
Ein paar Szenen bei der Europameisterschaft in der Schweiz ließen schon erahnen, was diesen Sommer folgen könnte. Weil sie einen gewissen Einblick gaben, in welchem Verhältnis die meisten unter Spaniens Fußballerinnen zu ihrer Nationaltrainerin Montserrat Tomé stehen dürften – zum Beispiel im Halbfinale. Nachdem Aitana Bonmatí in der 113. Minute die deutsche Torhüterin Ann-Katrin Berger überwunden hatte, freute sich Claudia Pina ganz kurz mit Tomé. Aber das auch mehr, weil sie ohnehin an ihr vorbeikam bei ihrem Sprint zu den anderen. Als auch Tomé beim Jubelknäuel der Spielerinnen stand, wurde sie eher ignoriert. Oder die Momente nach dem verlorenen Finale gegen England, wo die meisten für sich trauerten und auch nicht von Tomé getröstet wurden. Da war stets mehr Distanz statt Nähe.
Nun bilden diese Szenen den Abschluss einer Zusammenarbeit, die 2018 begonnen hatte. Am Montagmittag gab der spanische Fußballverband RFEF gut zwei Wochen nach dem EM-Finale bekannt, dass der am 31. August auslaufende Vertrag von Tomé nicht verlängert wird. Die 43-Jährige muss sich nach zwei Jahren in der Verantwortung von den Weltmeisterinnen verabschieden – nach Platz zwei bei der EM 2025, dem gegen Deutschland verlorenen Halbfinale bei Olympia 2024 und mit dem Titel in der Nations League im selben Jahr als einziger Trophäe. Laut der spanischen Zeitung El País stand die Entscheidung dazu bereits vor der EM fest. Reyes Bellver, Leiterin des Frauenfußballs, soll diesen Wechsel bei einer der wichtigsten Mannschaften seit ihrem Amtsantritt im Februar 2025 angestrebt haben.
Tomés Nachfolgerin wird Sonia Bermúdez, die bislang insbesondere bei den Juniorinnen im spanischen Verband tätig war und einst unter anderem für den FC Barcelona, Atlético Madrid und UD Levante auf dem Platz stand. Die Ernennung von Bermúdez passt zur bisherigen RFEF-Linie, was die Trainerwahl bei den Frauen angeht: Schon Vilda und Tomé kamen aus den eigenen Reihen und bekamen die Verantwortung übertragen, obschon ihnen Erfahrung auf hohem Niveau im Klubfußball fehlte. 2023 und 2024 gewann Bermúdez mit Spanien die U19-EM. Das erste große Turnier mit den Frauen wird für die 40-jährige frühere Nationalspielerin (35 Tore in 63 Länderspielen) das Final Four der Nations League Ende Oktober sein, bei dem die Spanierinnen im Halbfinale auf Schweden und die Deutschen auf EM-Viertelfinalgegner Frankreich treffen.
Bei den Spielerinnen war Tomé nicht gerade beliebt und wurde eher geduldet
Die Trennung von Tomé ist der Schritt, durch den Spaniens Fußballerinnen womöglich besser mit einem Kapitel abschließen können, in dem Tomé nun mal eine gewisse Rolle spielte. Bevor sie zur Cheftrainerin ernannt wurde, hatte sie dem umstrittenen Jorge Vilda assistiert und galt als dessen rechte Hand. Vilda wiederum zählte zu den engen Verbündeten des früheren spanischen Verbandschefs Luis Rubiales und war im Rahmen der Kussaffäre entlassen worden: Rubiales hatte 2023 bei der Siegerehrung nach dem gewonnenen WM-Finale die Spielerin Jenni Hermoso auf den Mund geküsst und damit einen Skandal ausgelöst. Dafür wurde er von der Fifa für drei Jahre sowie vom spanischen Sportgerichtshof gesperrt und trat als RFEF-Chef zurück. Hermoso zeigte den Funktionär an.
Die Übernahme durch Tomé brachte keinesfalls einen Cut. In ihren ersten Partien streikten 15 Spielerinnen aus Protest, weil sie weitreichende personelle und strukturelle Konsequenzen vom Verband forderten. Schon im September 2022 hatten ebenfalls 15 Spielerinnen gestreikt, um gegen die teils extrem kontrollierenden Methoden von Vilda zu protestieren. Und über die zwei Jahre festigte sich doch der Eindruck, dass Tomé nicht gerade beliebt war und von den Spielerinnen eher geduldet wurde. Als Tomé auf eine EM-Nominierung Hermosos verzichtete, reagierte diese mit einem Post bei X, in dem sie schrieb: Den Titel zu gewinnen sei etwas, das die Spielerinnen „alleine schaffen können, wahrscheinlich sogar noch besser“.
Der Satz verdeutlicht, welchem Anspruch nun Sonia Bermúdez gerecht werden muss, wenn sie das derzeit fußballerisch überragende Team aus den mit Abstand besten Fußballerinnen weltweit trainiert. Immerhin: frei von einer belastenden Vorgeschichte.