
Der Zeitplan wirkt perfekt, als wäre es eine Marketing-Kampagne. Gerade wurde der Siegerentwurf des Architekturwettbewerbs für den Hamburger Synagogen-Neubau erstmals öffentlich vorgestellt, da bringt Kammerspiel-Intendant Axel Schneider neun Tage später schon das von ihm dazu geschriebene und inszenierte Stück „Nächstes Jahr Bornplatzsynagoge“ zur Uraufführung.
Dass sein Haus diese nicht nur jüdische Bürgerinitiative unterstützt, scheint eine historisch-moralische Notwendigkeit. Die Kammerspiele waren in der Weimarer Republik ein Fixpunkt der jüdischen Gemeinde des Grindelviertels, wurden von den Nazis annektiert und zur Organisation von Deportationen sowie als Sammellager für Menschen vor ihrem Abtransport in die Vernichtungslager genutzt. Im Juli 1945 konnte die Schauspielerin Ida Ehre, die selbst die Haft im KZ Fuhlsbüttel überlebt hatte, die Hamburger Kammerspiele wieder als Theater eröffnen.
Die Bühne liegt nur 300 Meter vom ehemaligen Born-, heutigen Joseph-Carlebach-Platz entfernt, benannt nach dem letzten Oberrabbiner der dort ehemals 40 Meter in die Höhe ragenden Synagoge, die 1906 eingeweiht worden war. 1.200 Gläubigen bot sie Platz. In der Reichspogromnacht 1938 schändeten Hamburger die Heiligtümer, zerstörten Fenster und Mobiliar, entfachten Feuer. Den befohlenen Abriss musste die jüdische Gemeinde bezahlen.
An demselben Ort, der über Jahrzehnte geschichtsvergessen als Pkw-Parkplatz diente, ist jetzt eine Rekonstruktion mit modernem Innenleben geplant. Noch hängen dort Fotos von Opfern des palästinensischen Terrors, täglich 24 Stunden mitbewacht von zwei zur anliegenden Talmud-Tora-Schule abgeordneten Polizisten, während in der angrenzenden Universität überwiegend antiisraelische Plakate hängen. Die mehr als 100-jährige Geschichte des von der Hansestadt bereits restituierten Grundstücks erzählt Schneider nun in Kurzszenen – anhand der fiktionalisierten Biografie des Gründers und Vorsitzenden der Stiftung Bornplatzsynagoge, des Hamburger Unternehmers Daniel Sheffer.
Ein Sohn ermordeter Eltern
Im Stück heißt er Len Steiner, sein Vater Aron. Der wird in kindlicher Verzweiflung nach der NS-Machtübernahme zur Tante nach Palästina verschifft, die Eltern wollen nachkommen, werden aber, Treffpunkt Kammerspiele, ins KZ Jungfernhof bei Riga transportiert und dort ermordet, wie der Sohn in einer späteren Szene recherchiert.
Dabei lernt er seine zukünftige Frau kennen und bleibt in Deutschland. Vom Tiefpunkt der Gemütsverfassung zum Höhepunkt des Verliebtheitsglücks in wenigen Minuten, es folgt eine vitale Hochzeitsszene. Szenenapplaus. So geht Theater. Aber das ist die Ausnahme.
Die Inszenierung von Axel Schneider will nicht überwältigen, sondern sachlich, seriös Theaterwerbung für das Bauprojekt betreiben. Dazu wird viel Hintergrundwissen in die daher etwas behäbigen Dialoge gepackt. Die vom sechsköpfigen Ensemble souverän skizzierten Figuren stehen in geradezu stereotyper Klarheit auf der mit Gardinen für schnelle Szenenwechsel designten Bühne.
Der herrisch-aggressive Brüller ist der Nazi-Beamte, auch nach 1945 sitzt er noch auf seinem Stuhl in der Baubehörde, ein entnazifizierter Judenhasser. Lens Mutter ist vor allem duldsam, seine Frau vor allem nett und sanft unterstützend: „Hass bringt uns nicht weiter.“ Der Rabbiner kommt empörend devot daher, sagt er doch vor dem Abtransport in den Tod: „Wir gehen als aufrechte deutsche Juden dahin, wohin man uns schickt. Gott kennt unsere Wege und er kennt den Sinn darin.“
Aron wirkt etwas komplexer, bekommt er doch als Schoah-Überlebender noch ein Trauma obendrauf: Als Mitglied der zionistischen Untergrundorganisation Haganah war er einst mitverantwortlich für die militärische Vertreibung arabischer Bevölkerung von ihrem Land. Was das Stück aber nicht weiterverfolgt und auch jede Assoziation zu aktuellen Palästina-Diskursen vermeidet.
Begeistert von Bildern des alten Gotteshauses, entsetzt über antisemitische Anschläge in Deutschland, übernimmt Len das Engagement seines Vaters, jüdisches Leben wieder selbstverständlich in der Öffentlichkeit zu führen. Dafür soll die Synagoge ohne Zäune und Security-Großaufgebot die Lücke, Leerstelle oder Wunde im Stadtteil, in der Gesellschaft schließen.
Begeistert von Bildern des alten Gotteshauses, entsetzt über antisemitische Anschläge in Deutschland, übernimmt Len das Engagement seines Vaters, jüdisches Leben wieder selbstverständlich in der Öffentlichkeit zu führen
Probleme deuten sich bei der Finanzierung an. Laut Stück möchte die Politik, dass sich die Gemeinde deutlich an den Kosten beteiligt. Was Len Steiner grundsätzlich dazu denkt, wird in einer ausführlich erzählten Episode deutlich. Ein Antiquitätenhändler, oder sagen wir: Hehler, bietet ihm die Tora-Krone der zerstörten Synagoge für 20.000 Euro an. Len: „Ich soll für etwas bezahlen, was den Juden zuvor geraubt wurde“?! Deswegen macht Schneider den halbseidenen Verkaufsprofi schnell zum suspekten Objekt, in dem er verdeutlicht, dass er auch Nazi-Devotionalien im Angebot hat. „Geschäft ist Geschäft.“
Die letzte Szene spielt am 19. September 2025, Enthüllung des Architekturentwurfs, PR-Botschaften werden strahlend ins Publikum gesprochen, das jubelnd zustimmt. Gelungen ist der Abend als pädagogisch lauter erarbeitetes Infotheater über die Bornplatzsynagoge. Er könnte nach der Einweihung auch prima als kulturelles Beiprogramm einer Tour durchs jüdische Hamburg funktionieren.