
Mit einem ausführlichen Gutachten hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz die Einstufung der AfD als rechtsextremistisch begründet. Zwei prominente Experten wundern sich über das Papier.
Thüringens Verfassungsschutzpräsident Stephan Kramer hat vor einer Unterwanderung der Institutionen durch die AfD und andere Verfassungsfeinde gewarnt. Er sprach sich erneut für ein Partei-Verbotsverfahren aus. Das Gutachten des Bundesamts für Verfassungsschutz zur Bundes-AfD bezeichnete er als „dünne Suppe“.
„Wir haben eine signifikante Gefahrenstufe für unsere Demokratie erreicht. Die bisherigen Mittel wirken nicht“, sagte Kramer am Freitag bei einer Diskussion auf dem Dokumentarfilm-Kongress Dokville in Stuttgart. Die AfD habe durch ihre Positionen in Parlamenten und anderen Institutionen eine Stellung erreicht, „in der sie schon jetzt die Demokratie schädigt“. Daher brauche es ein „Signal des Staates, das sagt: Bis hierher und nicht weiter!“, so Kramer. Der AfD-Landesverband Thüringen gilt seit 2021 als gesichert rechtsextrem.
„Demokratie ist kein Automatismus, der einfach weiterläuft“, so Kramer weiter: „Demokratie ist Kontaktsport und bedeutet, mit Menschen zu diskutieren und sie zu überzeugen, aber auch zu akzeptieren, wenn jemand anderer Meinung ist.“ Medien seien dabei das „Rückgrat unser Informationsfreiheit“, so Kramer: „Sie müssen gestärkt werden – dürfen sich aber nicht instrumentalisieren lassen.“
Der frühere Verfassungsrichter Peter Müller, der in Karlsruhe führend am NPD-Verbotsverfahren beteiligt war, plädierte gegen ein AfD-Parteiverbot. „Wenn das scheitert, wäre das der Supergau und eine Art Persilschein für die AfD“, sagte Müller bei der Veranstaltung in Stuttgart. Die Vorstellung, dass ein Verbot die Auseinandersetzung beenden würde, sei ohnehin „Quatsch, das haben die zwei NPD-Verbotsverfahren gezeigt“.
2017 hatte das Bundesverfassungsgericht gegen ein NPD-Verbot entschieden, weil die Partei zwar aggressiv gegen die verfassungsrechtliche Ordnung ankämpfe, aber kein Potenzial habe, dieses Ziel auch umzusetzen. Dies sei bei der AfD anders, waren sich Kramer und Müller einig. Allerdings fehle im Unterschied zum NPD-Verfahren die Bestätigung der Einstufung der Gesamt-AfD als gesichert rechtsextrem.
„Gewundert, dass das große Bundesamt so gehandelt hat“
Zwar hatte das zuständige Bundesamt für Verfassungsschutz am 2. Mai diese Einstufung verkündet und ein entsprechendes Gutachten vorgelegt. Dagegen geht die AfD derzeit aber juristisch vor. Müller sagte in Stuttgart, das Gutachten sei schwach: „Es funktioniert nach dem Prinzip: Ich habe nichts zu sagen, deshalb habe ich dir einen langen Brief geschrieben.“ Auch Kramer nannte das Papier „eine dünne Suppe“. Sein Landesamt habe „gewundert, dass das große Bundesamt so gehandelt hat“.
Müller riet anstelle eines Verbotsverfahrens dazu, im politischen Diskurs mehr Meinungen und Themen zuzulassen: „Wir müssen die Menschen da abholen, wo sie sind, damit sie es nicht nötig haben, der AfD nachzulaufen“, sagte er. Er finde es „toll, dass es Omas gegen rechts gibt, es braucht aber auch Opas gegen links. Ich bin einer davon“.
KNA/gub