Theater von Mohammad Rasoulof über Exil: Ob man je wieder ruhig schlafen kann?

Eine Fluchterfahrung schreibt sich in einen Körper ein. Selbst wenn man in „Sicherheit“ angekommen, wenn die Bedrohung Tausende Kilometer weit entfernt ist, steckt sie buchstäblich in den Knochen.

Die Körper der drei Schauspielerinnen Setareh Maleki, Niousha Akhshi und Mahsa Rostami sind aus dem Iran geflüchtet: Als Darstellerinnen in Mohammad Rasoulofs unter anderem mit einem Spezialpreis in Cannes, dem Deutschen Filmpreis und einer Oscarnominierung geehrten Filmdrama „Die Saat des heiligen Feigenbaums“, der das theokratische Regime Irans scharf kritisiert, mussten sie sich genau wie der Regisseur auf den Weg ins Exil machen.

Mit den drei Frauen, die im Film die beiden Töchter des Richters und deren Freundin spielen, und der deutschen Schauspielerin Eli Riccardi hat Rasoulof ein Theaterstück erarbeitet, das diese Erfahrungen zu reflektieren versucht. „Destination: Origin“ eröffnete im Haus der Berliner Festspiele am Donnerstag das interdisziplinäre Festival „Performing Exiles“, das sich in diesem Jahr zum zweiten Mal Flucht- und Exiltopoi widmet.

Verzweiflung im Team

Doch zunächst müssen Rasoulof und der künstlerische Leiter des Festivals, Matthias Lilienthal, der beim Stück auch als Dramaturg fungierte, auf die Gegenwart eingehen, die sie eingeholt hat. Und so spricht Rasoulof nach der scherzhaften Bemerkung, er habe die Unterschiede zwischen Theater und Film trotz Lilienthals Ausführungen eventuell noch nicht ganz begriffen, vom aktuellen Krieg und der Verzweiflung, die er im Team auslöste.

„Wir dachten nicht, dass wir diese Premiere hinkriegen“, sagt Rasoulof. Ihm bricht die Stimme, als er hinzufügt: „Im Iran kämpfen Menschen seit Jahren friedlich gegen das Regime. Und ich glaube noch immer nicht, dass sich aus Krieg Demokratie entwickeln kann.“ Er erzählt, dass die Darstellerinnen seines Stücks genau wie andere Exil-Iraner:innen seit zwei Tagen ihre Angehörigen nicht mehr erreichen können, weil das gesamte Kommunikationsnetz des Irans zerstört wurde.

Diese Tatsachen machen die folgende einstündige Performance noch bedrückender: Die Frauen stehen in einem zurückhaltenden Setting, geprägt durch von der Decke baumelnde Seile auf der Bühne. Sie wechseln sich beim Erzählen ab, zwischendurch kreisen sie umeinander, tanzen, tasten sich ab, simulieren Wände – viele der Bewegungen spiegeln Kontrollgesten, die Seile erinnern sowohl an Gitterstäbe als auch an Peitschen, irgendwann drehen sich Kleider aus Seilen wie Derwische.

Angst als wiederkehrendes Thema

Die Frauen sprechen von ihrer Unterstützung der Freiheitsbewegung „Frau Leben Freiheit“, vom Casting zum Film, wie ihnen klar wurde, welche Gefahren für Leib und Leben für sie entstehen, weil ohne Hijab gedreht wird, von der Problematik, bei den klandestinen Dreharbeiten unsicher zu sein, wem wirklich zu vertrauen ist.

Dann erzählen sie von der Flucht – bewusst ohne genaue Details, denn sogar was auf einer Berliner Theaterbühne geäußert wird, könnte an den iranischen Geheimdienst gelangen, der auch Exilierte verfolgt. Sie beschreiben, wie sie auf der Flucht ängstlich und allein waren und völlig Fremden Glauben schenken mussten. Vertrauen, Vorsicht, Angst sind wiederkehrende Themen im Stück – und machen klar, dass das im Leben eines und einer jeden Geflüchteten ebenso ist.

Unterbrochen von einigen Songs, von wie Monde aufleuchtenden, poetischen Lichtpunkten, die von den Frauen verfolgt werden, sind sie nach der Flucht in Berlin angekommen. Auf der Bühne steht ein schlichter WG-Tisch, an dem sie sitzen und mit der deutschen Kollegin über die für alle Ber­li­ne­r:in­nen gleich komplizierten Wohnungssuche, über Clubs und Männer sprechen – kichernd stellen sie fest, dass es den Begriff des „Backpfeifengesichts“ sowohl im Persischen als auch im Deutschen gibt.

Flüchten oder bleiben und kämpfen?

Aber es ist eben mitnichten alles gut und schön und vorbei, nur weil der Körper vermeintlich in Sicherheit ist. Und so zeigt die vielleicht stärkste und eingehendste Szene einen Dialog zwischen einer Frau, die in einem aufgerichteten Bett steht oder auch dort angebunden ist, und einer Matratzenverkäuferin, die immer wieder fragt: „Wie fühlen Sie sich? Ist Ihnen bequem?“ Ob man je wieder ruhig schlafen kann, wenn man weiß, was im Iran mit Re­gime­kri­ti­ke­r:in­nen passiert, die Tragweite der gesamten Flüchten-oder-Bleiben-und-Kämpfen-Problematik steckt in dieser Frage, ebenso wie der beängstigende aktuelle Krieg.

„Die Augen haben Angst, aber die Füße tragen mich weiter“, ist ein Satz, der im Stück immer wieder fällt: Ihr Fluchthelfer habe das zu ihr gesagt, als sie ihre Bedenken angesichts des Weges durch die Berge äußerte, erklärt die chorische Drei-Frauen-Figur. Am Ende begreift man diesen Satz als Symbol eines Traumas. Aber er könnte auch Hoffnung enthalten. Denn wenn die Augen irgendwann aufhören dürfen, Angst zu haben, dürfen sich vielleicht auch die Füße ausruhen.