Tuffis Sprung aus der Schwebebahn vor 75 Jahren

Erst mal läuft alles nach Plan an diesem 21. Juli 1950. Am Alten Markt in Wuppertal kauft Zirkusdirektor Franz Althoff sechs Tickets. Eins für sich, fünf für die kleine Elefantenkuh Tuffi. So ist es ausgemacht mit den Wuppertaler Stadtwerken. Tuffi ist Vollprofi, was öffentliche Verkehrsmittel angeht. Straßenbahn ist sie schon gefahren, hat eine Hafenrundfahrt gemacht, und im Bus ist sie quasi ständig unterwegs. Aber die Schwebebahn ist ihr nicht geheuer. Ob es das Quietschen ist, das Schaukeln in der Kurve oder die vielen Journalisten in dem engen Waggon – dem jungen Elefanten wird es zu viel. Noch vor der ersten Haltestelle schlägt sie mehrere Fenster ein und springt aus der Schwebebahn ins Wasser darunter.

Am Montag jährt sich Tuffis Sprung in die Wupper zum 75. Mal. Wenn man heute am Ort des Geschehens steht, ist die Wupper eher ein Bächlein als ein Fluss. Die grünen Stahlstützen der Schwebebahn ragen hier zehn Meter hoch. Angeblich schlug Tuffi seitlich aufs Wasser auf und landete weich in einem Schlammloch. Das Tier blieb unverletzt. Heute erinnert eine graue Elefantenskulptur im Bach an Tuffi, deren Sprung längst zu einer der liebsten Lokallegenden Wuppertals geworden ist.

Tassen, Karten, Plüschtiere und Tuffi-Kekse gibt es. Seit die Geschichte auch im reichweitenstarken Podcast „Fest & Flauschig“ von Jan Böhmermann und Olli Schulz erzählt wurde, hat der Elefant bei jüngerem Publikum über Wuppertal hinaus ebenfalls Fans. Touristen lieben die Geschichte, kann auch Roberto Kätker bestätigen. Der 26-jährige Stadtführer hat ein Tuffi-Spezial für das Jubiläumswochenende vorbereitet. „Wenn ich sonst die regulären Führungen mache, wo es schon auch viele Daten und Zahlen gibt, lockert Tuffi immer die Stimmung. Das ist einfach so eine kuriose Vorstellung: ein Elefant in der Schwebebahn.“

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.



Kurios war das schon 1950. Das wusste auch Zirkusdirektor Althoff. „Tuffi war seinerzeit unser Reklame-Gag“, erzählte Althoff 1964 in einem WDR-Auftritt. „Sie fuhr mit Straßenbahn und Autobus. Sie ging in Kaufhäuser und besuchte den Oberbürgermeister von hier und von dort.“ Dann, so fährt Franz Althoff fort – elegant in Anzug mit Krawatte und mit viel Pomade im Haar – seien sie nach Wuppertal gekommen. „Und da sagte ich mir: Warum soll Tuffi nicht auch mal Schwebebahn fahren?“

Kein Journalist hielt den historischen Moment fest

Dass das eine Topstory werden würde, dachten sich auch die Journalisten, die an dem Tag den Waggon füllten. Obwohl im Presse-Zugabteil viele mit Kameras ausgestattet waren, schaffte es niemand, den historischen Moment festzuhalten. Die bekannteste Darstellung, ein kleiner Elefant, der gerade aus der Bahn zu kippen scheint, ist eine Fotomontage.

Wohl auch deswegen gibt es Gerüchte, der Sprung hätte gar nicht stattgefunden, sondern sei die eigentliche Marketing-Aktion. Zudem haben die Wuppertaler Stadtwerke keine Unterlagen zu dem zerstörten Zugabteil. Einen Prozess aber gab es: Franz Althoff wurde zu 150 D-Mark Strafe verurteilt. Auch die Stadtwerke mussten für ihre Erlaubnis, den Elefanten überhaupt einsteigen zu lassen, blechen.

In Wuppertal kennen Tuffi alle

Tuffi war bei ihrer ersten und letzten Schwebebahnfahrt erst vier Jahre alt. Noch ein Kind, das Althoff nur bis zur Schulter ging. Die asiatische Elefantenkuh wurde in Indien geboren. In Interviews von damals beschreibt Zirkusdirektor Althoff sie als außergewöhnlich zutraulich. Angst vor Menschen habe sie keine gehabt, deswegen wurde sie die Auserwählte fürs Marketing. Tuffi blieb im Zirkus Althoff bis in die Sechzigerjahre. „Ihre Spuren zu verfolgen, war sehr schwierig“, sagt Stadtführer Roberto Kätker. Aber recht sicher sei er, dass Tuffi schließlich an einen Pariser Zirkus verkauft wurde. Dort starb das Tier dann 1989.

Egal wie alt die Leute sind, die man in Wuppertal auf der Straße anspricht – alle kennen Tuffi. Dass die Geschichte heute im Gedächtnis der Stadt so positiv weiterlebt, liegt laut Kätker auch daran, dass nichts wirklich Schlimmes passiert ist. Einige der Journalisten, die dabei waren, wurden leicht verletzt. Auch Zoodirektor Althoff wurde wohl nur ein wenig gequetscht. „Deswegen ist es eine nette Anekdote und nicht, was es eigentlich ist: eine Geschichte über ein Wildtier in Panik“, so Kätker.

An dieser Stelle stürzte Tuffi in die Wupper. Ein Gedenkstein in Elefantenform erinnert heute daran.
An dieser Stelle stürzte Tuffi in die Wupper. Ein Gedenkstein in Elefantenform erinnert heute daran.Emma Schmidt

Neben den Souvenirs, Wandmalereien und Statuen gibt es in Wuppertal eine besonders lebendige Erinnerung an den berühmtesten Elefanten des Zirkus Althoff: eine neue Tuffi. Das Tier, ein Afrikanischer Elefant, ist heute neun Jahre alt, geboren im Wuppertaler Zoo. Ihre Tierpflegerinnen sagen, sie sei ein richtiger Teenager.

Auch Tuffi 2 ist „außergewöhnlich aufgeschlossen“

Nachmittags gibt es einen Snack in der Elefantenanlage: Äpfel, Pellets und Haselnussblätter, die frisch vom Strauch gezupft werden können. Während zwei Pflegerinnen die Zwischenmahlzeit weitflächig in der falschen Steppe verteilen, werden die sechs Elefanten noch durch ein Tor zurückgehalten. Ein neugieriges Mitglied aus Tuffis Familie rüsselt immer wieder hinüber, in freudiger Erwartung.

Tuffi 1 und Tuffi 2 scheint mehr als nur ihr Name zu verbinden. Michelle Kernberger, die seit fünf Jahren mit den Elefanten arbeitet, sagt, auch die heutige Tuffi sei außergewöhnlich aufgeschlossen. „Tuffi ist sehr intelligent, wissbegierig und hat super viel Spaß beim Training. Wenn wir mit ihr arbeiten, möchte sie gefallen, sie versucht die Kommandos perfekt auszuführen. Sie übernimmt auch schon Care-Arbeit für die Kleineren. Nur zu ihrem Bruder ist sie manchmal frech.“

Die Gepflogenheiten im Zoo haben sich verändert

Tuffi, die Ältere, war mit den Öffis unterwegs. Tuffi, der Jüngeren, wird gerade der direkte Kontakt zu Menschen abgewöhnt. Seit Dezember 2024 arbeiten Michelle Kernberger und ihre Kollegen nur noch durchs Gitter mit den Tieren. „Geschützter Kontakt“ nennt sich das. Früher war es normal für die Pflegerin, zu den Elefanten ins Gehege zu gehen. Bis 2030 soll es das in keinem Zoo des Europäischen Zooverbands mehr geben.

Die heutige Tuffi in ihrem Gehege im Wuppertaler Zoo, links neben ihr ein Herdenmitglied.
Die heutige Tuffi in ihrem Gehege im Wuppertaler Zoo, links neben ihr ein Herdenmitglied.Emma Schmidt

Michelle Kernberger findet den geschützten Kontakt gut. „Wir arbeiten somit auf komplett freiwilliger Basis mit den Tieren. Sie kommen jetzt zu uns. Das ist ein rein positiver Kontakt.“ Kernberger zufolge findet Tuffi es spannend, dieses neue Miteinander zu lernen. „Sie ist da ein kleiner Überflieger“, sagt die 30-Jährige liebevoll. Aber auch mit dem direkten Kontakt sei sie gut klargekommen.

Könnte man also mit der neuen Tuffi Schwebebahn fahren? Eine verrückte Idee, findet Kernberger, heute mehr denn je. Aus ihrer jahrelangen Erfahrung im Umgang mit den Wildtieren weiß sie aber: „Man kann Tiere an alles gewöhnen. Es kommt immer auf den individuellen Charakter an. Manche haben Bock, mit dir irgendwo hinzugehen und neue Sachen zu erkunden. Andere sind eher ängstlich.“

Auch ein Hund muss an öffentliche Verkehrsmittel gewöhnt werden

Die Tuffi im Jahr 1950 kannte nur das Leben im Zirkus, in der Manege, vor der Menschenmenge. Jeden Monat eine neue Stadt. Daher müsse das Straßenbahn- und Autobusfahren für Tuffi damals nicht zwangsläufig eine quälende Erfahrung ge­wesen sein. „Selbst Schwebebahnfahren muss nicht grundsätzlich Stress bedeuten, wenn man das Tier daran gewöhnt hat“, ordnet Kernberger ein. Das sei mit Elefanten grundsätzlich nicht anders als etwa mit einem Hund.

Trotzdem scheint die Geschichte des Wuppertaler Schwebebahnsprungs exemplarisch dafür zu stehen, wie gestört die Tier-Mensch-Beziehung manchmal gerät: Ein Tier, das für einen Reklame-Gag in solche Angst versetzt wird, dass es sich Meter in die Tiefe stürzt, um dem Schaukeln und Quietschen der Bahn, dem Gedränge und Geschubse der Journalisten zu entkommen.

Nach ihrem Sturz jedoch wartete Tuffi treu in der Wupper auf ihren Direktor. Noch am selben Abend spielte sie ihre nächste Show – nach dem Wuppersprung dann auch mit einem neuen Trick. So steht es in einem Artikel aus der F.A.Z. vom Oktober 1950. Auf Althoffs Frage: „Na Tuffi, magst du noch mal mit der Schwebebahn fahren?“, rüsselte der Elefant von links nach rechts – nein, danke.