Thomas Müller in Vancouver: Ein Wechsel mit langem Anlauf

Wo genau ist Müller gelandet?

Im südwestlichsten Zipfel Kanadas, in einer Stadt, die, wie Müller selbst in seinem Video bemerkt, als eine der schöneren und lebenswerteren Städte der Welt gilt. Vor allem aber: bei einem Klub, der im vergangenen Jahr im Finale der Nord- und mittelamerikanischen Champions League stand (wobei er dort 0:5 verlor). Und der als Tabellenzweiter in der „Western Conference“ der Major League Soccer (MLS) um die Meisterschaft spielen kann. Einem Mann, der in 17 Jahren 13 Mal Meister geworden ist, würde die Anpassung sonst wohl auch schwerfallen. Der Manager und der Trainer Jesper Sørensen hätten ihm jedenfalls aufgezeigt, dass es in den kommenden Jahren „in Richtung Titel“ gehe, sagte Müller am Mittwoch in einem Video auf Instagram. Dieser Manager ist einer, der seinen Beruf in der Bundesliga gelernt hat: Axel Schuster, der bei Mainz 05 und Schalke 04 an der Seite des Managers Christian Heidel arbeitete und seit 2019 in Vancouver Mannschaften bastelt und Verträge verhandelt.

In was für eine Liga wechselt er?

In eine, die investiert. Gerade in die großen, wenn auch manchmal etwas angestaubten Namen des europäischen Fußballs: Lionel Messi, Marco Reus, Heung-min Son oder den Argentinier Rodrigo de Paul, der kürzlich zu Messis Klub Inter Miami gewechselt ist. Aber auch in jüngere, begabte Spieler aus Südamerika. Die Zuschauerzahlen in der MLS sind in den vergangenen Jahren gestiegen, der Markenwert einiger Klubs wird mittlerweile auch im internationalen Vergleich hoch eingeschätzt, das Spiel ist besser geworden. Und doch ist die Qualität in der Breite noch nicht vergleichbar mit den fünf großen europäischen Ligen; auch weil die Spieler, die aus Europa kommen, selten auf ähnlich talentierte Mitspieler treffen. Bei Messis Inter Miami etwa kann man dieses Leistungsgefälle gut beobachten. Und niemand weiß, wie viel vom Hype in der Stadt übrig bleibt, wenn der kleine Argentinier wieder geht – auch wenn sie dort gerade ein neues Fußballstadion bauen.

Warum verdient Müller zunächst nur – geschätzt – 600.000 Euro?

Im Vergleich zu den kolportierten 20 Millionen Euro, die Müller beim FC Bayern verdiente, muss er nun erhebliche Abstriche machen: Für seinen Einjahresvertrag mit der Option auf ein weiteres Jahr soll er geschätzte 6,6 Millionen Euro erhalten. Bis zum Saisonende im Dezember verdient er nur etwa 600.000 Euro. Mehr kann ihm Vancouver aufgrund der gültigen Gehaltsobergrenze in der MLS nicht zahlen – und schon dafür musste der Klub kreativ werden.

Denn ein sogenannter „designated player“, ein Spieler also, der mehr verdienen darf, als es die Gehaltsobergrenze sonst zulässt, ist Müller bei den Whitecaps nicht. Eigentlich dürfen alle MLS-Klubs drei „designated players“ haben. In dieser Saison haben sich die Whitecaps aber für ein Gehaltsmodell mit nur zwei dieser Plätze entschieden. Die sind schon belegt, und erst ab der kommenden Saison darf Vancouver einen dritten Spieler melden, dessen Gehalt frei verhandelbar ist.

„Ich komme nach Vancouver, um Titel zu gewinnen“, sagt Müller in einem Interview, das die kanadische Plattform „OneSoccer“ veröffentlichte, und hat sich für diesen Fall wohl entsprechende Klauseln in den Vertrag schreiben lassen. „Wir haben mit ihm ausführlich über bestimmte Punkte seines Vertrags gesprochen“, sagt Vancouvers Sportdirektor Axel Schuster: „Und das Einzige, worauf er wirklich gedrängt hat, sind Prämien für Siege, Erfolge und Titelgewinne.“

Wie hat es Müller überhaupt nach Vancouver verschlagen?

Spätestens nach dem Video, das Müller Ende Juli in den sozialen Medien veröffentlichte, war klar: Der Weltmeister von 2014 wird seine Karriere in Nordamerika fortsetzen. Nur, dass er dann nicht wie vermutet in die USA wechselte, zum Los Angeles FC, der eine Partnerschaft mit dem FC Bayern unterhält – und auch nicht nach Cincinnati, zu dem Klub, der theoretisch das erste Zugriffsrecht auf Müller gehabt hätte. Womit man schon mittendrin steckt in den Wirrungen, die das nordamerikanische Fußball-System zu bieten hat.

Cincinnati nämlich hatte sich die sogenannten „discovery rights“ für Müller gesichert. Das sind die exklusiven Transferrechte auf einen Spieler, die die Klubs für sich in Anspruch nehmen – egal, ob dieser jemals in die MLS wechseln will oder nicht. Doch Müller wollte nicht nach Cincinnati, was Vancouver die Chance zu Gesprächen bot. Erst musste der Klub Cincinnati aber die „discovery rights“ abkaufen, angeblich für rund 350.000 Euro.

Dass es für Müller am Ende dann wirklich Vancouver statt Los Angeles wurde, hing aber wohl nicht nur damit zusammen, dass ihm die Ideen des Trainers und die Perspektive des Klubs gefielen, sondern auch mit einem anderen Transfer aus Europa: Am Mittwoch bestätigte Los Angeles FC die Verpflichtung von Heung-min Son von Tottenham Hotspur. Dafür hatte sich der Klub zuvor von Olivier Giroud getrennt, um einen der „designated player“-Plätze für einen neuen Stürmer freizumachen. Den bekam Son, und nicht Müller.

Was kann Müller in der MLS bewirken?

Sicher nicht das, was die Ankunft von Messi in Florida ausgelöst hat. Müller mag Vancouvers größter Fußballstar sein, er ist aber eben nur das: ein Fußballstar, keine Weltmarke – und unter den internationalen Fußballstars trotz seines Erfolgs nicht der glamouröseste. Zumal Fußball in Nordamerika, trotz des Wachstums, trotz der nahenden Weltmeisterschaft, noch immer ein Sport unter vielen ist. Man kann diesen Wechsel deshalb vielleicht eher mit dem von Thierry Henry, Steven Gerrard oder Andrea Pirlo in die MLS vergleichen als mit dem von Messi.

Zumindest in Vancouver aber soll die Aufregung spürbar sein: Der Trikot- und Ticketverkauf sei „am Tag der Bekanntgabe des Transfers explodiert“, sagte Manager Axel Schuster der „Sportschau“. Und in den Büros der US-Liga hofft man sicher auch, dass sich im Jahr vor der WM dank Müller ein paar Menschen mehr den Blick nach Fußballamerika richten. Die kämen wohl nicht zuletzt aus Deutschland. Und sei es nur für ein paar kleine Thomas-Müller-Videoschnipsel.