Ein einsamer Surfer steht am Samstagvormittag am Rande des Eisbachs, nimmt sein Brett, springt drauf und surft mit dem weißen Bord auf der fast ebenso weißen Welle zur anderen Seite. Hin und her geht es für ein paar Sekunden, dann lässt er sich ins Wasser fallen und schwimmt zum Ufer.
Wie war es? „Geht so“, sagt der Surfer, der seit sieben Jahren auf der weltberühmten Eisbachwelle im Englischen Garten surft. „Die Welle hat zu wenig Power, der Pegelstand ist zu niedrig.“ Und überhaupt: „Viel zu viel Weißwasser!“ Nur in der Mitte ist das Wasser der Welle zu einem grünen Bogen geformt und somit gut surfbar. Links und rechts schäumt es jedoch so sehr, dass das Wasser so weiß ist wie die dünne Schicht aus Schnee und Eis, die das Ufer bedeckt. Trotzdem sei es schön, endlich wieder zu surfen, sagt der Mann und nickt kurz einem weiteren Surfer im schwarzen Neoprenanzug zu, der mit seinem Brett gerade zum Ufer gekommen ist. „Aber die Stadt wird heute wohl das Brett wieder rausnehmen. Dann ist es mit dem Surfen auch schon wieder vorbei.“ Unversöhnlich seien inzwischen die Positionen zwischen Stadt und Surfern. „Da gibt es kaum noch Kommunikation.“
Surfer haben eine Rampe versenkt
Vermutlich in der Nacht zum ersten Weihnachtsfeiertag haben Surfer eine Rampe im Eisbach versenkt, um so die Wassermassen zu einer einigermaßen surfbaren Welle zu formen. Man sieht mehrere Seile, die mit Metallösen am Brückenpfeiler angebracht sind und unter das Wasser geführt werden. „JUST WATCH MERRY X-MAS“ steht auf einem weißen Banner, das an der Brücke über dem Eisbach hängt. Unter der Brücke an der Prinzregentenstraße donnert der überwiegend unterirdisch verlaufende Eisbach an die Oberfläche – in besseren Zeiten bildet er dann die grünglänzende Welle, zu der es Surfer aus nah und fern sowie jedes Jahr Tausende Touristen zieht.
Doch seit Wochen ist die Welle nicht mehr das, was sie immer war. Im Oktober wurde für die routinemäßige Bachauskehr der Wasserspiegel abgesenkt. Das Bachbett wurde von Sediment, also Kies und Algen befreit, aber als das Wasser zurückkam, bildete sich keine Welle, sondern nur eine schäumende, weiße Wasserwalze. Auch nach einer erhöhten Wasserzufuhr baute sich keine surfbare Welle mehr auf. Seitdem wird gerätselt, woran das liegt. Wurde der Bachgrund zu gründlich gereinigt? Wurde das Zusammenspiel von Untergrund und Strömungsverhältnissen empfindlich gestört? Ist die Welle für immer verloren?
Experten aus dem In- und Ausland für Wasserbau und Strömungsmechanik gaben ihre Einschätzung ab, Strömungssimulationen und neue Sediment-Ablagerungen wurden angekündigt. Die Stadt war im ständigen Austausch mit der Surfercommunity, Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) erklärte die Wiederherstellung der Welle, die das „Lebensgefühl“ Münchens symbolisiere, zur „höchsten Priorität“.
Konflikt zwischen Surfern und Stadtverwaltung
Jetzt hingegen scheint es kein Miteinander zwischen den (organisierten) Surfern und der Stadtverwaltung mehr zu geben. Das Blatt habe sich mittlerweile gewendet, schreibt die sonst immer auf Konsens bedachte Interessengemeinschaft Surfen in München (IGSM) auf Instagram. Die Surfer hatten einen Antrag eingebracht für einen „Hauptversuch“, der jedoch „auf Eis“ liege: Sie wollten eine „Rampenkonstruktion“ im Eisbach für drei Monate installieren und zusätzlich Kies auf dem Bachgrund ablagern. Die Rampe sollte die Strömung so verändern, dass sich „in dieser Zeit Kies unter der Welle ansammeln und verfestigen“ könne. Auf diese Weise sollten „wieder Bedingung wie vor der Bachauskehr“ hergestellt werden. Auch nach dem Herausnehmen der Rampe sollte dann – im Idealfall – die Welle bestehen bleiben. Auch sollte, so die IGSM, „während des Versuchszeitraums gesurft werden“, da sich durch die Rampe sofort eine surfbare Welle einstelle. Rampen hatten die Surfer auch in den Jahren zuvor schon immer mal wieder in den Eisbach eingelassen, um die Welle besser zu formen – wenn auch nie mit offizieller Genehmigung.
50 Seiten lang ist der Antrag für die Rampe den Angaben zufolge. Konzipiert haben ihn die IGSM sowie der Surf Club München und andere Surfer zusammen mit dem Experten für Strömungsmechanik Robert Meier-Staude von der Hochschule München, der ebenfalls auf dem Eisbach surft. Doch die Forderungen der Stadt für die Genehmigung des Antrags „werden immer abstruser und sind nicht mehr zu erfüllen“, kritisiert die IGSM.

Deutlich schärfer argumentiert der Surf Club München in einer Mitteilung: Die Verwaltung blockiere die Lösung, das Surfen „soll offenbar um jeden Preis verhindert werden“. Die Antragsteller würden daher jetzt „das Verfahren“ abbrechen. Die Sicherheitsanforderungen der Stadt dienten als „pauschales Totschlagargument“, um jede Form von regulierter Nutzung auszuschließen. „Wer Sicherheit wirklich will, schafft klare Regeln. Wer keine Nutzung will, schafft unerfüllbare Auflagen.“
Zu den Auflagen der Stadt gehört nach Auflistung des Surf Clubs eine „vollständige Haftungsabwälzung“, eine permanente Verfügbarkeit von Ansprechpartnern, „technische Nachweise auf dem Niveau von Brücken- oder Staubauwerkerrichtungen“, Kontroll- und Dokumentationspflichten sowie eine volle Kostenübernahme – und ein „absurdes Surfverbot“ trotz Welle während des Versuchs. Die Stadt schließe also formal eine Genehmigung nicht aus, doch faktisch sei diese mit den Auflagen unmöglich.
Unerfüllbare Auflagen?
Ähnlich wie Oberbürgermeister Reiter im Oktober argumentiert auch der Surf Club mit der Eisbachwelle als „Kulturgut“. Der Club dreht es jedoch noch weiter ins Politische: Die Welle sei „kostenlose Sportmöglichkeit“ und Kulturtreff für Tausende Surfer, „egal ob jung oder alt, arm oder reich“. Die Surfer zeichnen ein romantisches Bild vom Zusammentreffen aller Schichten am Eisbach, zählen „Handwerker, Akademiker, Schüler, Studenten, Lehrlinge und Lebenskünstler“ auf (und lassen allerdings Hackordnung und localism am Eisbach unerwähnt, die diesem urdemokratischen Selbstbild ein wenig entgegenstehen). Mit der Stadt geht der Surf Club hart ins Gericht: Das „öffentliche Interesse“ spiele im Verfahren keine Rolle, die Stadt entscheide also auch darüber, wie viel „Stadtleben“ noch gewollt sei. Dass die Surfer jetzt das Verfahren für die Antragsstellung beenden, liegt nach ihrer Einschätzung allein in der Verantwortung der Stadt. Doch die Debatte sei noch nicht beendet: „Sie wird jetzt politisch.“
Für die Stadt, die sich zu den Vorwürfen noch nicht geäußert hat, ist die Situation schwierig: Natürlich will sie die Welle als Touristenmagnet, mit der es sich gut werben lässt, wiedergewinnen. Bedacht werden müssen jedoch bei allen Einbauten – und auch beim Einbringen von Kies in Fließgewässer – komplexe wasserrechtliche und haftungsrechtliche Faktoren. Zwar geschieht das Surfen auf eigene Gefahr, worauf Schilder am Eisbach hinweisen. Doch spätestens seit dem tödlichen Unfall einer Surferin im April dieses Jahres sind mögliche rechtliche Konsequenzen in den Vordergrund gerückt. Die Stadt hatte immer wieder darauf hingewiesen, dass bei allen Maßnahmen zur Wiederherstellung der Welle bedacht werden müsse, dass Mitarbeiter der Stadtverwaltung nicht für eventuelle Unfälle haftbar gemacht werden können.
Wie es mit der Welle weitergeht, scheint im Moment ungewiss. Der IGSM gibt sich zuversichtlich: Man hoffe, dass bei der Stadtverwaltung „ein Umdenken“ stattfinde und einige der Auflagen für die Versuchsdurchführung aufgehoben würden. Schließlich, so die IGSM, sollte die Stadt ein „hohes Eigeninteresse“ an einer der Haupttouristenattraktionen haben.
Angesichts der medialen Aufmerksamkeit, die der Eisbach nun wieder erhält, ist es vermutlich nur eine Frage der Zeit, bis sich Ministerpräsident Markus Söder (CSU) persönlich am Eisbach einfindet, um der Welle wieder neues Leben einzuhauchen.
