

Der Präsident war großzügig. Weil Ungarn als Binnenland keinen Meereszugang habe, dürfe es noch ein Jahr länger günstiges russisches Pipeline-Öl und -Gas importieren, beschied Donald Trump seinem darüber zufrieden lächelnden ungarischen Amtskollegen Viktor Orbán. Darüber, dass das Argument vom fehlenden Marktzugang Ungarns wegen einer möglichen Belieferung aus Kroatien und anderen Ländern ein äußerst fadenscheiniges ist, sah Trump geflissentlich hinweg. Dass Orbán in Washington den Kauf von verflüssigtem Gas (LNG) für 600 Millionen Dollar versprach, wie es hernach aus dem Weißen Haus hieß, dürfte dem Geschäftsmann im Oval Office allerdings gefallen haben.
Mit der Ankündigung groß angelegter LNG-Käufe in Amerika für viele Milliarden Dollar hatte schon EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Trump milde gestimmt. Der ist zwar nicht der erste amerikanische Präsident, der Europas Abhängigkeit von russischen Energielieferungen stoppen will. Doch so weit wie er hat noch keiner seiner Vorgänger das Projekt vorangetrieben.
Trump fährt zweigleisig
Die EU hat die Öleinfuhr aus Russland bereits bis auf wenige Ausnahmen untersagt, denn sie will den russischen Krieg gegen die Ukraine nicht finanzieren. Spätestens 2028 soll gar kein russisches Gas mehr abgenommen werden. Das gelangt heute per Pipeline ausschließlich über die Türkei nach Europa. Doch Trump erhöht den Druck. Seine Regierung geht zweigleisig vor: Einerseits zieht sie die Daumenschrauben an, andererseits ermuntert sie den Bau neuer Verbindungen in Südosteuropa – auch, um mehr amerikanisches LNG verkaufen zu können.
In Serbien, Bulgarien und Rumänien führen die amerikanischen Sanktionen und das Verlangen nach dem Ausstieg russischer Eigner zu hektischer politischer Betriebsamkeit. Das trifft etwa die NIS-Raffinerie nahe Belgrad. Sie ist der wichtigste Hersteller von Benzin und Diesel in Serbien. Mehr als die Hälfte der Anteile halten russische Eigner um den Moskauer Staatskonzern Gazprom. Um keinen Ärger mit Washington zu bekommen, hat Kroatiens JANAF die Lieferung von Öl nach Serbien eingestellt. Schon revidieren Ökonomen die Wachstumsprognosen Serbiens nach unten.
Serbien verabschiedet „32-Sekunden-Gesetz“
Immerhin hat Gazprom sich gegenüber dem amerikanischen Finanzministerium bereit erklärt, seine Anteile abzugeben. Das teilte Serbiens Energieministerin Dubravka Đedović Handanović vor wenigen Tagen mit. Der ungarische Staatskonzern MOL galt als möglicher Erwerber eines kleinen Anteils an NIS, was dazu führen würde, dass der Russland zugerechnete Anteil unter 50 Prozent sinken würde. „Die Zeit läuft ab“, hatte die Ministerin gewarnt. Die Bürger dürften nicht leiden, und der Treibstoff dürfe nicht ausgehen. Die Ölvorräte reichen nach Berichten aus Belgrad bis zum 25. November.
Vier Tage früher, am 21. November, treten die US-Sanktionen gegen die staatliche russische Rosneft und das Privatunternehmen Lukoil samt seinen 34 Tochtergesellschaften in Kraft. Dazu gehört auch die Lukoil-Raffinerie Neftochim in Burgas mit mehr als 220 Tankstellen. Ein Versuch der Russen, ihre internationalen Aktivitäten und damit auch diese Raffinerie zu verkaufen, war unlängst gescheitert. Der vorgesehene Erwerber, der Genfer Rohstoffhändler Gunvor, war in den Augen der Sprecherin des Weißen Hauses nicht mehr als eine „Marionette des Kremls“.
Das bulgarische Parlament hat danach vorige Woche in großer Eile ein Gesetz beschlossen, das den größten Industriebetrieb Bulgariens unter Staatsverwaltung stellt. Wegen der fixen Abstimmung sprechen Spötter vom „32-Sekunden-Gesetz“. Bei dem Plan hat das deutsche Modell der Raffinerie Schwedt Pate gestanden. Die ehedem von Rosneft betriebene Raffinerie steht unter Treuhandverwaltung der Bundesnetzagentur. In Bulgarien soll ein Sonderverwalter mit weitreichender Verfügungsgewalt eingesetzt werden, damit die Raffinerie auch künftig weiter Benzin, Diesel und Kerosin produzieren kann.
Türkei weicht auf amerikanisches LNG aus
Auch in Rumänien erwägt die Regierung eine Übernahme der Kontrolle über die dortigen Lukoil-Aktivitäten. Der Konzern betreibt dort 320 Tankstellen, die drittgrößte Raffinerie und verfügt über Schürfrechte im Schwarzen Meer. Laut einem Bericht der Agentur Reuters erwägt derweil das amerikanische Private-Equity-Unternehmen Carlyle, Auslandsvermögen von Lukoil zu kaufen.
Weiter im Südosten kämpft die von günstigen russischen Gas- und Ölimporten profitierende Türkei um Ausnahmen von Trumps Bannstrahl gegen Energiebezüge aus Russland. „Die sind für uns lebenswichtig“, sagte Handelsminister Ömer Bolat unlängst deutschen Reportern. Die Türkei ist aktuell nach Indien und China der drittgrößte Abnehmer von russischem Öl. Doch Ankara schaut sich schon nach neuen Lieferanten um. Nicht zufällig wurde man in den USA fündig. Am Rande des Washington-Besuchs von Präsident Recep Tayyip Erdoğan unterzeichnet der Staatskonzern BOTAŞ im Oktober ein Abkommen, das den Import von jährlich vier Milliarden Kubikmetern LNG vorsieht – über zwanzig Jahre.
Ukraine ist im Krieg auf US-Gas angewiesen
Auch die Ukraine setzt auf US-Gas. Die fortwährenden russischen Angriffe auf das Energiesystem haben neben der Stromversorgung auch mehr als zwei Drittel der lokalen Gasproduktion außer Gefecht gesetzt. Hilfe kommt über die Ostsee. Ende voriger Woche teilte der staatliche ukrainische Konzern Naftogaz mit, er werde vom polnischen Energiekonzern Orlen bis zu 300 Millionen Kubikmeter LNG aus Amerika beziehen. Schon am Anfang des Jahres hatten sie einen Vertrag über den Kauf von 450 Millionen Kubikmetern geschlossen.
Der Vorstandsvorsitzende von Naftogaz, Sergii Koretskyi, äußerte sich erfreut über „die Sicherstellung zusätzlicher Mengen an importiertem Gas, die während der Heizperiode aufgrund der russischen Angriffe auf die zivile Energieinfrastruktur der Ukraine dringend benötigt werden“. Mindestens ebenso hilfreich für die finanziell klamme Regierung in Kiew war die von der polnischen Exportkreditagentur gebilligte nachträgliche Zahlung. Das helfe, „die derzeitige Liquiditätslücke zu schließen“.
Trasse wird umfunktioniert
Um die durch russische Angriffe ausgefallene Produktion auszugleichen, hat die Ukraine im November die Gasimporte aus Südosteuropa wieder aufgenommen. Die Transbalkanroute führt über die Republik Moldau, Rumänien und Bulgarien bis zu den griechischen LNG-Terminals Alexandroupolis nahe den Dardanellen und Revythousa bei Athen.
Das birgt eine gewisse Ironie. War die Trasse doch zu Sowjetzeiten gebaut worden, um Gas aus Sibirien bis nach Bulgarien zu pumpen. Jetzt geht es andersherum, von Griechenland über Bulgarien in die Ukraine, die von Russland nichts mehr wissen will.
Am Wochenende teilte Naftogaz mit, man wolle auch über das griechische Unternehmen Atlantic-See LNG Trade verflüssigtes US-Gas beziehen. Ziel sei eine stabile und langfristige LNG-Versorgung, die Integration der ukrainischen Infrastruktur in die europäischen LNG-Logistikrouten sowie der Aufbau eines nachhaltigen Systems zur Lagerung und Versorgung von amerikanischem LNG. Auch hier waren Minister Donald Trumps bei der Vertragsunterzeichnung zur Stelle. Der Vertrag soll bis zur Mitte des Jahrhunderts laufen.
EU will Gasleitungen in Bulgarien nicht mitfinanzieren
Allerdings müssen die Transportkapazitäten im Südosten Europas noch ausgebaut werden. Auch bei der Ertüchtigung des „vertikalen Korridors“ sind die USA mit von der Partie. Erst vorige Woche ging es auf einer hochrangig besetzten Konferenz in Athen um die Frage, was alles zu tun sei, um russisches Gas zügig durch amerikanisches zu ersetzen.
Vor allem in Bulgarien soll das Gasnetz ertüchtigt werden, damit es die geplante Kapazität von jährlich zehn Milliarden Kubikmetern bewältigen kann. Die Kosten einer halben Milliarde Euro trägt der staatliche Netzbetreiber Bulgartransgaz. Von der EU gibt es dafür keine Mittel. Denn in Brüssel gilt der klimaschädliche Brennstoff als Auslaufmodell, für die Finanzierung von Gasleitungen gibt die Union deshalb auch kein Geld.
Der Bau von LNG-Häfen an der Schwarzmeerküste Bulgariens oder Rumäniens machen als Alternative zum Leitungsausbau keinen Sinn. Die Türkei lässt die Passage der LNG-Tanker durch den Bosporus aus Sicherheitsgründen nicht zu. Griechenland und die Türkei können so vom LNG-Handel profitieren. Das wird insbesondere für die Türkei von Bedeutung sein, wenn ab 2028 die EU kein russisches Gas mehr abnehmen will, das bisher durch das Schwarze Meer in die Türkei gepumpt wird.
Der zügige Ausbau der LNG-Häfen in der Adria und im Norden der Ägäis sowie geplante Gasförderung vor der rumänischen Schwarzmeerküste sollten die Versorgungssicherheit in Südosteuropa und der Ukraine erhöhen, argumentiert Fabian Laminger, Infrastrukturspezialist bei der Raiffeisenbank International (RBI). „Im Optimalfall könnte Osteuropa somit 2028 kaum auf russisches Turkstream-Gas angewiesen sein.“ Langfristig werde das zusätzliche LNG-Angebot zahlreicher Projekte in Kanada, Qatar und den USA die russische Lücke mehr als ausgleichen.
So scheine es der EU nach „mehreren schmerzhaften Jahren mit erhöhten Gaspreisen und entsprechenden Wettbewerbsnachteilen“ zu gelingen, die langfristige Verbindung zu Russland zu kappen, ohne sich kurzfristig zu schaden. Gleichwohl bleibe die Frage, ob Europa nicht von der Traufe in den Regen komme, warnt Laminger. „Kurzfristig mag die Ausweitung der US-Lieferungen der EU im Handelskonflikt als willkommenes Faustpfand dienen. Langfristig droht jedoch eine neue Abhängigkeit, denn der erratische Kurs von US-Präsident Trump zieht die energiepolitische Schlinge um Europa enger.“ Schon gebe es Interventionen großer Gaslieferanten gegen die Energie- und Klimapolitik der EU. Europa opfere womöglich durch die enge Bindung an amerikanisches LNG „ein weiteres Stück strategischer Freiheit“.
