TK und Co.: Warum die Kassen die Zusatzbeiträge abermals erhöhen


Besinnliche Weihnachtspost sieht anders aus. Kurz vor dem Fest erhalten die mehr als neun Millionen Mitglieder der Techniker Krankenkasse (TK) einen unangenehmen Brief. Darin verkündet ihnen Deutschlands größter Krankenversicherer, dass er künftig höhere Abgaben erheben wird. Der Satz für die Zusatzbeiträge, den jede gesetzliche Krankenkasse selbst festlegt, steigt bei der TK im neuen Jahr von 2,45 auf 2,69 Prozent. Zusammen mit dem allgemeinen Beitragssatz von unverändert 14,6 Prozent sind so 17,29 Prozent fällig. Die Abgaben teilen sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer hälftig.

Die Techniker spricht von einer „moderaten Steigerung“. Allerdings nimmt 2026 auch die Beitragsbemessungsgrenze zu; das ist die Einkommensschwelle, bis zu welcher Kassenbeiträge anfallen. Sie steigt für alle Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) von 66.150 auf 69.750 Euro im Jahr. Beide Anhebungen bewirken, dass für Beschäftigte, die entsprechend viel verdienen, in der TK rund 10.900 Euro bezahlt werden müssen, 300 Euro oder fast drei Prozent mehr als bisher. Ohne die Beitragserhöhung wäre die zusätzliche Belastung nur halb so hoch.

Der Zusatzbeitragssatz der TK ist im Vergleich noch niedrig. Von den ungefähr 40 bundesweit aktiven Kassen werden im kommenden Jahr nur drei geringere Sätze erheben. Nach Analyse verschiedener Vergleichsportale im Internet ist die BKK firmus mit einem Zusatzbeitrag von 2,18 Prozent der günstigste Anbieter. Am meisten verlangt die BKK24 mit 4,39 Prozent. Neunzehn bundesweite Kassen halten ihre Beiträge 2026 stabil, eine einzige senkt sie von hohem Niveau aus: Die Knappschaft verlangt 4,3 statt 4,4 Prozent.

Schon in diesem Jahr verlangten die Kassen 2,9 Prozent

Nach den Empfehlungen des Schätzerkreises und nach der Festlegung von Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) soll der durchschnittliche Zusatzbeitrag 2026 eigentlich nicht mehr als 2,9 Prozent erreichen. Mit den vorliegenden Zahlen aber ist klar, dass der politisch gewünschte Durchschnitt verfehlt wird: Nur sieben der 37 bundesweiten Kassen verlangen im kommenden Jahr weniger als drei Prozent. Unter den übrigen Kassen schafft das ebenfalls nur ein Fünftel. Insgesamt gibt es in Deutschland 94 gesetzliche Krankenkassen. Für dieses Jahr betrug der politisch erwünschte durchschnittliche Zusatzbeitrag 2,5 Prozent, tatsächlich aber verlangten die Kassen schon 2,9 Prozent.

Der zweitgrößte Versicherer, die Barmer Ersatzkasse, belässt den Zusatzbeitragssatz bei 3,29 Prozent. DAK Gesundheit erhöht ihn um 0,4 Punkte auf 3,2 Prozent. Die führende Ortskrankenkasse, AOK Bayern, bleibt bei 2,69 Prozent, AOK Baden-Württemberg geht von 2,6 auf 2,99 Prozent hinauf.

Schon zum Jahreswechsel 2025 waren die Beitragssätze stark erhöht worden. Der abermalige Anstieg 2026 hat wirtschaftliche und politische Konsequenzen. Im Koalitionsvertrag versprechen Union und SPD eine Stabilisierung der Beitragssätze, aber danach sieht es nicht aus. Das liegt auch daran, dass Warken mit ihren Sparvorschlägen nur begrenzt durchdringt. Der Bundesrat stimmte ihrem Plan, 2026 die Ausgaben um rund zwei Milliarden Euro zu senken, am Freitag nur unter der Bedingung zu, dass die Abstriche in den Krankenhäusern später kompensiert werden.

„Die Bundesregierung verschiebt das Beitragsproblem erneut in die Zukunft“

Der Kompromiss sorgt bei den Kassen und in der Wirtschaft für Kopfschütteln. „Die Bundesregierung verschiebt das Beitragsproblem erneut in die Zukunft“, moniert Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger. „Mit Darlehen und einem Sparpaket, das nur 2026 wirkt und von 2027 an neue Mehrausgaben nach sich zieht, macht sie es sich zu leicht“, sagte Dulger der F.A.Z. „Das verhindert keine Beitragssprünge, es vertagt sie nur.“

Im neuen Jahr, wenn Warkens GKV-Reformkommission ihre Vorschläge vorlegt, müsse „endlich“ gehandelt werden. Dulger verlangt unter anderem, dass der Bund kostendeckende Beiträge für Bürgergeldempfänger in der GKV zahlen solle. „Allein das würde den Beitragssatz sofort um rund 0,5 Prozentpunkte senken.“ Er sprach sich für weniger Klinikbetten und mehr Spezialisierung aus. „Deutschland gibt so viel für Gesundheit aus wie kein anderes europäisches Land, 12,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, ohne entsprechend bessere Ergebnisse“, sagte Dulger. „Wenn wir nichts ändern, steigen die GKV-Beitragssätze in Richtung 20 Prozent, das wäre eine weitere massive Belastung für Arbeit und Beschäftigung.“ Sein Appell an Warkens Finanzgremium ist eindeutig. „Die Reformkommission darf sich nicht in Details verlieren“, sie müsse die Beitragssätze stabilisieren: „Dafür braucht es echte Strukturreformen.“

Ähnliche Aufrufe kommen aus der Wissenschaft. „Beitragssatzstabilität muss oberste Priorität haben, wie im Koalitionsvertrag vereinbart“, verlangt der Ökonom Boris Augurzky vom RWI Institut für Wirtschaftsforschung in Essen. Die Klinikeinsparungen für 2026 hülfen zwar etwas, „aber eine tragbare Lösung ist längst noch nicht erreicht“. Ohne Reformen wüchse die Sozialabgabenquote in den kommenden zehn Jahren von 42 auf mehr als 50 Prozent. „Mittelfristig müssen wir die hohe Inanspruchnahme des Gesundheitswesens reduzieren, sonst wird es in wenigen Jahren unbezahlbar“, sagte der Ökonom. Zu den Sparmöglichkeiten zählt er ein Primärversorgungsmodell und eine „sozial ausgewogene Eigenbeteiligung“.

Warken selbst wehrt sich gegen Angriffe aus der Opposition, die ihr und Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) vorwerfen, das Versprechen stabiler Beitragssätze zu brechen. „Ende 2024 haben die Krankenkassen Beitragssteigerungen in Rekordhöhe beschlossen und damit Versicherte und Unternehmen mit mehr als 20 Milliarden Euro belastet“, erinnerte Warken. „Seit Mai 2025 haben wir als Regierung eine Kehrtwende eingeleitet und die Kassen um mehr als sechs Milliarden Euro entlastet“, sagte sie der F.A.Z. „Dadurch konnte der durchschnittliche Zusatzbeitrag auf dem heutigen Niveau stabilisiert werden“, versicherte sie mit Blick auf das kommende Jahr. „Ohne die verschiedenen Maßnahmen hätten wir ihn auf 3,2 Prozent erhöhen müssen: Statt nur einzelner hätten dann wahrscheinlich sämtliche Kassen ihre Beiträge erhöhen müssen.“

Das Thema der Beitragsstabilität werde damit nun endlich ernsthaft angegangen, sagte die Ministerin. Auch die Mindestreserven der Kassen näherten sich „nach dem starken Abschmelzen 2024 nun wieder der gesetzlich festgelegten Mindesthöhe“. Warken will nicht auf grundsätzliche Änderungsempfehlungen warten, sondern bald handeln: „Wir werden im kommenden Jahr vor unseren grundlegenden Systemveränderungen noch weitere deutlich umfassendere Sparmaßnahmen beschließen müssen. Das werden wir auch tun.“