
Wasser fließt in den Adern dieses Films. Es stürzt in Form endloser, von Blitzen durchzuckter Regengüsse aus dem Himmel über Berlin, es strömt als kathartischer Tränenfluss aus den Augen der Figuren, wenn ein fremdes Schicksal sie berührt. Und es flutet in der dramatischen Schlussszene einen ganzen Raum, in dem Tim und Milena Engels mit ihren beiden Kindern an einem Tisch sitzen – und ihnen gegenüber eine Familie aus Syrien.
Wie Wasser fließt auch die Kamera durch die Kulissen und Szenarien von „Das Licht“. Sie taucht in die nasse Hölle der Berliner Straßen und Plätze, gleitet geschmeidig durch die Vier-Zimmer-Altbauwohnung der Engels, kurvt gelassen durch das Verkehrschaos von Nairobi und lässt sich auch von den Glastüren einer Werbeagentur am Potsdamer Platz und den Sicherheitsschleusen im deutschen Entwicklungshilfeministerium nicht stoppen. Das einzige Hindernis, das der Film ihr entgegensetzt, liegt in dem, was er erzählen will. Denn die Story von „Das Licht“ ist alles andere als leichtflüssig. Eher könnte man ihre Architektur mit der jener Patchwork-Gebäude der Neunzigerjahre vergleichen, in denen ganz unterschiedliche Formen, ein Quadrat, ein Dreieck, ein Oval, unter einen Hut kommen. Sie stehen an vielen Orten. Sie halten selten lang.
Die Leichtigkeit des Blicks und die Schwierigkeiten des Erzählens prägen das Kino des Tom Tykwer von Anfang an. In „Lola rennt“, seinem besten Film, löst er den Widerspruch zwischen dem Fließenden und dem Festen auf, indem er ein so hohes Tempo vorlegt, dass die Geschichte gar keine Zeit hat, sich zu setzen. In „Cloud Atlas“, seinem teuersten und schwächsten, türmt er die Bauklötze der Episoden übereinander, bis die Konstruktion unter ihrem eigenen Gewicht in die Knie geht. „Das Licht“ liegt in der Mitte zwischen beiden, was man schon daran erkennt, dass der Film seinen Schauplatz im Nu gefunden hat, aber dann viel Zeit braucht, um sein Personal zu versammeln.
Das Erste, was man sieht, ist eine Frau, Farrah (Tala Al-Deen), die in ihrem Hochhaus vor einer Hochfrequenz-LED-Lampe sitzt. Dann werden die einzelnen Mitglieder der Familie Engels vorgestellt: der Vater (Lars Eidinger), der als Werbe-Textchef das große Wort führt, die Mutter (Nicolette Krebitz), die ein Kulturprojekt in Kenia betreut, die Tochter, die sich die Nächte mit Freunden in Clubs um die Ohren haut und eine Abtreibung vor sich hat, der Sohn, der mehr in der virtuellen Welt seines Computerspiels lebt als in der realen der zerfallenden Ehe seiner Eltern.
Ego-Probleme, Zukunftsangst, Generationenkonflikt
Es dauert fast vierzig von hundertsechzig Minuten, bis die Syrerin Farrah im Engels-Haushalt angelangt ist und dort mit ihrer LED-Lampe den Heilungsprozess beginnt, bei dem sie am Ende sich selbst und auf dem Weg dorthin auch die vier anderen von ihren seelischen Wunden erlöst. Aber auch nach dieser Eröffnung kommt der Film nicht zur Sache, sondern schweift wie ein Suchscheinwerfer im Leben seiner Protagonisten herum, ohne darin mehr zu finden als den üblichen Motivvorrat aller Familienserien: Sex- und Ego-Probleme, Älterwerden, Zukunftsangst, Generationenkonflikt.
Das sieht – zumal in den eingestreuten Musikclips, in denen die Berliner Verhältnisse mal zu „Bohemian Rhapsody“ von Queen, mal zu Kompositionen von Johnny Klimek und Tykwer zum Tanzen gebracht werden – sehr gut aus, wirkt aber als Ganzes so unverbunden wie ein Themenabend im Fernsehen. Sein Film solle die Gegenwart „so facettenreich wie möglich einfangen“, hat Tykwer erklärt. Es ist dieser enzyklopädische Ehrgeiz, der aus der düsteren Parabel, die in dem Stoff auch angelegt war, eine Wundertüte ohne echtes Wunder gemacht hat.
In „Babylon Berlin“, der weltweit erfolgreichen Krimiserie, an deren fünfter Staffel Tykwer zusammen mit zwei Regisseurskollegen gerade dreht, spielt Jens Harzer einen Arzt, der den Helden unter Drogen setzt und mit Lichtstrahlen bearbeitet, um ihn von seinem Trauma zu kurieren. Er ist genial. Und er ist böse. Etwas von dieser Boshaftigkeit hätte „Das Licht“ retten können. Ohne sie zerrinnt ihm all seine Genialität zwischen den Fingern, wie das Wasser, das aus dem grauen Berliner Himmel fällt.