D rei grinsende Gesichter haben uns Fremde an der Scheibe des Ubers zurückgelassen. Mein Freund schaut sie an. „Was lässt du heute draußen?“, frage ich. „Meinen Anstand“.
Shik – Shak – Shok – ShikShakShok.
Es ist sieben Uhr morgens, vielleicht halb acht, irgendwo in Berlin. Der Raum ist klein, hoch und voller heißer Luft, die schon zu oft geatmet wurde. Licht bricht durch die Decke, fällt durch die orange eingefärbten Fensterscheiben und verteilt sich in bunten Kegeln über die Körper. Wie im Wasser, wenn man nach oben blickt, und einem die Sonne entgegenflimmert. Man kann es nicht mehr ignorieren. Und trotzdem: Wir tanzen weiter. Shik, shak, shok. Oberkörper schütteln, Arme hoch, alles raus, was noch drin ist.
In meinem Kopf passiert das, was man im Film mit einem gedämpften Bass, einer Detailaufnahme von mir, dann Zeitlupenaufnahmen der Menschen um mich markieren würde. Ich dissoziiere. Die Hängepflanzen über uns zittern leicht mit. Wie eine Trauerweide, die im Wasser hängt. Oder Seegras, das nach unten wächst? Körper ranken sich über die Metallgerüste. Sie wirken wie Korallen, die Beine statisch im Boden verwachsen, die Arme fuchteln umher, unbewegt in der Bewegung. Eine Unterwasserwelt aus wabernden Körpern. Es öffnet sich ein Kreis, dann fließt alles wieder ineinander zurück. Shik, shak, shok.
Ih, was für pathetische Phrasen. Meine rechte Schläfe zwickt, ich bin dehydriert, wache gerade von einem dreistündigen Mittagsschlaf auf. Meine Stimme? Ich teste ein „Hallo“. Mist. Ich bin ein vertrockneter, graubrauner Schwamm, herausgerissen aus seinem Habitat. Aber mit wiedergewonnener, selbst entlarvender Nüchternheit. „Unterwasserwelt“, habe ich auf den Zettel mit meiner Garderobennummer gekritzelt.
Über Rausch schreiben, ohne in Klischees abzurutschen, geht das überhaupt? Irgendwie will ich ja auch, dass die Erfahrung filmreif ist. Zwischen kollektiver Ekstase einerseits und Kotze, Drogen, vollgepissten Toiletten andererseits gibt es auch eine große Leerstelle: Was die tanzenden Leute in ihrem Leben außerhalb des Aquariums machen, ist im Club egal. Mehr noch, es soll kein Thema sein. Nur so bleibt es ein geschützter Raum, in dem alle sein können, wie sie wollen. Ich kann also nur in schmierigen Worten über diese Sphäre schreiben, oder darüber, was außerhalb bleiben soll.
Aber was lasse ich draußen? Meine Abschlussarbeit und einen ziemlichen Scheißtag. Das herausgerissene Reißverschlussteil meiner Jacke lasse ich draußen. Den Unglückskeks, der mir eine „turbulente Zeit“ prophezeit. Die vegetarische Falafelplatte für vier Personen, die wir uns zu zweit bestellen. „Können wir einen Moment einfach schweigen und das genießen?“, fragt mein Freund beim Anblick der Aufgabe zwischen uns. Nein, können wir nicht, finde ich. Er kann schweigen und genießen, während ich uns Teller hole.
„Können wir bitte nicht über meine Bachelorarbeit reden?“ Doch, das interessiere ihn schon sehr. Also reden wir die nächste Stunde über die Sackgasse, in der ich mich gerade befinde. Währenddessen entstehen von einer Hummuspfütze vor dem Tresen Fußspuren in alle Richtungen. Was für eine „Alltagsinstallation“. Was für ein von Instagram frittiertes Gehirn, das alles sofort mit Captions versehen muss. Das bleibt auch draußen.
Die ganz großen Fragen
Ich weiß nicht, wie viel Uhr es ist. Alles ist herausgestanzt. Und die anderen, was haben sie draußen gelassen? „Die Lohnarbeit, den Tausch von Lebenszeit gegen Geld“, sagt einer. Hier sei es andersherum. Eine andere lacht. „Nein, die kommt mit rein.“ Sie hat gerade drei Stunden aufgelegt. „Die Vergangenheit, die Zukunft? Aber was ist überhaupt Gegenwart?“ Die späten Vögel, die gar nicht erst ins Bett gegangen sind, gehen jetzt den ganz großen Fragen nach. Und liefern große Antworten: „Ich nehme alles mit, nichts bleibt draußen. Wär auch blöd, geht auch gar nicht“.
Dabei belassen wir es und gehen zurück nach draußen, wo Bachelor- und Lohnarbeiten, der Anstand oder eben nichts auf uns warten.
