

Kurz vor Beginn des Freitagsgebets erschütterte eine erste Explosion eine Moschee, die zu einer Schule in der indonesischen Hauptstadt Jakarta gehört. Ein zweiter Sprengsatz folgte etwas später in der Kantine. Es wurden 96 Menschen verletzt, aber niemand getötet. Daher fand das Ereignis Anfang November in der internationalen Berichterstattung nur am Rande Erwähnung.
In Südostasien aber findet die Tat stärkeren Nachhall. Denn der erst 17 Jahre alte Täter war nicht nur außergewöhnlich jung, sondern er passt so gar nicht in das Muster bekannter Terroristen in der Region. In der Vergangenheit waren die vor allem dem islamistischen Extremismus zuzurechnen. Der indonesische Täter aber soll von Neonazis und Anhängern eines „weißen Nationalismus“ beeinflusst gewesen sein.
Noch mehr als sein ideologischer Hintergrund sorgt die Art für Beunruhigung, wie der Minderjährige radikalisiert und zu seiner Tat inspiriert wurde. Demnach folgte er Kanälen auf der Messenger-App Telegram, in denen das Massaker von 2019 im neuseeländischen Christchurch und der Amoklauf 1999 an einer amerikanischen Highschool in Columbine verherrlicht wurden.
Zudem erscheint wichtig, wie der Indonesier den Weg in diese Chats gefunden hatte. Presseberichten nach war er über das Mehrspieler-Shootingspiel „PUBG: Battlegrounds“, in dem die Spieler über das Internet gegeneinander antreten, erstmals mit rechtsradikalen Ideen in Berührung gekommen.
Die Plattformen bieten, was Extremisten suchen
Der Anschlag hat damit den Fokus auf ein Phänomen gerichtet, das zunächst in einigen westlichen Ländern und nun in Südostasien mit zunehmender Sorge gesehen wird. Dabei geht es nicht um die bekannte Frage, ob Computerspiele mit Gewaltdarstellungen entsprechende Taten im echten Leben nach sich ziehen können. Vielmehr zeigt sich, dass Extremisten Gaming-Plattformen nutzen, um junge Menschen für ihre Ideologie zu gewinnen.
Eine besondere Rolle spielen dabei Programme wie Roblox, in dem täglich Millionen Menschen Spiele spielen, die von Nutzern selbst entwickelt werden, oder die bei Gamern beliebte Chat-Plattform Discord.
Den Behörden in einigen südostasiatischen Ländern zufolge treten Extremisten dort über Chats, Livestreams und Privatnachrichten mit den häufig minderjährigen Nutzern in Kontakt.
„Die Plattformen bieten das, was extremistische Gruppen schon immer gesucht haben: Anonymität, einen globalen Pool junger Nutzer, ein integriertes Kommunikationsmittel und eine immersive Umgebung, in der schnell Freundschaften und Vertrauen entstehen können“, sagt Noor Huda Ismail, Extremismus-Fachmann an der Denkfabrik RSIS in Singapur. Der Terrorismus verlagere sich vom physischen in den digitalen Raum.
Ismail zufolge führe dieser „neue Weg der Rekrutierung“ häufig von den Onlinespielen zu Messengerdiensten wie Telegram und Whatsapp, wo die Indoktrination fortgesetzt werde. Dabei spiegelt die Entwicklung in gewisser Weise die Bedeutung wider, die diese Plattformen im Leben der Jugendlichen mittlerweile spielen.
Selbst ein Vater von zwei Söhnen im Teenageralter, beobachte er, wie die Grenzen zwischen Online- und Offlinewelt verwischten, so Ismail. Es müsse daher über die Frage des Extremismus hinaus darum gehen, wie die sozialen Medien, die Gaming- und Onlinekultur zunehmend die Identität der jungen Menschen formten.
Attentat von Christchurch online „nachgespielt“
Die Kritik setzt insbesondere bei der Frage an, ob die Unternehmen genug tun, um extremistische Inhalte auf Plattformen zu kontrollieren, und ihre minderjährigen Nutzer schützen. So haben einige Unternehmen wie der Roblox-Entwickler zwar verbesserte Sicherheitsmaßnahmen und zukünftige Altersprüfungen versprochen.
Einer Untersuchung von Wissenschaftlern der New York University aus dem Jahr 2023 zufolge haben aber schon mehr als die Hälfte der Gamer bereits im Umfeld von Onlinespielen Berührung mit extremistischen Inhalten gehabt.
Die Möglichkeiten der Gaming-Plattformen und Chatforen machen sich dabei Neonazis ebenso zunutze wie Islamisten. Ein 15 Jahre alter Schüler in Singapur, der über Discord mit Islamisten im Kontakt gewesen war, soll geplant haben, „Ungläubige“ zu köpfen.
Ein 18 Jahre alter Singapurer, der unter anderem die Attacke auf eine Moschee in Christchurch durch Modifikationen in einem der Onlinespiele „nachgespielt“ haben soll, plante danach einen eigenen Anschlag auf ein islamisches Gotteshaus. Der Verhaftete wollte demnach einen „Rassenkrieg“ zwischen Chinesen und Malaien in Singapur vom Zaun brechen.
Dabei kommt es vor, dass sich verschiedene Ideologien auf krude Art miteinander vermischen. So wie bei einem 14 Jahre alten Singapurer, der sowohl den sogenannten Islamischen Staat verherrlicht haben soll, gleichzeitig rechtsradikalen Ideen anhing und sich selbst als „Incel“ bezeichnete. Diese Internetsubkultur heterosexueller Männer gibt Frauen die Schuld an ihrem unfreiwillig enthaltsamen Leben, ist geprägt von Frauenfeindlichkeit und billigt in Teilen Gewalt gegen Frauen.
Extremismusforscher sprechen von einer „Salatbar“ an Ideologien, an der sich die Jugendlichen bedienen wie an einem Buffet.
Dabei nimmt nicht nur die Bandbreite radikaler Ideen zu, sondern die Zahl ihrer Anhänger. Indonesiens Anti-Terror-Behörden etwa haben 110 Fälle nachgewiesen, in denen Kinder über Gaming-Kontakte in Terrornetzwerke gelenkt wurden. Im August hatte die indonesische Regierung gedroht, Roblox zu sperren, bevor das Unternehmen versprach, sich an indonesische Vorschriften zu halten. Nach dem Anschlag in Jakarta wird nun die Sperrung des Shooters „PUBG“ erwogen.
