
Ein Spiel dauert 90 Minuten, Sepp Herberger sei Dank zählt diese Weisheit zum fußballerischen Allgemeinwissen. Allerdings war der Satz bereits zu Zeiten des Weltmeistertrainers von 1954 nicht ganz richtig: Schon bei Herbergers Triumph in der Schweiz ging so manches Spiel in die Verlängerung. Seitdem hat der Fußball diverse Varianten ausprobiert, um bei Gleichstand einen Gewinner zu ermitteln: Entscheidungsspiele, Elfmeterschießen, Golden Goal. Ach ja, ein Silver Goal gab es sogar auch mal. Das bescherte Griechenland übrigens den Finaleinzug bei der Euro 2004.
Im Amateurbereich tüfteln die Verantwortlichen Jahr für Jahr an Möglichkeiten, möglichst viel Gerechtigkeit in den Relegationsspielen walten zu lassen. Die Krux liegt dabei in der Natur der Sache, der Modus der Relegation sorgt seit Längerem für Diskussionen – und trägt mitunter kuriose Blüten wie vergangene Woche in Mittelfranken: Der SV Tennenlohe, die DJK Göggelsbuch und Türkspor Nürnberg sollten untereinander zwei Aufsteiger aus der Kreis- in die Bezirksliga ermitteln. Jeder gegen jeden, ohne Rückspiel. So weit, so klar – wäre da nicht ein Detail, das die Verantwortlichen von Türkspor im Nachhinein zur diplomatisch verpackten Einschätzung gelangen lässt, das Reglement sei „nicht durchdacht“ gewesen.
Im letzten Spiel des Triells um den Aufstieg stand es kurz vor Schluss 1:1 zwischen den Nürnbergern und Göggelsbuch. Aufgrund der vorherigen Ergebnisse hätte dieses Resultat den Aufstieg für Türkspor bedeutet. Göggelsbuch hingegen fehlten zu diesem Zeitpunkt zwei Treffer zur Bezirksliga. „Die meisten dachten, dass wir durch sind“, erinnert sich Muarrem Demir, Abteilungsleiter von Türkspor Nürnberg, an die letzten Minuten der Partie vom vergangenen Freitag.
Doch das Regelwerk hielt eine kleine, aber pikante Nuance bereit: In der Aufstiegsrunde muss jedes Spiel einen Sieger haben, das 1:1 würde somit die Verlängerung bedeuten. Göggelsbuch stellte deshalb kurz vor Schluss sämtliche Angriffsbemühungen ein, um 30 zusätzliche Minuten für die zwei Tore zu bekommen. Türkspor hingegen stand vor der Wahl: Sollte das Team das Unentschieden halten und die Verlängerung riskieren – oder in letzter Sekunde ein Eigentor schießen? Das hätte zwar eine 1:2-Niederlage bedeutet, aufgrund der besseren Tordifferenz aber wäre Türkspor damit sicher aufgestiegen.
Über den Modus lasse sich „trefflich diskutieren“, sagt selbst der BFV
„Für uns war klar: Wir spielen durch“, sagt Abteilungsleiter Demir. Die Partie ging also in die Verlängerung. Und weil der Ball rund ist, der Fußball bekanntlich seine eigenen Gesetze hat und ein Spiel eben nicht immer 90 Minuten dauert, kam das, was kommen musste: Göggelsbuch erzielte in der Verlängerung zwei Tore und steigt auf, während sie bei Türkspor mit dem Regelwerk hadern. „Es kann nicht sein, dass man als Spieler überlegen muss, ein Eigentor zu schießen, damit man seiner Mannschaft hilft und dadurch aufsteigt“, erklärte Kapitän Emirhan Karaaslan kurz nach Abpfiff gegenüber dem Portal anpfiff.info.
Auch Abteilungsleiter Demir trauert dem sicher geglaubten Aufstieg hinterher. „Es tut weh“, sagt er. Der Verein hat inzwischen Einspruch eingereicht, der Fall lag beim Sportgericht. Das aber hat ihn abgewiesen. Es lag ja kein Regelverstoß vor, somit ist die Instanz nicht zuständig. „Ergebnistechnisch kann man nichts sagen“, erklärt Demir. Türkspor ist fair geblieben – und auch deshalb nicht aufgestiegen. Klar, dass das in Nürnberg für Unverständnis sorgt.
Der zuständige Bezirksspielausschuss will sich jetzt nochmal mit der Thematik befassen, hat eine Entscheidung jedoch zunächst vertagt. Demir jedenfalls hat die Hoffnung nicht aufgegeben, dass sich noch etwas tut. Nur: was? Und wenn ja: wann? „Es gibt noch keinen Termin“, sagt Demir. „Die Ungewissheit geht weiter.“ Auch der Bayerische Fußball-Verband (BFV) ist von den bisherigen Regelungen zur Relegation nicht restlos überzeugt. „Dass sich über den Modus trefflich diskutieren lässt, ist unbestritten“, teilt der Verband mit. Gleichzeitig weist der BFV darauf hin, dass alle an der Relegation beteiligten Vereine frühzeitig und umfassend über die Regelungen informiert wurden „und damit auch die Möglichkeit hatten, frühzeitig entsprechende Rechtsmittel gegen die Durchführungsbestimmungen einzulegen“. Dies sei nicht geschehen. In der kommenden Saison soll jedoch ein neuer Modus für die Relegation eingeführt werden – wieder einmal.
Trotz der verfahrenen Situation sieht Muarrem Demir auch Positives in der derzeitigen Lage seines Vereins. Seit dem Wochenende erreichen Türkspor Nürnberg zahlreiche Zuschriften und Solidaritätsbekundungen. „Das ist schön zu hören“, findet der Abteilungsleiter. Gleichzeitig ist er stolz auf seine Mannschaft, die versucht hat, auf sportlich fairem Weg den Aufstieg in die Bezirksliga zu schaffen. Man habe „Charakter gezeigt“, findet Demir.
Auch der große Zinédine Zidane hat sich wie Sepp Herberger mit der Dauer von Fußballspielen und den Gefühlswelten danach befasst. „Ein Spiel dauert 90 Minuten, aber Erinnerungen an Fußball bleiben ein Leben lang“, erklärte der einstige Weltfußballer einmal. Der erste Teil stimmt im Fall von Türkspor Nürnberg nicht. Der zweite dafür umso mehr.