
Zur Halbzeit steht es 0:0. Mannschaftskapitän Alex Mugerwa steht es ins Gesicht geschrieben, dass er unzufrieden ist. Mit dem Ergebnis, dem Spielverlauf, auch mit der eigenen Leistung. In der 15. Minute hatte er die Chance zur Führung: ein Freistoß, ein paar Meter vor dem gegnerischen Tor. Er steht auf seinem Bein, stemmt die Krücken in den Boden, schießt. Aber der Ball prallt von der Mauer ab. Sechs Gegner haben sich kaum überwindbar direkt auf der Torlinie postiert. Sie tragen dunkelrote Trikots, während Mugerwas Mannschaft in Gelb antritt, auf der Brust den Schriftzug „Uganda“.
Nicht nur die Trikotfarbe unterscheidet die Teams: Die Gegner haben zwei Beine, die Spieler der Amputee Cranes nur eines – bei Teamkapitän Alex Mugerwa, einem drahtigen Mann Ende zwanzig, ist es das rechte, links hat er einen Stumpf.
Der Ball rollt: Beim Match der Amputierten-Fußballer gegen eine Mannschaft von Nichtbehinderten geht es um den Spaß, aber auch darum zu zeigen, was mit einem Bein möglich ist.
Es ist ein besonderes Spiel in der ohnehin besonderen Sportart des Amputiertenfußballs. Daher sind ein paar Hundert Zuschauer auf den Sportplatz in Mukono gekommen, einer Stadt in der Nähe der ugandischen Metropole Kampala. Die Amputee Cranes – wie sich das Team nach dem Wappentier Ugandas, dem Kranich, nennt – treten normalerweise, zum Beispiel bei den afrikanischen Para Games, gegen Mannschaften an, die wie sie selbst aus beinamputierten Spielern bestehen. Doch dieses Mal geht es nicht um Punkte oder Titel. Das Spiel ist der Höhepunkt eines Festes zu Ehren von Pro Uganda.
Der Verein aus Wehrheim im Taunus hat ein paar Hundert Meter vom Spielfeld entfernt ein neues orthopädisches Zentrum eröffnet, das soll gefeiert werden. Entstanden ist Pro Uganda aus einer privaten Initiative an der Saalburgschule, einer Berufsschule für Orthopädietechniker in Wehrheim. Seit mehr als zehn Jahren reisen Lehrer und Schüler aus Hessen in das ostafrikanische Land, um dort Prothesen, Orthesen und andere Hilfsmittel herzustellen.
Anfangs geschah das mit einfachsten Mitteln: gebrauchten Teilen, die im Fluggepäck aus Deutschland mitgebracht wurden. Weil immer mehr Ehrenamtliche und Spender den Verein unterstützten, konnte die Hilfe professionalisiert werden. Inzwischen ist in Mukono ein kleiner Campus entstanden, auf dem Einheimische zu Orthopädietechnikern ausgebildet werden und zu einem guten Teil auch selbst verantwortlich sind.
Schritt für Schritt: Im Orthopädischen Zentrum, das Pro Uganda in Mukono betreibt, lernen Kinder, wie sie mit den Prothesen laufen und im Alltag umgehen können.
Menschen, denen von Geburt an Gliedmaßen fehlen, oder die nach einem Unfall, einer Krankheit oder aufgrund unzureichender medizinischer Behandlung beeinträchtigt sind, werden in Mukono versorgt. Dank der Prothesen, Orthesen und Rollstühle von Pro Uganda können Kinder die Schule besuchen, Männer und Frauen ihren Beruf ausüben, Eltern für ihre Familien sorgen. Sie hätten sich solche orthopädischen Hilfen sonst nicht leisten können. Im ugandischen Gesundheitssystem ist eine Versorgung nicht vorgesehen. Dafür, dass der Verein seine Arbeit weiterführen und noch ausweiten kann, bittet die F.A.Z. ihre Leserinnen und Leser um Spenden. Unter anderem soll ein Haus eingerichtet werden, in dem sich Kinder nach einer Operation erholen und an den Umgang mit der Prothese gewöhnen können.
Beim Match der Beinamputierten gegen eine Mitarbeitermannschaft des orthopädischen Zentrums soll es darum gehen, für die Arbeit von Pro Uganda zu werben. Das heißt nicht, dass nur zum Spaß gekickt wird. Schon am Vortag, beim Abschlusstraining der Amputee Cranes, geht es zur Sache. „Faster, faster“, schallt es über den Sportplatz, „schneller, schneller“, als die Spieler im Slalom um die orange-weiß gestreiften Hütchen dribbeln. Zu schnell dürfen sie aber auch nicht sein, denn wer mit der Krücke ein Hütchen umstößt, muss auf den Boden und Liegestütze machen.
Hilfsmittel: Auf dem Spielfeld nutzen die Amputee Cranes Krücken, aber im Alltag tragen sie Prothesen von Pro Uganda.
Am Spielfeldrand erklärt Kapitän Mugerwa, der als Kind das linke Bein verlor, die Regeln des Amputiertenfußballs. Die Spieler dürfen nur ein funktionierendes Bein haben, und sie treten ohne Prothesen, nur mit Gehstützen an. Ausnahme ist der Torwart: Er kann zwei Beine, dafür aber nur einen Arm haben. Die Spieler dürfen den Ball nur mit dem Fuß, dem Kopf und dem Rumpf berühren, nicht mit den Krücken und auch nicht mit dem Bein- oder Armstumpf. Gespielt wird in zwei Hälften à 25 Minuten auf einem kleineren Feld als im herkömmlichen Fußball. Statt einen im Seitenaus gelandeten Ball einzuwerfen, wird er mit dem Fuß zurück ins Feld gekickt.
Wer als Amputierter Leistungssport betreibe, gewinne Selbstbewusstsein und ein Gefühl der Unabhängigkeit, sagt Mugerwa. Dass seine Mannschaft es auch mit einem Team aus Nichtbehinderten aufnehme, sei ein Zeichen der Widerstandskraft trotz schwieriger Ausgangsbedingungen. Außerhalb des Spielfelds nutzten die meisten Mitspieler Prothesen, viele davon seien im orthopädischen Zentrum von Pro Uganda gebaut und angepasst worden, sagt Mugerwa. Er selbst arbeitet in der Telekommunikation, aber in der Mannschaft sind alle möglichen Berufe versammelt. Der im Sturm spielende Bombo Wilson ist Klempner. Nach dem Training zeigt er ein Foto: Auf der obersten Sprosse einer Leiter steht er an einer Hauswand, um eine Regenrinne zu installieren. „Mit der Prothese geht alles“, sagt der 34 Jahre alte Vater von Zwillingen.
Voller Einsatz: Kapitän Alex Mugerwa und seine Mitspieler sehen in ihrem Sport ein Zeichen dafür, dass man sich gegen Widerstände behaupten kann.
Auf die torlose erste Halbzeit folgt beim Freundschaftsspiel auf dem Sportplatz in Mukono eine packende zweite Hälfte, die hin und her wogt. Die Mannschaft der Nichtbehinderten schießt das erste Tor, zehn Minuten vor Schluss fällt der umjubelte Ausgleich. Danach gehen die Amputee Cranes in Führung, kassieren aber gleich wieder einen Gegentreffer. Das Elfmeterschießen muss entscheiden, im Amputiertenfußball ist es ein Achtmeterschießen. Dabei hat Mugerwas Team einen Vorteil: Beide Torhüter dürfen nur einen Arm einsetzen – und darin hat der eigene Goalie weit mehr Erfahrung als der gegnerische. So jubeln die Amputee Cranes schließlich über einen 6:4-Sieg. Sie tun es ausgiebig – in einer Traube aus Spielern und Betreuern, tanzend, die Krücken in die Höhe gereckt.
„F.A.Z.-Leser helfen“
Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung und die Frankfurter Allgemeine/Rhein-Main-Zeitung bitten um Spenden für die Arbeit der Vereine Kinderhilfe Organtransplantation (KiO) und Pro Uganda. Die Frankfurter KiO hilft Familien mit organkranken und transplantierten Kindern und Jugendlichen, wenn andere Unterstützer ausfallen. Pro Uganda baut in dem afrikanischen Land Prothesen für Menschen, die Gliedmaßen verloren haben, und eröffnet so neue Lebenschancen.
Spenden für das Projekt „F.A.Z.-Leser helfen“ bitte auf die Konten:
Bei der Frankfurter Volksbank: IBAN DE94 5019 0000 0000 1157 11
Bei der Frankfurter Sparkasse: IBAN DE43 5005 0201 0000 9780 00
Spenden können steuerlich abgesetzt werden. Bei Zuwendungen bis 300 Euro genügt dafür der Überweisungsbeleg. Weitere Informationen zur Spendenaktion im Internet unter www.faz-leser-helfen.de.