Thyssenkrupp Marine Systems: „Die Politik hat hier eine Chance verpasst“

Oliver Burkhard, Chef des U-Boot-Bauers Thyssenkrupp Marine Systems, sieht in seinem Unternehmen eine „Wachstumsstory“. Doch der Investor, der das Geld für den Ausbau des Geschäfts liefern sollte, ist abgesprungen. Burkhard sieht den Bund in der Pflicht – und skizziert seinen Plan B.

Oliver Burkhard kommt direkt aus Paris. Dort hat der Vorstandschef des U-Boot- und Marineschiffsbauunternehmens Thyssenkrupp Marine Systems (TKMS) auf der Messe „Euro Naval“ mit Admirälen und Regierungsvertretern zusammengesessen, unter anderem aus Kanada, Griechenland und Singapur, aber auch aus Deutschland.

„Überall sind neue Budgets vorhanden“, berichtet Burkhard. Für Neubestellungen braucht TKMS allerdings zusätzliche Kapazitäten. Weil der Mutterkonzern Thyssenkrupp aber nicht genügend Geld für diese Erweiterungen hat, ist eine Verselbstständigung der Marine-Tochter geplant. Der dafür bevorzugte Partner, die Private-Equity-Gesellschaft Carlyle, ist jedoch aus dem Prozess ausgestiegen. Nun erklärt Burkhard, wie es weitergehen soll.

WELT: Herr Burkhard, die von der Bundesregierung ausgerufene Zeitenwende für die Landesverteidigung ist in Ihrem Unternehmen noch nicht angekommen. Neue Aufträge vom Bund gibt es nicht. Haben Sie auf der Messe in Paris wenigstens aus dem Ausland Kaufinteresse verspürt?

Oliver Burkhard: Das Interesse ist groß, überall sind auch infolge des russischen Angriffskriegs neue Budgets für das Militär vorhanden. Wir erwarten für die nächsten zehn Jahre mindestens eine Verdoppelung des für uns erreichbaren Marktes für Marineschiffe. Das entspricht ungefähr einer Größenordnung von etwa 20 Milliarden Euro. Auf der „Euro Naval“ waren dafür klare Trends zu erkennen.

WELT: Welche Trends sind das?

Burkhard: In der Tendenz wird gekauft, was man schon kennt und schnell verfügbar ist. In dieser Gemengelage haben wir eine gute Ausgangsposition. Sowohl bei U-Booten als auch bei Überwasserschiffen sehe ich großes Potenzial. Auch in Deutschland will die Marine zum Beispiel in U-Boote investieren und mit der F127 unter anderem eine neue Generation an Fregatten auf den Weg bringen.

WELT: Beim bislang letzten deutschen Milliardenauftrag für Fregatten bekam die niederländische Werft Damen den Zuschlag der Bundesmarine für den Typ F126 – worüber Sie sich bitter beklagt haben. Kann das erneut passieren?

Burkhard: Ich rechne damit, dass der Bund aus der Vergangenheit gelernt hat. Das wünsche ich mir auch als deutscher Steuerzahler. An der kommenden Ausschreibung für die F127 wird TKMS in Kooperation mit Lürssen aus Bremen teilnehmen. Für dieses Projekt haben wir eigens ein Gemeinschaftsunternehmen gegründet, bei dem TKMS die Führungsrolle hat. Bis zu sechs Schiffe sind geplant. Nach einem bestimmten Zeitablauf soll dann jedes halbe Jahr ein Exemplar gebaut werden. Unser Design für die F127, unter anderem mit einer völlig neuartigen Luftabwehrfähigkeit, ist schon fertig.

WELT: Hat TKMS ausreichend Baukapazitäten für neue Aufträge?

Burkhard: Wir haben im Sinne der angekündigten Zeitenwende in Wismar bereits vor einiger Zeit eine Werft gekauft, um dafür vorbereitet zu sein. Hier könnten wir zusätzlich zu Kiel U-Boote und Schiffe, aber auch Konverter-Plattformen oder Systeme zur Munitionsentsorgung bauen. Die Pläne dafür haben wir vorgestellt. Das wären in der Spitze dann bis zu 1500 zusätzliche Arbeitsplätze.

Allein die Aufträge durch den Bund fehlen derzeit noch. Was die F127 betrifft, wollen wir mit Lürssen zusammenarbeiten, weil das Unternehmen viele eigene Bauplätze hat. Was allerdings unsere U-Boote angeht, müssen wir Wismar ausbauen, insbesondere wenn Norwegen und Deutschland weitere U-Boote bestellen sollten. Dafür müssten wir einen dreistelligen Millionen-Euro-Betrag in unsere Kapazitäten investieren. TKMS ist eine klare Wachstumsstory.

WELT: Thyssenkrupp hat dieses Geld offensichtlich aber nicht. Deswegen sollte die Mehrheit von TKMS an den amerikanischen Finanzinvestor Carlyle verkauft werden und mutmaßlich weitere 25 Prozent an den Bund. Jetzt ist Carlyle überraschend aus dem Verfahren ausgestiegen. Warum?

Burkhard: Betriebswirtschaftliche Gründe gibt es nicht für den Ausstieg, das kann ich versichern. Wir haben fast zwei Jahre miteinander geredet und einen klaren gemeinsamen Weg skizziert. Wir waren bei den Gesprächen zwischen Carlyle und dem Bund am Ende ja nicht dabei. Ich bedauere sehr, dass sich Carlyle nun zurückgezogen hat. Das wäre eine gute Option für alle gewesen. Die Politik hat hier meines Erachtens eine Chance verpasst.

WELT: Welche Chance meinen Sie?

Burkhard: Zeitenwende bedeutet nicht nur, mehr Geld für Verteidigung auszugeben. Zeitenwende bedeutet auch, entsprechende Business-Ökosysteme zu schaffen, um als Land unabhängig und resilient zu sein. Das ist die industriepolitische Dimension. Wenn Sie so wollen: Zeitenwende 2.0. In anderen Ländern passiert das auch. Ich komme von der Messe in Paris und muss sagen: Das dort erlebte Zusammenspiel zwischen der französischen Regierung und der französischen Rüstungsindustrie ist schon bemerkenswert. Es gibt aber auch in Spanien, in Italien oder in den nordischen Ländern Beteiligungen des jeweiligen Staates an Unternehmen aus dem Marineschiffbau. Für Deutschland würde das also auch absolut Sinn ergeben.

WELT: Jetzt gibt es reichlich Spekulationen über alternative Partner, seien es Lürssen oder Rheinmetall aus Deutschland oder Fincantieri aus Italien. Ist das eine Option?

Burkhard: Gehen Sie davon aus, dass es Interessenbekundungen von nahezu allen relevanten Markteilnehmern gibt. Thyssenkrupp hat stets erklärt, für TKMS die werthaltigste Lösung zu finden. Sollte es diesbezüglich gute und belastbare Ideen geben, hören wir uns diese gern an. Es ist ja nicht so, dass wir in den letzten Jahren noch nie miteinander geredet hätten: Der eine brauchte den U-Boot-Teil nicht, der andere den Fregatten-Teil. Wieder andere hätten gern nur ein Stück von unserer Tochtergesellschaft Atlas Elektronik. Um es deutlich zu sagen: Wir sind kein Pflegefall, sondern im Gegenteil stärker denn je.

Eine Zerschlagung ergibt insofern auch keinen Sinn. Das ist unser Verständnis im Thyssenkrupp-Vorstand. Auch wenn mit Carlyle jetzt eine gute Option leider nicht mehr gangbar ist, verfolgen wir weiter die Verselbstständigung von TKMS. Diese beinhaltet präferiert den Spin-off von TKMS, den wir jetzt vorbereiten. Wir sind aber weiter offen für industrielle Partnerschaften. Auch die Gespräche mit der Bundesregierung sind nicht abgeschlossen.

WELT: Wie geht es weiter?

Burkhard: Es führt kein Weg daran vorbei, dass wir unser Wachstum auch von außen finanzieren müssen. Das bedeutet präferiert einen Spin-off, also eine Abtrennung von TKMS über einen Börsengang. Auch das war immer eine Option. Das dauert aber länger als der Verkaufspfad. Wegen der umfangreichen Vorbereitungen kann ein Börsengang durchaus erst Ende 2025, Anfang 2026 kommen.

WELT: Mit oder ohne den Staat als Investor?

Burkhard: Ich halte eine staatliche Beteiligung an TKMS auch bei einem Spin-off für sinnvoll. Staaten müssen sich überlegen, welche Industrie sie im eigenen Land haben wollen. Ein Staatseinstieg lässt sich auch mit einem Börsengang kombinieren. Das Thema ist beim Bund weiterhin in der Prüfung.

WELT: Ein Börsengang erfordert maximale Transparenz. Ist das bei einem Unternehmen, das U-Boote und Kriegsschiffe baut, überhaupt möglich?

Burkhard: Sicher. Andere Unternehmen sind ebenfalls börsennotiert. Auch die rechtliche Lage lässt uns dafür Spielraum. Wenn Thyssenkrupp zum Beispiel die Mehrheit behält, ist das vereinbar mit dem Außenwirtschaftsgesetz. Bis zu 49 Prozent der Anteile könnten wir ohne staatliche Einwilligung abgeben. Und klar ist, dass wir eine Veränderung brauchen. TKMS erwartet für 2025 noch Entscheidungen für einige Vertriebsprojekte, spätestens dann müssen wir direkt mit dem Ausbau der Werft in Wismar starten. Wir brauchen aber Investoren außerhalb von Thyssenkrupp, die unser Wachstum mitfinanzieren.

WELT: Welchen Wert könnte ein abgespaltenes Unternehmen an der Börse haben?

Burkhard: Das könnte Dimensionen eines S-Dax-, gegebenenfalls eines M-Dax-Wertes erreichen. Denn wir sind hervorragend aufgestellt. TKMS verfügt heute bis in die 2030er-Jahre über Aufträge von 13 Milliarden Euro. TKMS hat sich operativ nachhaltig stabilisiert und ist profitabel.

WELT: Wenn die Aussichten bei TKMS so gut sind: Warum gibt Ihnen der Mutterkonzern Thyssenkrupp nicht mehr Geld, wissend, dass er damit noch wesentlich mehr Geld verdienen kann?

Burkhard: Betriebswirtschaftlich hat das eine gewisse Logik. Thyssenkrupp hat aber viele Geschäfte. Klar ist: Für die Entwicklung aller Segmente ist das Hemd wahrscheinlich zu kurz. Noch dazu ist der Finanzbedarf von TKMS groß. Andere Konzern-Bereiche haben zudem noch die grüne Transformation zu stemmen.

Carsten Dierig ist Wirtschaftsredakteur in Düsseldorf. Er berichtet über Handel und Konsumgüter, Maschinenbau und die Stahlindustrie sowie über Recycling und Mittelstandsunternehmen.

Birger Nicolai ist Wirtschaftskorrespondent in Hamburg. Er berichtet über Schifffahrt, Logistik, den Tankstellen- und Kaffeemarkt sowie Mittelstandsunternehmen.