
Am Ende ihres letzten Romans, „Vilhelms Zimmer“ (1975), beschrieb die dänische Schriftstellerin Tove Ditlevsen nüchtern, wie sie einmal Selbstmord verüben wollte. Sie schlüpfte für diese Schilderung allerdings in die Rolle der Lise, ebenfalls Schriftstellerin, die ihre Tasche mit Schlaftabletten, Milchpaketen, Limonade und Zigaretten füllte. Unter den Arm klemmte sie sich den Schlafsack ihres Sohnes, fuhr in den Wald und wählte sich einen ruhigen Platz aus.
Doch sie wurde trotz einer Körpertemperatur von 26 Grad gefunden und konnte gerettet werden – was für Lise eine Qual bedeutete, der Tod wäre ihr lieber gewesen. So sah es auch Tove Ditlevesen, die – psychisch labil, depressiv und tablettensüchtig – immer wieder in psychiatrische Kliniken eingewiesen wurde. 1976 schied sie von eigener Hand aus dem Leben, da war sie 58 Jahre alt.
Eine abgespaltene Version von ihr selbst
Im Schauspielhaus Hamburg nun hat die Regisseurin Karin Henkel „Vilhelms Zimmer“ unter dem Titel „Die Abweichlerin“ auf die Bühne gebracht. Die Inszenierung beginnt mit dem misslungenen Suizid. Die Schauspielerin Lina Beckmann kommt als Lise/Tove im schwarzen Rock zur schwarzen Bluse mit schweren Schritten herein, denn sie schleppt einen Leichensack hinter sich her. Als sie dessen Reißverschluss öffnet, schält sich die Tänzerin Liina Magnea heraus, die dieselbe Kleidung wie sie und eine Gesichtsmaske trägt, wie eine abgespaltene Version von Lise wirkt und diese ab jetzt stumm begleiten wird. Lise ist hier trotz allem Lebensüberdruss eine starke, zupackende Frau, bei der man freilich nicht genau weiß, wo für sie die Realität endet und wo die Halluzination anfängt.