

Die Staats- und Regierungschefs von neun EU-Staaten und von Großbritannien sowie die Präsidenten des Europäischen Rats und der EU-Kommission haben sich am Montagabend in Berlin auf eine Erklärung zur Ukraine geeinigt. Zuvor hatte dort erstmals der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj direkt mit den entscheidenden amerikanischen Unterhändlern Steve Witkoff und Jared Kushner verhandelt. Wesentliches Thema waren Sicherheitszusagen zur Absicherung eines etwaigen Waffenstillstands mit dem Aggressor Russland. Was wurde in Berlin vereinbart?
Eine starke ukrainische Armee
Die Europäer wollen die ukrainische Armee dauerhaft unterstützen. Sie solle auch in Friedenszeiten mit 800.000 Soldaten ungefähr so stark sein wie jetzt, „um Konflikt abzuschrecken und das ukrainische Territorium zu verteidigen“. Das steht im Widerspruch zum ursprünglichen 28-Punkte-Plan der USA, die Kiew im Sinne Russlands eine Beschränkung von 600.000 Soldaten auferlegen wollten.
Eine multinationale Truppe mit US-Hilfe
Die Erklärung beschreibt die Aufgaben einer „multinationalen Ukraine-Truppe“ unter europäischer Führung, aber „unterstützt von den USA“. Sie soll wiederum die ukrainischen Streitkräfte unterstützen: bei der „Regeneration“ nach dem Krieg, bei der Sicherung des ukrainischen Luftraums und bei der Gewährleistung sicherer Meere. Ohne nähere Details heißt es, die Truppe werde auch „innerhalb der Ukraine operieren“. Das gehört zu den möglichen Elementen einer Friedenslösung, die der Kreml schon oft kategorisch ausgeschlossen hat.
In Berlin gab es aber keine neuen Zusagen für eine solche westliche „Koalition der Willigen“, die bisher maßgeblich von Frankreich und Großbritannien vorangetrieben wird. Deutschland hat sich bisher nicht bereit erklärt, Bundeswehrsoldaten dafür abzustellen. Die USA haben das ausdrücklich ausgeschlossen.
Ein amerikanisches Frühwarnsystem
Die amerikanischen Unterhändler haben zwar nicht die Erklärung der Europäer unterzeichnet, doch Witkoff und Kushner nahmen auch an dem Treffen der Europäer in Berlin teil; Präsident Donald Trump schaltete sich zu. Die Europäer erklären nun, die USA werde als Führungsmacht einen „Beobachtungs- und Verifizierungsmechanismus“ aufbauen, damit die Ukraine vor künftigen Angriffen früh gewarnt werde. Dabei wollen die Amerikaner offenbar zugleich einen „Konfliktlösungsmechanismus“ aufbauen – also in Moskau und Kiew gegebenenfalls auf Deeskalation hinwirken.
Beistandsgarantien wie in der NATO
Die entsprechende Passage in der europäischen Erklärung sieht zwar „eine rechtsverbindliche Verpflichtung“ vor, um im Falle eines zukünftigen bewaffneten Angriffs „Maßnahmen zu ergreifen, die den Frieden und die Sicherheit“ wiederherstellen. Jedoch lässt der folgende Satz den nicht benannten Garantiemächten die Möglichkeit offen, die Ukraine auch anders als militärisch zu unterstützen. Die Maßnahmen „können“ demnach militärisches Eingreifen, aber auch Geheimdienst- und Logistikunterstützung oder ein „wirtschaftliches und diplomatisches“ Vorgehen enthalten. Das entspräche dem aktuellen Grad der westlichen Unterstützung für Kiew.
Wirtschaftliche Unterstützung
Die Europäer bekräftigen ihr Versprechen, den Wiederaufbau der Ukraine mit „erheblichen Mitteln“ zu unterstützen und erwähnen „die Notwendigkeit, dass Russland die Ukraine … entschädigt.“ Dabei wird auf das inzwischen dauerhaft eingefrorene Staatsvermögen in Europa verwiesen, über dessen Verwendung zugunsten der Ukraine in der EU ein heftiger Streit tobt, von dem ungewiss ist, ob er beim Gipfeltreffen am Ende dieser Woche beigelegt werden kann. Bekräftigt wird auch die Unterstützung für einen EU-Beitritt der Ukraine.
Gebietsabtretungen werden nicht ausgeschlossen
Selenskyj, Merz und amerikanische Diplomaten waren am Montag zwar bemüht, Differenzen herunterzuspielen. Es wurde aber deutlich, dass die USA weiterhin Gebietsabtretungen der Ukraine an den Aggressor Russland für notwendig erachten, welche Selenskyj ablehnt. „In dem Dialog zu den Territorien gibt es bisher noch unterschiedliche Positionen“, sagte Selenskyj auf der Pressekonferenz mit Merz.
Die Erklärung der Europäer hält fest, dass allein „das ukrainische Volk“ über Territorialfragen befinden könne; damit respektieren sie – anders als Trump in etlichen Aussagen der vergangenen Wochen – den Umstand, dass nach der ukrainischen Verfassung ein Referendum dafür notwendig wäre. Eine solche Entscheidung könne erst getroffen werden, „wenn robuste Sicherheitsgarantien tatsächlich in Kraft sind“.
Die Europäer machen indirekt deutlich, dass sie territoriale Zugeständnisse an Russland keineswegs ausschließen: Man sei sich einig, heißt es im selben Absatz, dass einige Fragen erst am Ende der Verhandlungen gelöst werden könnten. Nichts sei entschieden, bis alles entschieden sei.
