Ukraine-Krieg: Selenskyj zum Verzicht auf besetzte Gebiete bereit, falls Rest-Ukraine in die Nato kommt

Der ukrainische Präsident rückt von der Forderung auf territoriale Integrität des Landes ab. Er ist bereit, vorläufig auf die von Russland besetzten Gebiete zu verzichten, falls die restliche Ukraine sofort in die Nato kommt.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ist angesichts der zurückweichenden Front offenbar zu erheblichen Zugeständnissen an Russland bereit, um den Krieg zu beenden. Er schlug am Freitagabend in einem Interview mit den Sender Sky News vor, der Ukraine die Mitgliedschaft im westlichen Militärbündnis Nato zu gewähren, gleichzeitig aber Russland vorerst zu gestatten, die besetzten ukrainischen Gebiete zu behalten.

Damit könne die „heiße Phase“ des 33 Monate andauernden Krieges beendet werden. Man könne einfach den nicht von Russland eroberten Teilen die Nato-Mitgliedschaft geben. Die Einladung zur Nato-Mitgliedschaft müsse jedoch formal für die gesamte Ukraine gelten. „Man kann nicht nur einem Teil eines Landes eine Einladung aussprechen“, sagt Selenskyj.

„Wenn wir die heiße Phase des Krieges beenden wollen, sollten wir das Territorium unter den Schutzschirm nehmen, das wir unter Kontrolle haben“, sagte Selenskyj laut der englischen Übersetzung. „Das müssen wir schnell tun. Und dann kann die Ukraine die anderen Gebiete diplomatisch zurückerlangen.“

Kiew habe diesen Weg bislang nicht in Betracht gezogen, weil niemand in der Nato ihn offiziell vorgeschlagen habe, sagte Selenskyj. Außerdem müsse eine Nato-Einladung trotzdem an die gesamte Ukraine in ihren international anerkannten Grenzen gehen. Sein Land habe der Verfassung nach nicht das Recht, besetzte Gebiete als russisch anzuerkennen.

Der ukrainische Außenminister Andrij Sybiha bat einige Stunden zuvor die Nato, die Ukraine während eines Treffens in Brüssel nächste Woche zum Beitritt in das westliche Militärbündnis einzuladen. Das geht aus einem Brief hervor, über den die Agentur Reuters berichtet.

Das Schreiben spiegelt einen erneuten Vorstoß Kiews wider, eine Einladung zum Nato-Beitritt zu erhalten, die Teil des „Siegesplans“ von Präsident Wolodymyr Selenskyj ist. Selenskyj hatte den Plan im vergangenen Monat skizziert, um den Krieg zu beenden, der durch Russlands Invasion in der Ukraine im Jahr 2022 ausgelöst wurde.

Die Ukraine räumt ein, dass sie der Nato erst nach Beendigung des Krieges beitreten kann, aber eine Einladung zum jetzigen Zeitpunkt würde dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zeigen, dass eines seiner Hauptziele – die Verhinderung eines Nato-Beitritts Kiews – nicht erreicht werden kann. Die Nato hat erklärt, dass sich die Ukraine auf einem „unumkehrbaren“ Weg zur Mitgliedschaft befindet. Sie hat jedoch weder eine formelle Einladung ausgesprochen noch einen Zeitplan festgelegt.

Reuters/cuk