Zeitreisen durch das 20. Jahrhundert und darüber hinaus, ein Gestrandeter auf einer einsamen Insel oder Pinocchio persönlich – wenige Regisseure nehmen sich derart unterschiedlicher Geschichten an wie Robert Zemeckis, der Mann hinter „Zurück in die Zukunft“.
Nun vereint der Oscar-Gewinner die Themenvielfalt seines Schaffens in einem einzigen Film: In „Here“ (vom 12. Dezember an in den deutschen Kinos) erzählt er eine Geschichte, die von den Dinosauriern über die indigene Bevölkerung Nordamerikas, die Verwandtschaft Benjamin Franklins bis hin zum Nachkriegs-Wirtschaftsboom des 20. Jahrhunderts und der Corona-Pandemie reicht.
Das Bindeglied ist dabei weniger eine konkrete Handlung als vielmehr ein Ort. Das titelgebende „Hier“ ist ein Fleckchen Erde (mutmaßlich im heutigen New Jersey), das erst Heimat von Urviechern und später von Native Americans ist und schließlich zum Standort eines Einfamilienhauses mit einem Wohnzimmer wird, in dem sich über die Jahrhunderte die unterschiedlichsten Menschen begegnen.
Inspiration durch Graphic Novel „Hier“ von Richard McGuire
Die Idee, das Leben nicht mittels bestimmter Figuren oder eines Plots, sondern ausgehend von einem einzigen Ort zu beobachten, stammt nicht von Zemeckis. Gefunden hat er sie vielmehr in der auch in Deutschland erschienenen Graphic Novel „Hier“ von Richard McGuire, in der jedes Bild den gleichen Standort aus der gleichen Position zeigt.
„Als ich das Buch das erste Mal in der Hand hielt, hatte ich auf Anhieb zwei Gedanken“, sagt der Filmemacher in einem Videotelefonat. „Ich war fasziniert von diesem Einfall, auf diese eigenwillige Art und Weise von den Veränderungen des Lebens und der Geschichte der Menschheit zu erzählen. Und ich wusste sofort, dass sich daraus ein wundervoller Film machen ließ, wie man ihn so noch nie gesehen hat.“
Ein Film mit nur einer einzigen Location, in dem die Kamera in der immer gleichen Einstellung fixiert ist – das klingt nach einer ungewohnt unaufwändigen Produktion. Doch Zemeckis‘ Lachen klingt fast ein wenig höhnisch, wenn man ihn fragt, ob die Arbeit an „Here“, ein Kinderspiel gewesen sei. „Dieses Projekt entpuppte sich als die schwierigste Aufgabe, der ich mich je gestellt habe“, sagt der Zweiundsiebzigjährige. „Im Drehbuch mussten wir Wege finden, alles Relevante an diesem einen Ort stattfinden zu lassen. Was vor allem eine Herausforderung für den Großteil des Films war, in dem da ein Haus steht, in das nach und nach die unterschiedlichsten Familien einziehen. Nur was in diesem Raum passiert oder besprochen wird, bekommt unser Publikum mit, wenn es keine Möglichkeit gibt, auch mal einen Schnitt in die Küche oder das Schlafzimmer zu machen.“
Von den technischen und visuellen Schwierigkeiten ganz zu schweigen: „Welche Kameralinse ist die richtige, um möglichst umfangreichen Einblick in das Zimmer zu geben? Wie richten wir es aussagekräftig ein? Und wie geht man mit den unterschiedlichen Größen der Schauspieler um, wenn man die Kamera nicht bewegen kann? So viele Fragen wie dieses Mal musste ich selten bei einem Film vorab beantworten.“
Ein eingespieltes Team
Zemeckis entschied, sich dafür mit alten Mitstreiterinnen und Mitstreitern zusammenzutun, mit denen er in der Vergangenheit besonders erfolgreich war. Und so ist „Here“ nun auch eine „Forrest Gump“-Reunion: So wie bei dem sechsfach oscarprämierten Welterfolg Zemeckis aus den Neunzigern waren auch dieses Mal Eric Roth für das Drehbuch, Don Burgess für die Kameraarbeit und Alan Silvestri für die Filmmusik verantwortlich. Und vor der unbeweglichen Kamera stand nicht nur Zemeckis‘ Lieblingsschauspieler und guter Freund Tom Hanks, sondern auch wieder Robin Wright.
„Ein bisschen das Gefühl von Klassentreffen lag anfangs schon in der Luft“, berichtet Hanks, den der Videoanruf im Büro seiner New Yorker Wohnung erreicht, wo vor dem Fenster das Grün des Central Parks zu erkennen ist. In „Here“ spielt er Richard Young, der in besagtem Haus schon als Kind aufwächst, später seine High-School-Freundin Margaret schwängert und heiratet und letztlich fast sein gesamtes Leben dort wohnen bleibt.
Das Vertrauen wieder erwecken
„Wobei es nun auch nicht so war, dass wir von morgens bis abends in Erinnerungen wühlten und darüber sprachen, was wir vor 30 Jahren erlebt haben. Entscheidend war vielmehr, dass diese Vertrautheit in der Zusammenarbeit sofort zurückkam. Ich wusste sofort wieder, warum das damals mit diesem Team alles so gut geklappt hatte. Es ging um die gute Chemie zwischen uns, nicht um den Versuch, die Magie von einst zu wiederholen. Denn das ist ohnehin ein Ding der Unmöglichkeit.“
Die neuerliche Zusammenarbeit hat aber außer einem Blick auf die amerikanische Geschichte noch etwas mit „Forrest Gump“ gemeinsam: den Einsatz moderner Tricktechnik. Wo es damals vor allem darum ging, Hanks möglichst nahtlos in historische Archivaufnahmen zu montieren, setzt Zemeckis dieses Mal auf sogenanntes digitales Make-up.
Tom Hanks und Robin Wright spielen ihre Figuren den gesamten Film über, von der Teenager-Zeit bis ins hohe Senioren-Alter. Statt dafür auf Puder und Prothesen zu vertrauen, sorgten ein KI-Tool mit Zugriff auf Foto- und Bewegtbild-Aufnahmen aus etlichen Jahrzehnten sowie Ganzkörper-Scans der beiden dafür, dass sie im fertigen Film nun jeweils dem entsprechenden Alter angemessen und trotzdem wie sie selbst aussehen.
„Robin und ich saßen jeden Tag stundenlang in der Maske“
Endlich mal ein Film also, bei dem man als Schauspieler morgens getrost auf den Gang in die Maske verzichten und dafür eine Stunde länger schlafen kann? „Wo denken Sie hin?!“, antwortet Hanks. „Robin und ich saßen jeden Tag stundenlang in der Maske, um uns für das jeweilige Alter schminken zu lassen. Wir mussten in jedem Moment möglichst echt aussehen, damit die Kamera und diese Deep-Fake-artigen Technologien möglichst exakte Vorlagen hatten. Die Haut verändert sich im Laufe des Lebens, der Haaransatz verschiebt sich, die Ohren werden größer. All das haben wir mittels Maskenbild nachzuempfinden versucht, damit das digitale Make-up am Ende nicht bloß eine Mischung aus mir als heute Achtundsechzigjährigem und Aufnahmen von früher ist.“
Für technologische Fortschritte beim Filmemachen begeisterte sich Zemeckis, dessen „1941 – Wo bitte geht’s nach Hollywood“ bereits 1980 eine Oscar-Nominierung in der Kategorie Spezialeffekte erhielt, seine gesamte Karriere lang.
Nicht mehr der „Tyrannei des analogen Filmemachens“ ausgeliefert
„Nostalgie für die vermeintlich so guten alten Zeiten lag mir schon immer fern“, sagt Robert Zemeckis im Gespräch. „Es ist doch aufregend, wie sich unsere Branche weiterentwickelt und was heute alles möglich ist. Wieso sollte ich mich darüber ärgern, dass dank digitaler Hilfsmittel inzwischen eigentlich jedes Bild, das ich mir vorstelle, auch herstellbar ist? Ich freue mich darüber, dass wir nicht mehr der Tyrannei des analogen Filmemachens unterworfen sind und Fehler in einer Szene nachträglich digital verändern können, statt alles noch mal drehen zu müssen, nur weil ein Staubkorn auf der Linse war.“
Zu nostalgischer Wehmut neigt auch Tom Hanks nicht, denn damit, so beschreibt er es, „steht man sich nur selbst im Weg. Auch weil das doch immer impliziert, dass man das Beste schon erlebt und alle seine Lektionen bereits gelernt hat. Neues zu erfahren und mich weiterzuentwickeln finde ich viel spannender!“
Wer um die vielfach verbriefte Vorliebe des Schauspielers für alte Schreibmaschinen weiß, ahnt aber auch, dass er Zemeckis‘ Hang für ultramoderne Technik nicht immer uneingeschränkt teilt. „Ich mag Bobs Begeisterung für diese Dinge und vertraue ihm in der Arbeit damit voll“, sagt er. „Aber mein Interesse als Schauspieler ist einzig und allein das Herstellen von Wahrhaftigkeit. Dabei darf mir die Technik nicht in die Quere kommen. Es ist natürlich spannend, wenn das Kino für spektakuläre Momente sorgt, in denen man seinen eigenen Augen nicht traut. Doch es ist dann meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass man ihnen im nächsten Moment sehr wohl wieder traut. Einfach weil für eine gute Geschichte Menschlichkeit und Emotionen wichtiger sind als Spezialeffekte.“