
Nach heutigem Stand gehört Kauã Santos bei Eintracht Frankfurt auf jeden Fall die Zukunft. Das Torhüter-Talent aus Brasilien ist 21 Jahre alt, und sein Vertrag am Main läuft noch eine ganze Weile: bis zum 1. Juli 2030, erst im Oktober 2024 hatte Kauã Santos sein Arbeitspapier zu besseren finanziellen Konditionen vorzeitig verlängert. Rosige Aussichten für den 1,98 Meter großen Hünen.
Aber wie es jetzt aussieht, könnte seine Zeit schon viel früher gekommen sein, denn der junge Familienvater, der seit 2023 sein Geld in Deutschland verdient, ist aktuell gefragt. In den Duellen mit Bochum (3:1) und im Rückspiel in der Europa League mit Ajax Amsterdam (4:1) hütete Kauã Santos mit Erfolg das Frankfurter Tor. Er habe in Bochum „ein richtig gutes Spiel gemacht“, sagte sein Trainer Dino Toppmöller am Freitag. Kauã Santos habe auch im Hinblick darauf, wie er mit Druck, Erfolg und schlechten Spielen umgeht, gezeigt, „dass er in den letzten zwei Jahren enorme Schritte gegangen ist“.
Auch an diesem Samstag (18.30 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zur Bundesliga und bei DAZN) im Waldstadion gegen den VfB Stuttgart wird der Profi mit der Trikotnummer 40 vor ausverkauftem Haus die Nummer eins zwischen den Pfosten sein; der langjährige Stammtorhüter Kevin Trapp, der in dieser Woche nur individuell mit Torwarttrainer Jan Zimmermann, aber nicht mit der Mannschaft trainieren konnte, ist nach Schienbeinproblemen nämlich noch nicht so wiederhergestellt, dass es Sinn ergeben würde, ihn acht Spieltage vor Rundenende im Kampf um einen Champions-League-Platz ins Rennen zu schicken.
Druck auf das Establishment
Toppmöller wünscht sich, dass Trapp in der kommenden Woche sein Programm steigern und wieder ins Training mit dem Team einsteigen kann. An der grundsätzlichen Reihenfolge der Torhüter, teilte der Trainer mit, habe sich nichts geändert. „Wir müssen im Hier und Jetzt bleiben“, betonte Toppmöller. „Es macht wenig Sinn, in Hypothesen, Spekulationen oder Szenarien zu sprechen.“ Was der Trainer noch sagte, ist, dass Trapp aber gut mit seiner Situation umgehe.
Dessen Herausforderer mit den großen Perspektiven, Kauã Santos, bietet sich nun abermals die Möglichkeit, sich an vorderster Stelle zu positionieren und aktuell sein beachtliches Können zur Schau zu stellen. Der Brasilianer, der in seiner Heimat zweimal im Tor der U20-Nationalmannschaft stand und sich neuerdings angeblich im Blickfeld der A-Nationalmannschaft befindet, nutzte bisher seine Chance. Er übt Druck auf das Establishment in Person von Kevin Trapp aus – mit Leistung. Sein Auftritt in Bochum war mit Paraden und reflexartigen Bewegungen bemerkenswert.

Nicht der alte Fahrensmann Trapp machte wie so oft in der Vergangenheit den Unterschied auf dem Platz, sondern der Jungspund Kauã Santos im Stil eines Überfliegers, der souverän die Bälle in der Luft abfängt. Der Brasilianer besitzt eine große Sprungkraft und eine gute Technik am Ball. Und er überzeugt mit seiner Ausstrahlung: Kauã Santos wirkt präsent und energiegeladen; seinem Spiel haftet oft etwas Spektakuläres an. All das und Trapps momentan nachlassendes Leistungsvermögen auf höchstem Niveau sind Anzeichen dafür, dass sich eine Zeitenwende im Eintracht-Tor anbahnt.
Die Frage ist nur, wann der Moment gekommen ist, an dem Trapp seinen hohen Stellenwert einbüßt und Kauã Santos in der Hierarchie den entscheidenden Statussprung nach vorne macht.
Trapp sei fast „von Ehrgeiz zerfressen“
Trapp, 34 Jahre alt und Kapitän der Mannschaft mit Vertrag bis zum 1. Juli 2026 mit Option auf ein weiteres Jahr, hat seine gewohnte Souveränität ein bisschen eingebüßt. Absolute Spitzenleistungen gelangen ihm früher öfters. Ihm unterliefen Fehler, es zeigte sich abermals, dass seine Strafraumbeherrschung nicht den Ansprüchen eines herausragenden Torhüters genügt.
Dessen Spieleröffnung ist ebenfalls nicht vorbildlich, nur etwa 30 Prozent seiner langen Bälle erreichen die Mitspieler. Bei den abgewehrten Bällen beträgt Trapps Quote 72 Prozent, das ist ein ordentlicher, aber kein überdurchschnittlich guter Wert; damit rangiert er im Kreis der Erstligatorhüter nicht auf den ersten Plätzen. Die sogenannten „unhaltbaren“ Bälle wehrt der Nationaltorwart von einst auch nicht mehr in der gewohnten Form ab. Intern soll Trapp nicht mehr unumstritten sein. Nur ihn jetzt abzuschreiben, wäre nach den mit ihm gemachten Erfahrungen verfrüht – und vermutlich ein Fehler.
Denn immer wenn Trapp nach einer ungewollten Auszeit ins Tor zurückkehrte, war er zur Stelle. Einen rundum unzuverlässigen Eindruck im Tor hinterließ er ohnehin nie. Trapp sei fast „von Ehrgeiz zerfressen“, urteilte Dino Toppmöller jüngst über seinen Führungsspieler. „Solange ich fit bin, will ich auf dem Platz stehen“, betont Trapp. Eine Ansage, die es ernst zu nehmen gilt.
Kein Selbstläufer für den Platzhirsch
Frei von Fehlern war auch Kauã Santos nicht, für den die Eintracht nicht mal zwei Millionen Euro an Flamengo überwiesen hat. Sein Slapstick-Eigentor im Heimspiel gegen Mainz (1:3) bleibt in Erinnerung. Wie für einen Nachwuchsmann nicht unüblich, schwankt er in seinen Leistungen – von überragend bis tollpatschig und wieder zurück. Die Sicherheit, dass Kauã Santos dem Status der Nummer eins auf Dauer gewachsen ist, kann der Brasilianer Dino Toppmöller noch nicht bieten. Der Trainer dürfte sich daher davor hüten, im Saisonendspurt im Kampf der Generationen die Wachablösung im Eintracht-Tor vorzunehmen.
Zumal die Frankfurter Identifikationsfigur Trapp – mit dessen 378 Spielen für die Eintracht kommt nur der ehemalige Torwart Oka Nikolov auf mehr Einsätze – und dessen Reputation dann nach rund zehn Dienstjahren am Main Schaden nehmen würden. Trapps Degradierung ins zweite Glied hätte weitreichende Folgen für alle Arbeitsbereiche bei der Eintracht. Denkbar wäre, dass es in der Saisonvorbereitung auf die neue Spielzeit – die Eintracht wird vom 22. Juli bis zum 3. August ein Trainingslager in den Vereinigten Staaten in Louisville und Philadelphia beziehen – zu einem offenen Duell zwischen Trapp und Kauã Santos im Tor kommen wird.
Nach jetziger Prognose dann mit ungewissem Ausgang. Ein Selbstläufer für Trapp als Platzhirsch wie in den vergangenen Jahren könnte es nicht werden.