Ungarn und Polen: Nawrocki will Orbán nicht sehen

Polens Präsident Karol Nawrocki reist an diesem Mittwoch nach Ungarn, doch wird sein Besuch kürzer ausfallen als geplant. Zwar will sich Nawrocki mit den Präsidenten Ungarns, der Tschechischen Republik und der Slowakei in Esztergom im sogenannten Visegrád-Format treffen, um über Sicherheit und Zusammenarbeit in Mitteleuropa zu beraten. Ein im Anschluss geplantes Treffen mit Ungarns Regierungschef Viktor Orbán aber sagte Nawrocki ab. Das Präsidialbüro in Warschau begründete das explizit damit, dass sich Orbán in der vergangenen Woche in Moskau mit dem „Kriegsverbrecher Putin“ getroffen und dort über die weitere Versorgung mit russischer Energie und die Umgehung von Sanktionen gesprochen habe.

In der Visegrád-Gruppe, die sich 1991 als mitteleuropäisches Gegengewicht zum westlich dominierten Europa gegründet hatte, waren Polen und Ungarn einst enge Partner, vor allem in Zeiten, als in Warschau noch die nationalkonservative PiS regierte. Deren Politik, die Unabhängigkeit der Justiz zu schleifen, Medien gefügig zu machen und die EU abzulehnen, glich etwa dem, wie Orbán Ungarn zu einem autoritären System umbaute. Nach der Regierungsübernahme des Liberalkonservativen und Proeuropäers Donald Tusk Ende 2023 in Warschau aber kam es zu einem Bruch mit Budapest.

Polens Außenminister Radosław Sikorski kritisierte Orbán mehrfach direkt für dessen Anlehnung an Moskau und brandmarkte dessen Politik als „Diebstahl und Nationalismus“. Orbán warf der polnischen Regierung daraufhin vor, eine „Kriegspsychose“ zu haben und die jahrtausendealte polnisch-ungarische Freundschaft zerstören zu wollen.

Die Missstimmung liegt auch daran, dass Ungarn die politische Aufarbeitung der PiS-Regierungszeit in Warschau nach Kräften hintertreibt. So halten sich heute der einstige PiS-Justizminister Zbigniew Ziobro und sein damaliger Stellvertreter Marcin Romanowski in Ungarn auf, um der Strafverfolgung in Polen zu entgehen. Die Staatsanwaltschaft in Warschau wirft Ziobro 26 Straftaten vor, darunter die Bildung einer kriminellen Vereinigung und die Veruntreuung öffentlicher Mittel in Höhe von 220 Millionen Złoty (rund 52 Millionen Euro). Romanowski werden in dem Zusammenhang elf Straftaten, darunter Betrug und Korruption, vorgeworfen. Er flüchtete bereits vor einem Jahr nach Budapest und bekam nach einem Treffen mit Orbán „politisches Asyl“.

Wo die PiS Orbán noch unterstützt

Dass ein EU-Land einem von einem anderen EU-Land gesuchten Verdächtigten Schutz gewährt, war neu. Warschau stellte daraufhin einen internationalen Haftbefehl aus, dem Budapest nicht folgte, sondern vielmehr seine Gesetze anpasste: Seitdem kann der (politisch ernannte) Generalstaatsanwalt in Ungarn gegen eine gerichtlich angeordnete Auslieferung Berufung einlegen. Sollte doch ein Gericht dem Auslieferungsantrag stattgeben, ist nun Ungarns Oberstes Gericht ermächtigt, eine solche Entscheidung aufzuheben. Das Ganze widerspricht rechtsstaatlichen Gepflogenheiten, kommt nun aber auch Ziobro zugute, der nach einem Treffen mit Orbán erklärte, in Polen „keine Chance auf ein faires Verfahren“ zu haben.

Die PiS unterstützt dieses Gebaren ausdrücklich. Doch seit dem russischen Überfall auf die Ukraine befindet sich auch sie, die heute die größte Oppositionsfraktion in Polen stellt, in Bezug auf Ungarn in einer ambivalenten Lage – und mit ihr Karol Nawrocki, der als Kandidat der PiS das Präsidentenamt eroberte. Innenpolitisch kann die Partei weiter Orbáns Politik viel abgewinnen, außenpolitisch aber liegt sie mit ihm – genauso wie die Regierung Tusk – vor allem mit Blick auf Moskau über Kreuz.

Die Ukraine fallen zu lassen, wie Orbán es tut, kommt Nawrocki nicht in den Sinn, im Gegenteil: „Jeder einzelne Friedensplan zur Beendigung des von der Russischen Föderation begonnenen Krieges in der Ukraine muss von Kiew angenommen werden“, erklärte er mit Blick auf den jüngsten Vorstoß der USA. „Die Ukraine ist Opfer von Putins verbrecherischer Aggression geworden, und es sind die Ukrainer, die mit Unterstützung der Vereinigten Staaten und der EU-Staaten das entscheidende Wort in den Friedensgesprächen haben müssen.“ Der Preis für Frieden könne keinesfalls sein, dass der Aggressor seine strategischen Ziele erreiche. „Und der Aggressor war und ist die Russische Föderation.“

Orbán dagegen hat sich mehrfach gegen militärische Hilfe für Kiew sowie gegen wirtschaftliche Sanktionen für Moskau ausgesprochen und ukrainische Gebietsabtretungen für unvermeidlich erklärt.

Orbán will Polen im Kampf gegen Brüssel an seiner Seite

Nawrockis Absage ist für Orbán nun vor allem deshalb misslich, da er seit dem Wahlsieg des tschechischen Rechtspopulisten Andrej Babiš versucht, die alte Visegrád-Gruppe wieder für seinen Kampf gegen Brüssel in Stellung zu bringen. Im Zuge der Flüchtlingskrise hatte sich Polens damalige PiS-Regierung gemeinsam mit dem slowakischen Ministerpräsidenten Robert Fico, Babiš und Orbán gegen den Flüchtlingsdeal der EU gestemmt. Fico und Babiš sind nun zurück an der Macht, und in Polen stellt die PiS zumindest weiter den Präsidenten. Für Orbán wäre die Gruppe ein Vehikel, um seinen Führungsanspruch in der europäischen Rechten zu manifestieren, den er sich durch seine engen Verbindungen zur amerikanischen MAGA-Bewegung und den geschickten Aufbau eines Netzwerks erarbeitet hat.

Die juristische Verfolgung der PiS-Minister in Polen fügte sich nur zu gut in sein Narrativ einer rechten Welle in Europa, die nur noch durch staatliche Repression aufgehalten werde. Die PiS aber lässt an ihrer Solidarität mit Kiew keinen Zweifel, und auch Babiš will die Ukrainehilfe zwar zurückfahren, zeigt bisher aber kein Interesse daran, sich von Orbán ganz ins Anti-Brüssel-Lager ziehen zu lassen, zumal er als Unternehmer starke wirtschaftliche Interessen in den westlichen Nachbarstaaten hat. Und zu Moskau betont Babiš absolute Distanz.