
Da stehen sie, dicht beieinander in zwei schlichten Regalen des Designers Dieter Rams: Buchstützen. Aus Metall, knallrot lackiert, mit einem Logo, das vermutlich die Bauhaus-Künstlerin Marianne Brandt entworfen hat. Aus Bronze, mit verspielten Mustern, hergestellt in den Tiffany Studios New York. Glasbuchstützen aus der edlen französischen Lalique-Manufaktur, die Tiere darstellen: Seepferdchen, Schwalben, den Kopf eines Falken.
Zwei Teufelsköpfe, die der Gestalter Amalric Walter entworfen hat, zwei Hahnenköpfe des Art-déco-Kunstschmieds Edgar Brandt. Kinderfiguren, ein zweigeteiltes Krokodil, abstrakte Formen. Buchstützen aus Holz, Bakelit, Jade, Elfenbein, Keramik.
Wohl 200 Buchstützenpaare hat Ulrich Stascheit im Lauf der Jahre zusammengetragen, schon in den Siebzigerjahren begann seine Sammelleidenschaft. Vieles stammt aus den Vereinigten Staaten oder Frankreich, einige asiatische Stücke sind auch darunter. Als „unterschätzte Kunststücke“ bezeichnet Stascheit die von Kunsthandwerkern entworfenen Gebrauchsgegenstände, als Sammler von Buchstützen werde er meist ein wenig schief angeguckt.

Wieso ausgerechnet Buchstützen? Das haben ihn die Antiquitäten- und Buchhändler, deren Geschäfte er besuchte, oft gefragt. Eine klare Antwort fiel auch Stascheit schwer. Was sollte er auch sagen, er war von ihnen nun einmal fasziniert. Und er brauchte sie, ganz sprichwörtlich. Denn auch Bücher hat Stascheit sein Leben lang gesammelt.
An den Kauf seines ersten Buchstützenpaars kann der heute Vierundachtzigjährige sich noch gut erinnern. Stascheit hatte gerade angefangen zu arbeiten, zum ersten Mal verdiente er ordentliches Geld, war im Urlaub in den Vereinigten Staaten. Im Geschäft der New Yorker Antiquitätenhändlerin Lillian Nassau wurde der Jurist fündig. Ein glänzendes Buchstützenpaar von Tiffany & Co. mit Ornamenten und einem Wappen darauf hatte es ihm angetan. „Adam“ hieß das gute Stück, benannt nach dem britischen Architekten Robert Adam, der mit seinen klassizistischen Herrenhäusern im 18. Jahrhundert Baugeschichte geschrieben hatte.

Ein paar Jahre später sollte Stascheit in Schottland einen Nachfahren von Adam kennenlernen – und damit verblüffen, dass es eine Tiffany-Buchstütze gibt, die an seinen Verwandten erinnert.
Nun hat Stascheit einen Bildband mit seinen gesammelten Schätzen veröffentlicht. Erschienen ist das Buch („Buchstützen – unterschätzte Kunststücke“, 59 Euro) in seinem eigenen Verlag, dem 1981 gegründeten Fachhochschulverlag. Stascheit hat an der Frankfurter Fachhochschule – die heute Frankfurt University Of Applied Sciences heißt – bis zu seiner Pensionierung Arbeits- und Arbeitslosenrecht gelehrt. Im Fachhochschulverlag erscheinen meist Rechtsratgeber, Bücher zur sozialen Arbeit, Werke zu Drogenrecht und Drogenpolitik – der Buchstützen-Titel fällt dort aus der Reihe. Und ist auch sonst eine Seltenheit.
„In Deutschland gab es bislang noch kein einziges Buch über Buchstützen“, sagt Stascheit. Nur in den Vereinigten Staaten seien bislang überhaupt kunsthistorische Abhandlungen zum Thema publiziert worden, fünf erschienene Bücher hat der Sammler gezählt. In Amerika sei außerdem auch die Buchstützenliebhaberei mit Abstand am ausgeprägtesten. Und in Australien: Dort würden die Stützen gerne zu Hochzeiten verschenkt.

Dass die kunstgeschichtliche Forschung die Buchstützen bislang so stiefmütterlich behandelt hat, findet der Jurist und Verleger irritierend. „Warum das so ist, kann ich mir nicht erklären“, sagt Stascheit. „Fingerhüte, Spazierstöcke, Teekannen: Über all das gibt es viel mehr Literatur.“
Die Buchstützen, sagt Stascheit, seien nicht nur ein weitgehend unerforschtes, sondern auch ein recht junges Phänomen. Er geht davon aus, dass sie im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts entstanden sind. Die ersten Exemplare waren einfach Metallwinkelstützen, in einem Buch fand der Sammler einen Hinweis, dass sie 1870 erstmals auf den Markt kamen. In seinem eigenen Band ist ein Buchstützenpatent abgedruckt, das dem Amerikaner William Stebbins Barnard im Jahr 1877 erteilt wurde. In Deutschland eroberte das Unternehmen Soennecken den Markt – und verkauft seine schlichten Metallexemplare bis heute.

Warum aber wurden die Buchstützen überhaupt erfunden? Das habe viel mit der Entwicklung des Buchmarkts zu tun, glaubt Stascheit. An der Schwelle zum 19. Jahrhundert boomte er: Die Alphabetisierung machte große Fortschritte, Bücher wurden zum Alltagsgegenstand. Um die Nachfrage bedienen und preiswerter produzieren zu können, schufen die Hersteller eine neue Art, ihre Bücher zu binden. Die Bindung war nun nicht mehr „standfest“. Die Notwendigkeit, die Bücher im Regal vor dem Umfallen zu schützen, sorgte für ein neues Produkt: die Buchstütze.
Die ersten plastischen Buchstützen entstanden schon wenig später, nach Ansicht von Sammler Stascheit vermutlich jedoch nicht vor 1900. Geprägt waren sie von den vorherrschenden Formsprachen der Zeit, von Jugendstil und Art déco. Und die industrielle Revolution half dabei, sie zum Massenprodukt zu machen. Das nun einfach vervielfältigbare Kunsthandwerk wurde zum Statussymbol in den bürgerlichen Haushalten.

Seit er damals sein erstes Buchstützenpaar in New York gekauft habe, habe sich der Markt für historische Buchstützen stark gewandelt, sagt Stascheit. Die Zeiten, in denen die wenigen Sammler nach Paris, London oder in die Vereinigten Staaten reisten, um bei Antikhändlern ihr Glück zu suchen, sind schon länger vorbei. Heute werden Buchstützen auf Internetplattformen wie Ebay gehandelt. Das macht die Suche einfacher und den Markt übersichtlicher, es raubt aber auch einiges des Zaubers früherer Jahre. Sein letzter Buchstützenkauf liege auch deshalb ein paar Jahre zurück, sagt Stascheit. „Die Sache ist langweiliger geworden.“ Er bedauert das.