Union und SPD suchen ihren Arbeitsmodus

Das Seufzen im Kanzlerlager war vor dem SPD-Parteitag unüberhörbar. Die Wahrnehmung im Umfeld von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) war, dass die Sozialdemokraten in der Regierung Rücksicht nehmen mussten auf das Delegiertentreffen am vergangenen Wochenende. Einher ging damit die Hoffnung auf der Unionsseite, dass es nach dem Sonntag, wenn mancher Genosse sein Mütchen gekühlt haben würde, endlich ans Regieren gehen könne. Schließlich hatten Merz und seine Leute stets die Erwartung geschürt, bis zur parlamentarischen Sommerpause schon manchen großen Reform- oder Sparschritt gegangen zu sein. Die Zeit wird knapp.

Dass mehr als ein Drittel der sozialdemokratischen Delegierten ihr Mütchen ausgerechnet an ihrem Vorsitzenden Lars Klingbeil bei dessen Wiederwahl in einer Weise kühlten, dass man von Vereisung sprechen kann, wird der guten Zusammenarbeit zwischen ihm und Merz kaum schaden. Merz brauchte drei Anläufe, bis er CDU-Vorsitzender war, zwei für die Kanzlerwahl. Da mag ihm die Wiederwahl Klingbeils im ersten Anlauf mit 65 Prozent noch als komfortable Situation erscheinen. In dieser Hinsicht sind sie nun auf Augenhöhe.

Doch die Hoffnung, dass es am Tag eins nach dem SPD-Treffen sofort mit vollem Schwung ans gemeinsame Regieren gehen würde, erhielt zunächst einen Dämpfer. Hatte man sich im Kanzlerlager vor dem Parteitag noch erhofft, Arbeitsministerin Bärbel Bas werde jetzt schnell Vorschläge zum Umbau des Bürgergeldes vorlegen, so befeuerte die mit stolzen 95 Prozent zur SPD-Vorsitzenden neben Klingbeil gewählte Ministerin erst mal den Streit über die Senkung der Stromsteuer, der seit Tagen schwelt. Während aus Teilen der Union der Druck erhöht wurde, neben Industrie, Unternehmen und Landwirtschaft auch die Verbraucher zu entlasten, äußerte Bas sich „irritiert“ über diese „Angriffe der Union“. Die Koalition habe doch beschlossen, zunächst Industrie und Landwirtschaft zu begünstigen.

Koalitionsausschuss tagt am Mittwoch

Kanzleramtsminister Thorsten Frei (CDU) bemühte sich mit Blick auf die für Mittwoch angesetzte Zusammenkunft des Koalitionsausschusses um eine Beruhigung der Debatte. Man müsse sehen, wo das Geld herkomme, sagte er in der ARD. Sollten die Koalitionäre sich über die erforderlichen Umschichtungen im Haushalt einigen, sei das ein Weg, „über den man sprechen kann“. Regierungssprecher Stefan Kornelius wies darauf hin, dass mehr als 600.000 Unternehmen von den bisherigen Plänen profitieren würden.

Dürfte die Entschärfung des Streits über die Strompreise ein größeres Thema werden, so sind andere Meinungsverschiedenheiten zwischen Union und SPD vermutlich leichter beizulegen. Nachdem die Genossen auf ihrem Parteitag hinsichtlich der Einführung einer Wehrpflicht gebremst, dafür bei der Vorbereitung eines AfD-Verbots ordentlich aufs Gas gestiegen waren, wurde in der Regierung darauf hingewiesen, dass es sich um Parteitagsbeschlüsse handele. Heißt: Das ist noch kein neuer Kurs der Regierung.

Vergleichbar wurde auch die größte Bombe, die Atombombe, entschärft, die allerdings nicht von der SPD im politischen Berlin abgeworfen worden war. Die Forderung des Vorsitzenden der Unionsfraktion, Jens Spahn (CDU), es müsse eine deutsche Teilhabe an einem europäischen Nuklearschutzschirm geben, stehe „erst mal für sich“, sagte Kornelius. „Deutschland steht nicht davor, über Nuklearwaffen zu verfügen.“