelt, wenn politisches Handeln und Ankündigungen nicht in spürbare Verbesserungen im betrieblichen Alltag münden.“ Deshalb dürfe der Mittelstandsdialog „nicht nur ein symbolisches Format bleiben“.

Ob sich dieser Wunsch erfüllt? Die Gipfeltreffen von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) mit der Auto- und Stahlindustrie waren auf Kritik gestoßen, nicht nur bei den wirtschaftspolitischen Beratern von Ministerin Reiche, sondern auch in anderen Branchen.

Den Mittelstandsdialog versteht man im Wirtschaftsministerium auch als eine Antwort darauf. Statt eines einmaligen Gipfeltreffens soll er eine regelmäßige Veranstaltung sein, die einen Austausch zwischen Wirtschaft und Politik ermöglicht. Moderiert werden die Treffen von Gitta Connemann (CDU), der Mittelstandsbeauftragten der Bundesregierung und zugleich parlamentarischen Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium.

Connemann weiß, dass die Stimmung in den mittelständischen Unternehmen sehr schlecht ist. Im aktuellen Mittelstandsmonitor, den zehn große Verbände vergangene Woche vorgelegt haben, stehen fast alle Ampeln auf Rot. Besonders dringenden Handlungsbedarf sehen sie beim regulatorischen Umfeld der Unternehmen, in der Energiepolitik und im Bereich Fachkräfte. Auf einer Skala von minus drei bis plus drei bewerten sie die Lage im Mittelstand mit minus zwei.

„Wir wissen, dass es dem Mittelstand nicht gut geht“, sagte Marija Kolak, Präsidentin Volksbanken- und Raiffeisenbanken-Verbandes BVR bei der Präsentation. Der Koalitionsvertrag von Union und SPD adressiere die Probleme der Unternehmen nicht ausreichend.

Fraglich ist, wie weit Reiche politisch über den Koalitionsvertrag hinausgehen kann. Die Ministerin äußert zwar regelmäßig Forderungen, die den Koalitionspartner SPD provozieren – konkrete Gesetzentwürfe sind daraus aber noch nicht entstanden.

Stattdessen arbeitet die Koalition neben einigen Entlastungen auch an Vorhaben, die bei Wirtschaftsvertretern eher auf Ablehnung stoßen. Dazu zählt das Tariftreuegesetz, das Reiche mit Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) in den Bundestag eingebracht hat. Es ist ein Kernanliegen der SPD und schreibt dem Staat vor, bei öffentlichen Aufträgen Unternehmen zu bevorzugen, die nach Tarif bezahlen. Nicht jeder Mittelständler tut das.

Auch das Vergabe-Beschleunigungsgesetz für die Bundeswehr stieß auf Kritik bei kleineren Unternehmen: Die Aufteilung von Aufträgen in kleinere Lose, etwa für lokale Handwerker, ist darin nicht mehr vorgeschrieben.

Zudem belasten die hohen Energiepreise die Unternehmen massiv. Das ist Reiches Thema, schließlich ist sie auch Energieministerin. Auf die Frage, ob es doch noch zur Stromsteuer-Senkung für alle komme, verwies sie auf Finanzminister Lars Klingbeil (SPD). Bisher ist nur geplant, die Stromsteuer für das produzierende Gewerbe ab dem 1. Januar zu senken. Das betrifft zwar rund 600.000 Betriebe, führt aber in der Umsetzung zu weiterer Bürokratie.

„Das, was uns am meisten drängt, ist das Thema Energie“, sagte Ralf Stoffels, Vizepräsident der DIHK, beim Auftritt mit Reiche. Handwerkspräsident Dittrich warnte, dass die Stromsteuersenkung, bei vielen Betrieben nicht ankommen werde, weil der bürokratische Aufwand „aus dem Ruder läuft“.

Tatsächlich können Unternehmen, die nicht nur produzieren, die Steuersenkung wohl nur für einen Teil ihres Betriebs geltend machen. Ein Bäcker mit mehreren Filialen also nur für die Backstube, nicht aber für seine Verkaufsräume.

Dieser Artikel wurde für das Wirtschaftskompetenzzentrum von WELT und Business Insider erstellt.

Daniel Zwick ist Wirtschaftsredakteur in Berlin und berichtet für WELT über Wirtschafts- und Energiepolitik, Digitalisierung und Staatsmodernisierung.