
Viele gute Geschichten lassen sich in vier bis fünf Wörtern erzählen. Das gilt für zutreffende wie für fiktionale Erzählungen. „Bei Aldi gibt es Schlafsäcke“ ist eine, die Elternherzen schneller schlagen und sofort zum Discounter steuern lässt. Und auch erfundene Storys verfangen oft schon mit geringem verbalem Aufwand: „Ich bin nicht Stiller“, „Eltern verlassen Geschwister im Wald“ oder „In Springfield essen Haitianer Hunde“ sind gute Beispiele dafür.
Vor zehn Jahren verfing einmal die Geschichte „Tchibo verkauft jetzt Inseln“ beim Publikum. Je nach Finanzkraft konnte es vom kanadischen Eiland ohne Straßen und Häuser, aber dafür mit Bäumen träumen. Bei etwas vollerem Konto von der Insel mit Blockhütte in Connecticut. Oder für die sehr Zahlungskräftigen Kaffeetrinker von der Südseeinsel mit Palmen und Freizeitangebot.
Vor einem halben Jahrhundert erweiterte sich die Palette
Das Hamburger Unternehmen ist bekannt für spektakuläre Sonderangebote. Ein Vierteljahrhundert nach der Gründung hat die Familie 1973 entschieden, die Produktpalette um Gebrauchsgegenstände zu erweitern. Und der Begriff dehnte sich über die Zeit. Heute reicht die Produktpalette von Sideboards über Etageren bis zu Mikroskopen und tragbaren Plattenspielern. Für manches geht man gezielt in den Laden (und wird mit dem Duft gemahlener Bohnen belohnt) oder ins Internet (ohne Belohnung).
In dieser Woche machte ein Angebot Furore, mit dem sich Tchibo wie früher mit Arzneimitteln, Bahntickets oder Oldtimern ins Gespräch brachte. Auch Finanzprodukte wie Versicherungen oder Girokonten der Postbank erzeugten phasenweise eine größere Aufmerksamkeit. Seit kurzem bietet das Unternehmen zweistöckige Wochenendhäuser an. Das Produkt stellt die Weka Holzbau GmbH aus Neubrandenburg in Mecklenburg-Vorpommern her, das vor drei Jahrzehnten an die Datschen-Tradition in Ostdeutschland anknüpfte.
Alle reden über das Tchibo-Wochenendhaus
Jenseits der sehr geräumigen Häuser für die Tchibo-Kunden zum Preis von 49.999,99 Euro inklusive Montage (5000 Euro weniger bei Selbstaufbau) geht das Unternehmen mit dem Blockbohlen-Gartenhaus Louis 6 zu 599,99 Euro in den Wettbewerb. Etwas geräumiger ist das Massivholz-Gartenhaus Noah 3 für 1699 Euro. Alles Restposten, alles im Selbstaufbau.
Kaum ein Printmedium hat auf die Vier-Wort-Geschichte „Bei Tchibo gibt’s Wochenendhäuser“ verzichtet. Und damit bekommt der Kaffeekonzern wieder einmal die Aufmerksamkeit, die er mit ungewöhnlichen Ideen immer wieder erhalten hat. Verbraucherschützer gaben zu bedenken, dass ein Holzhaus mit fast 75 Quadratmetern Grundfläche und zwei Stockwerken nicht nur ein stabiles Fundament, sondern auch einen engeren Draht zur Landesbaubehörde brauche. Andere wiesen auf eine fehlende Heizung und die mangelnde Abschließbarkeit der Fenster hin.
Doch wer bei Tchibo kauft, wusste schon bei früheren Angeboten: Das allumfassende Produkt wird er nicht bekommen. Kunden von Postbank-Girokonten zählten lange zu den von Kundenservices eher vernachlässigten Verbrauchern. Als Tchibo im Jahr 2013 Krankenzusatzversicherungen für Zahnersatz verkauften, sorgten sich Ärztekammern und Kassenärzte um die freie Arztwahl der Patienten. Drei Jahre davor hatte das Landgericht Hamburg dem Unternehmen untersagt, Versicherungen und Investmentfonds zu vermitteln. Um solche Produkte zu verkaufen, brauche es einen Qualifikationsnachweis.
TCM-Musikanlagen halten auch nicht mit Hifi mit
Wer einen CD-Player der Tchibo-Marke TCM erwarb, wusste, dass ihr Sound sich zu einer Hifi-Musikanlage ungefähr so verhielt wie ein Mitschnitt durchs Telefon zum Konzertsaal. Dass die Jogginghose aus dem Kaffeeladen nicht so atmungsaktiv ist wie aus dem Sportfachgeschäft nehmen Verbraucher auch in Kauf. Und dass die Ausziehbank aus Akazien-Massivholz ist, das mit dem FSC-Nachhaltigkeitslabel zertifiziert ist, wird womöglich auch nur den Umweltschützern von Greenpeace und Robin Wood aufstoßen, die dieses Zertifikat für sehr defensiv ausgerichtet halten.
Jeder kann sich selbst entscheiden, ob er ein Fertig-Wochenendhaus erwirbt, für das er ein solides Fundament auf einem nicht zu kleinen Gartengrundstück und wahrscheinlich auch eine Genehmigung der Behörden braucht. „Das Angebot hat nichts mit dem soliden Fertighausbau zu tun, für den unsere Mitgliedsunternehmen stehen“, sagt Achim Hannott, Geschäftsführer des Bundesverband Deutscher Fertigbau in Bad Honnef, der als Vertreter der aufstrebenden Branche der Hersteller von Wohngebäuden spricht, die inzwischen ein Viertel des Marktanteils im Neubau auf sich vereint.
Fein raus könnte der Käufer der kanadischen Insel ohne Haus, Straßen, aber mit Bäumen aus dem Jahr 2015 sein. Sofern er ein passendes Fundament hat, könnte er mit dem Angebot von Tchibo und Weka nun seine Lücke schließen: Das Wochenendhaus für die leere Insel. Auf eines aber sollte er gefasst sein: Die Transportkosten nach Kanada könnten den Wert des Hauses noch übersteigen. Und in der Zwischenzeit sucht Tchibo nach dem nächsten Schnäppchen, mit dem es wieder in aller Munde ist. Solange die Kunden die Pferdefüße der Angebote selbst im Auge haben, ist das der ganz normale Kapitalismus. In vier Wörtern: „Hab mir was geangelt.“