
Für alle, die noch betört sind vom so schön präzisen und
stimmungsvollen Münchner Polizeiruf
– zu Beginn des neuen Ludwigshafener ARD-Sonntagabendkrimis herrscht Katerstimmung.
Wenn der Tatort: Der Stelzenmann (SWR-Redaktion: Ulrich Herrmann)
losgeht, trifft der Junge Paul (William Vonnemann) auf die alte Judith Lutz
(Hede Beck), die nachmittags öfter auf ihn aufpasst. Eine Begegnung wie im
Schultheater: Paul macht auf staunend-fidel und will sein „Fußballspiel“
mitbringen („Du bist schon besser geworden, ganz wirklich“), während
Frau Lutz, der ein Lauch aus dem Einkaufsbeutel lugt,
amüsiert loskichert („Na, klar, auch wenn ich nie gewinne“) –
inklusive lustigem Augenrollen.
Paul wird dann in dunkles Fahrzeug gezerrt, Frau Lutz rennt
hinterher und merkt sich, laut vor sich hinredend, das Kennzeichen. Danach
dreht sie sich um, ruft die Polizei an, um just in dem Moment, in dem sie das
Kennzeichen vom Auto durchgeben will, von diesem überfahren zu werden. Sie wird
aus dem Koma nicht mehr erwachen, und so haben Lena Odenthal (Ulrike Folkerts)
und Johanna Stern (Lisa Bitter) die Leiche, die es im ARD-Sonntagabendkrimi
braucht, auch wenn beide hier in einem Entführungsfall ermitteln. Ums Erpressen
geht es dabei nicht, obwohl Pauls Vater (Reza Brojerdi) in einem Mülleimer
unter einer Brücke leutselig 100.000 Euro deponiert.
Der Stelzenmann erzählt eine Schauergeschichte. Oliver
Kelm (Ulrich Brandhoff) ist unglücklicher Erbe des Vermögens seiner
toten Eltern. Die böse Großmutter (Marie Anne Fliegel) residiert in einem
schlossartigen Altenheim und demütigt den erwachsenen Mann, den sie anstelle
der Eltern großgezogen hat, bis heute.
Wenn Evil Oma dem Kind Angst einflößen wollte, damit Olli
spurt, drohte sie mit dem Stelzenmann – einer Fantasiefigur irgendwo zwischen
Karneval und Karl Mays Mübarek, der einst als Bösewicht mit unheilvoll klapperndem Kostüm angelegt wurde. Aus Olis
Ohnmachtserfahrung bastelt sich der Tatort eine kriminelle Pathologie.
Der erwachsene Mann entführt Kinder, um ihnen Angst zu machen und sie Folgsamkeit
zu lehren. Mitunter auch in der Verkleidung als Stelzenmann im Wald.
Wildes Zeugs, das der
Film aber klar erzählt bekommt. Denn das Drehbuch von Harald Göckeritz entfaltet
in der Regie von Miguel Alexandre einen bemerkenswerten Drive. Bis zum langen Finale
ist der Tatort von einer Dynamik, die vielen ARD-Sonntagabendkrimis
abgeht. Der Wechsel zwischen den verschiedenen Erzählebenen gelingt erstaunlich
ökonomisch, und die Vorgucker vom Anfang erklären sich bald. Dass Oli Kelm im
Keller des Großmutterhauses Paul gefangen hält, spielt fast keine Rolle, weil
mit dem gerade erwachsen gewordenen Swen (Samuel Benito) ein früheres
Entführungsopfer von der Polizei um Mithilfe gebeten wird und eine Bedrohung
fürs Verbrechensmodell darstellen könnte.