
Philip Roth wusste zu berichten, dass das Alter ein Massaker ist. Heute weiß man: Auch späte Jugend und mittlere Jahre sind eines. Das beginnt beim Schlafen, was heute keine Tätigkeit an sich mehr ist, sondern eine landesübergreifende Störung. Hat man es trotz all dem blauen Licht auf ein paar Stündchen gebracht, geht es weiter mit der Morgenroutine. Klingt harmlos, ist aber ein Knochenjob. Wobei nicht die Knochen in jungen, mittleren Jahren das eigentliche Problem darstellen, sondern die Haut, die an sich keine Problemhaut ist, aber – das weiß jeder, der mal aus Versehen 20 Minuten in irgendeinem Feed unterwegs war und sich danach alt gefühlt hat – geölt, geklopft, massiert und mit Lachs-DNA unterspritzt gehört. 40 ist ja das neue 20, und das gilt auch umgekehrt.
Sind die Morgenzeilen geschrieben, ist der Matchapistazielatte arrangiert und ohne größere Vorkommnisse verdaut worden, flackert kurz die Möglichkeit auf, zur Arbeit zu gehen, was Friedrich Merz und Bärbel Bas begrüßen dürften, aber den Fluss des Lebens stören würde. Den Fluss des Selbst und, panischer Zwischengedanke, vielleicht sogar den Lymphfluss, was der Auffüllung der Rentenkassen auf lange Sicht auch nicht helfen würde. Und ungelogen, es gibt noch so viel zu tun, drei Liter Wasser in kleinen Schlucken trinken, aber bitte auch nicht mehr, Verabredungen für den Abend ausmachen, die einem guttun werden, und ja, eigentlich steht jetzt bald der Mittagsschlaf an, denn siehe oben, nachts ist das ja unmöglich geworden, zur Ruhe zu kommen. Es sei denn, man experimentiert mit Cannabis, was eh keiner macht, der auf sich achtgibt, Gehirnzellenmassaker und so.
Mitten in diese egoistische Großlage platzt nun die Nachricht, dass André Schürrle, früherer Nationalspieler, Weltmeister und mit seinen 34 irgendwo zwischen ewiger Fußballerjugend und der magischen Grenze der mittleren Jahre zu verorten, das Glück im Schmerz sucht. Keine Sorge, seinen Knochen geht es gut, seiner Haut, ihm selbst wohl auch. Im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sprach er darüber, dass er in diesem Juli am Triathlon im mittelfränkischen Roth teilnehmen werde. Angesprochen auf die seelischen Folgen sportlich-körperlicher Extremereignisse und gefragt, ob es eine gerade Linie zwischen Leiden, Schmerz und Glück gebe, sagte Schürrle: „Ja, in diesen Momenten ist man frei von seinem Ego.“ Ja, in diesen intensiven Momenten des Leidens sei man ganz bei sich.
Was einen zur Gretchen-Frage des ganzen Selbstfürsorge-Dramas bringt – in der Zeitrechnung nach diesem Interview im Grunde eine André-Frage: Sag, wie wird man frei von seinem Ego, wenn man gleichzeitig bei sich sein soll? Widerspricht sich das nicht irgendwie? Oder hat man nicht genug Morgenroutinen und Massakertage absolviert, um zu verstehen, dass dies eben kein Widerspruch ist?
Schürrle sagte außerdem, der Triathlon in Roth sei Teil seiner Reise zu sich selbst, „der besten Version meiner selbst“. Danke, das wiederum ist die Sprache, die wir verstehen.