Überschwemmungen in Südostasien: Anatomie einer Katastrophe – Wissen

Erst kam der Regen. Und dann das Holz. Ende November schossen im Norden Sumatras Unmengen an Baumstämmen mit der Sintflut aus den Bergen herab in die Täler. Sie krachten wie Rammböcke in die Häuser und erschlugen Mensch und Tier. Sie türmten sich in den Straßen auf, in den Dörfern und auf den Freiflächen. Diese Bilder gehören auch zu dem, was von dem verheerenden Starkregen und den Überschwemmungen in Südostasien bleiben wird.

Die indonesische Insel Sumatra war dabei nur der Hauptschauplatz einer Katastrophe, die sich aus einer Kombination aus Monsunregen und Doppelzyklon entwickelt hat und über halb Südostasien hinweggefegt war. Mehr als drei Millionen Menschen waren betroffen, mehr als 1750 Menschen starben. Heute, knapp zwei Wochen später, formt sich ein Bild, wie es dazu kommen konnte.

Es begann mit dem sogenannten Nordost-Monsun, der im Oktober in Südostasien einsetzte, nachdem sich die Winde über dem Indischen Ozean drehen. Auch dieses Jahr brachte das viel Niederschlag über die Region. Dann baute sich im ungewöhnlich warmen nördlichen Indischen Ozean Zyklon Senyar auf, bewegte sich nach Osten und schaufelte große Wassermassen nach Sumatra, Malaysia und in den Süden Thailands. Im Westen und Norden Sumatras rutschten Berghänge ab und begruben hunderte Menschen, der tagelange Regen und die Sturzfluten setzte hunderte Dörfer unter Wasser.

Zeitgleich entwickelte sich im nördlichen Indischen Ozean ein Schwestersturm, Zyklon Ditwah, der am 27. November auf Sri Lanka traf. Mehr als zwei Tage bewegte er sich über das Land, und zwar äußerst langsam, was die unglaublichen Regenmengen erklärt, die in den Bergen niedergingen. „Überschwemmungen während der Monsunzeit sind für uns gewöhnlich, wir erwarten sie sogar“, sagt der Hydrologe Lalit Rajapakse von der Universität Moratuwa in Sri Lanka auf einer Pressekonferenz.

Allerdings maximal einen halben Meter hoch und nicht bis zu fünf Meter hoch, wie es in einigen Regionen der Fall gewesen sei. „Selbst wenn sie den zweiten Stock in ihren Häusern erreichten, konnte das die Betroffenen manchmal nicht retten.“ Die Fluten und Erdrutsche legten den Inselstaat für Tage lahm: Regierungsgebäude blieben geschlossen und der Zugverkehr wurde eingestellt.

Klar ist aber, dass das Wetterereignis selbst nur einen Teil der Verheerungen erklären kann

Mit dem Klimawandel gewinnen Starkregenfälle an Stärke. Wärmere Luft kann mehr Feuchtigkeit aufnehmen, sieben Prozent mehr pro Grad Celsius. In einer im globalen Schnitt 1,3-Grad-wärmeren Welt macht sich das bereits bemerkbar. „Wir betreten eine neue Ära von Starkregenfällen“, sagt die Klimaforscherin Sonia Seneviratne von der ETH Zürich. „Mit zunehmender Erwärmung nehmen sie auf der Welt zu und besonders stark in Asien.“

Ein Team der sogenannten World Weather Attribution (WWA) hat Wetteraufzeichnungen ausgewertet und festgestellt, dass die Intensität von Starkregen in beiden Untersuchungsgebieten über die vergangenen Jahrzehnte zugenommen hat: in Malaysia und Sumatra um neun bis 50 Prozent und in Sri Lanka sogar um 28 bis 160 Prozent, je nach Datensatz.

Starkregenfälle wie zuletzt über Malaysia und Sumatra seien einst ein Jahrhundertereignis gewesen – im heutigen Klima aber bereits alle 70 Jahre zu erwarten. Starkregenfälle wie über Sri Lanka sogar alle 30 Jahre. Es sind also immer noch außergewöhnliche Ereignisse gewesen, die zu den verheerenden Überschwemmungen geführt haben. Noch jedenfalls. „Mit dem fortschreitenden Klimawandel werden sich die Wiederkehrzeiten weiter verringern“, sagt Maja Vahlberg, Beraterin des Roten Kreuzes und Mitautorin der WWA-Studie. „Niederschläge, die einst am Rande des Möglichen lagen, treten regelmäßig auf.“

Auch natürliche Klimaschwankungen hätten die Starkregenfälle begünstigt, darunter das Klimaphänomen La Niña. Weil sich diese in den Computermodellen nur schwer abbilden lassen, konnten die Attributionsforscher den genauen Anteil des Klimawandels an dem Ereignis diesmal nicht bestimmen.

Klar ist aber, dass das Wetterereignis selbst nur einen Teil der Verheerungen erklären kann. Die heftigen Regenfälle konnten erst deshalb so viel Leid und Zerstörung entfalten, weil sie auf ein bereits geschwächtes Ökosystem getroffen seien, schreibt eine Gruppe um die Professorin für Bodenwissenschaften Dian Fiantis von der Universität Andalas in The Conversation. Über Jahrzehnte seien Wälder abgeholzt worden, um Palmölplantagen und Goldminen zu errichten, wie Satellitenbilder dokumentieren. Mit dem Wald ging auch seine Schwammfunktion verloren. „Regenwasser, das einst langsam im Waldboden versickerte, strömt nun über das Land und verwandelt sich in reißende Wassermassen, die in die Häuser der Menschen eindringen.“

Für die Sturzfluten wurden aber nicht nur ideale Rampen geschaffen, sondern ihre potenziellen Abflusskorridore hinein auch noch bebaut – mit Häusern, Straßen und Krankenhäusern, in Sri Lanka und Sumatra.

Die mangelhafte Anpassung an den Klimawandel sieht ein internationales Forscherteam auch als die Folge eines Ungleichgewichts in der Klimaforschung. Das Team hat 700 000 Veröffentlichungen zum Klimawandel ausgewertet und die jeweiligen Forschungsinstitute den jeweiligen Ländern zugeordnet. Das Ergebnis erschien nun im Fachjournal Science Advances: Diejenigen Länder, die am verletzlichsten für die Klimafolgen sind, können derzeit nur wenig zur Klimaforschung beitragen.

So verantworten Chad, Niger, die Salomonen, Mikronesien und der Sudan gerade mal 0,04 Prozent aller Klimapublikationen – wohingegen die USA, China, Großbritannien, Deutschland und Australien auf mehr als die Hälfte kommen. „Dieses Ungleichgewicht ist nicht nur ein akademisches Problem“, schreiben die Wissenschaftler. Es habe „tiefgreifende Auswirkungen“ auf die globale Klimaresilienz und Anpassungsstrategien.

Auch im Fall der Überschwemmungen in Südostasien hätte eine besser entwickelte Klimaforschung womöglich helfen können, meint Mitautor Yi Li von der Nordwest Universität in Xianyang in der chinesischen Provinz Shaanxi. „Globale Klimamodelle liefern uns zwar die übergeordneten Trends, aber sie vernachlässigen oft die lokalen Details, die für die tatsächliche Vorsorge am wichtigsten sind“, sagt er. Untersuchungen, wie sich Wassereinzugsgebiete verhalten, wie die Veränderung der Landnutzung mit Niederschlägen interagiert oder wie soziale und politische Faktoren zur Anfälligkeit beitragen.

Vor allem bessere Überwachungsnetzwerke – mehr Regenmesser, Sensoren an Fließgewässern, eine bessere Radarabdeckung – sowie Frühwarnsysteme hätten einen Unterschied machen können. Darum fordern die Autoren eine „radikale Neuausrichtung der globalen Klimaforschung“ und empfehlen einen Wissens- und Finanztransfer aus den Industrieländern in den globalen Süden.

Das Wissen sei oft schon da, entgegnen dem zwei Wissenschaftler in derselben Ausgabe von Science Advances, es könne nur nicht genutzt werden, weil die materiellen Mittel fehlen, was wiederum an einer strukturellen und politischen Ungleichgewicht in der Welt liege. In manchen Landesteilen in Indonesien und Sri Lanka etwa gab es durchaus Vorwarnungen. Aber manchmal kamen sie zu spät oder überhaupt nicht an, weil Stromleitungen und Telefonmasten, Straßen und Brücken schon beschädigt waren und die betroffenen Dörfer abgeschnitten.