
Drei Meter hohe Decken und ein Dielenboden, der bei jedem Schritt knarzt. Vier Zimmer, eines davon ein Durchgangsraum, dazu eine geräumige Küche. Durch die großen Fenster fällt der Blick auf das Frankfurter Bahnhofsviertel, wo sich Bordelle dicht an dicht aneinanderreihen. In der Anzeige war von „urbanem Charme“ die Rede. 1810 Euro Miete für 80 Quadratmeter würden da fällig. Die Entscheidung fällt schnell: Diese Wohnung wird es nicht.
Wer als Student in Frankfurt nach Wohnraum sucht, lernt früh, dass Wunsch und Wirklichkeit selten zueinanderfinden. Bezahlbarer Wohnraum ist knapp, die Konkurrenz hingegen erdrückend. Ein WG-Zimmer kostet im Schnitt 675 Euro – Frankfurt rangiert damit hinter München auf Platz zwei der teuersten Hochschulstädte Deutschlands. Zum Vergleich: Die Bafög-Wohnpauschale für Studenten, die nicht mehr bei den Eltern wohnen, liegt derzeit bei 380 Euro.
Anfang Juli kommt die Zulassung von der Goethe-Universität. Drei Monate bleiben bis zum Semesterbeginn, eigentlich genügend Zeit. Doch statt Vorfreude dominieren bald Anspannung und Unsicherheit. Die Suche nach bezahlbarem Wohnraum wird schnell zur zehrenden Vollzeitaufgabe: unzählige Anfragen und Besichtigungstermine – meist folgt nur eine Absage und im besten Fall noch eine Rückmeldung. Zum Beispiel: Wir vermieten nicht an Studenten.
„Die aktuelle Wohnsituation für Studierende in Frankfurt ist extrem prekär“, bilanziert Timo Wenninger vom Wohnraumreferat des AStAs der Goethe-Uni. Viele junge Menschen müssten in überteuerte Zimmer oder Wohnungen ziehen, nur um überhaupt ein Studium beginnen zu können. Etliche gäben mehr als die Hälfte ihres verfügbaren Haushaltseinkommens für die Miete aus. „Große Teile ihrer Energie müssen viele Studierende zur Sicherung ihres Grundbedürfnisses nach Wohnen aufwenden.“ Was eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte, wird zum täglichen Kraftakt.
Die klassische Wohngemeinschaft ist selten geworden
Für Suchende ist die Plattform WG-Gesucht oft eine erste Anlaufstelle. Doch schon nach wenigen Klicks zeigt sich: Die klassische Wohngemeinschaft ist seltener geworden. Viele der in Frankfurt inserierten Zimmer sind möbliert, ausgestattet mit Flachbildfernseher und Highspeed-WLAN, zu haben für eine „All inclusive“-Miete. Was auf den ersten Blick wie eine private Offerte aussieht, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als lukratives Geschäftsmodell. Dahinter stehen professionelle Anbieter, die unter dem Label „Serviced Apartments“ auf den Markt drängen – funktional, anonym und für viele unbezahlbar.
Auch AStA-Referent Wenninger sieht das mit Sorge. Die angebotenen privaten Studentenwohnheime seien nicht etwa eine Lösung, sondern vielmehr Teil des Problems. Denn Zimmer kosten dort nicht selten mehr als 900 Euro im Monat. „Die Anbieter profitieren von der Not der Studierenden“, sagt er. Insgesamt würden zudem immer mehr Wohnungen möbliert vermietet, um so die Mietpreisbremse zu umgehen.
Anzeige um Anzeige, doch kaum eine Antwort. Viele Zimmer werden nur für wenige Monate vergeben, manche Inserate wirken dubios, viele Nachrichten bleiben unbeantwortet. Gleichzeitig wächst die Idee, eine eigene WG zu gründen und eine Wohnung zu mieten – denn wenn schon teuer, dann wenigstens selbstbestimmt. Drei Zimmer, Küche, Bad, möglichst zentral, möglichst nah an der Uni. Im Juli scheint dieser Plan noch realistisch. Die Wunschliste ist lang, die Realität in Frankfurt kürzt sie jedoch schon bald zurecht.
Eine Besichtigung führt ins beliebte Nordend, in den ersten Stock eines Wohnhauses. Die Fassade ist brüchig, der Balkon gesperrt – er sei einsturzgefährdet, heißt es. Die Tapeten lösen sich teils von den Wänden. Der Mietvertrag wäre zunächst auf sechs Monate befristet. Ob das Haus bald verkauft werde, könne man nicht sagen, fest stehe nur der Preis: 1550 Euro warm für 75 Quadratmeter.
Vermieter hat „schlechte Erfahrungen“ gemacht
Eine andere Anzeige wirbt mit „Vintage Living“ und „Gestaltungsfreiheit für kreative WGs“. Tatsächlich wurde die Wohnung seit Jahren nicht renoviert, die Ausstattung ist veraltet, und die Spuren früherer Bewohner sind noch deutlich sichtbar. Eine „Souterrainwohnung“ in Sachsenhausen entpuppt sich als ausgebauter Keller, vermietet wird ausschließlich an Studenten. Eine andere Wohnung scheitert nach der Besichtigung im letzten Schritt: Die Vermieter haben nach eigenen Angaben schlechte Erfahrungen mit Studenten-WGs gemacht. Dass man studiert, war längst bekannt.
Die Situation in Frankfurt wird durch die Knappheit geförderten Wohnraums zusätzlich erschwert. Laut AStA steht derzeit nur für etwa 9,5 Prozent der Studenten geförderter Wohnraum zur Verfügung. Die Warteliste für einen der begehrten Plätze in den Wohnheimen des Studierendenwerks ist lang: Rund 2800 Suchende stehen derzeit darauf. Geduld ist hier gefragt – wer bereit ist, alles zu nehmen, was frei wird, hat bessere Chancen. Wählerische Interessenten dagegen müssen mitunter länger als ein Jahr warten.
Die meisten Nachrichten bleiben unbeantwortet
Besonders schwer haben es jene, die ohnehin mit wenig Geld auskommen müssen. Studieren in Frankfurt sei heute für viele nur mit Unterstützung der Eltern möglich, sagt AStA-Referent Wenninger und spricht von einer „Art sozialer Auslese“. Die Bafög-Wohnpauschale reiche längst nicht aus, und selbst mit Nebenjobs schafften es viele Studenten kaum, finanziell über die Runden zu kommen. Engagement an der Universität, in Vereinen, sozialen Bewegungen oder politischen Organisationen gerate dabei oft in den Hintergrund. Besonders betroffen seien zudem Studenten aus dem Ausland und Menschen mit Migrationsgeschichte, die zusätzlich auf dem Wohnungsmarkt oft diskriminiert würden.
Die Suche geht weiter, und die meisten Nachrichten bleiben unbeantwortet. Wenn eine Antwort kommt, ist sie oft standardisiert: „Leider vergeben wir die Wohnung nicht an Studierende“ oder „Der Vermieter bevorzugt Paare mit festem Einkommen“. Hinzu kommen formale Hürden: Schufa-Auskunft, Gehaltsnachweise der Eltern, Bürgschaften, Kopien von Ausweisen – und zur Vertragsunterzeichnung sollen am besten gleich die Eltern mitkommen.
AStA vermittelt Schlafplätze für kurze Zeit
Der AStA versucht derweil, die Not der Studenten zu lindern. In Kooperation mit dem Verein „Mieter helfen Mietern“ gibt es eine mietrechtliche Beratung, die in juristischen Fragen unterstützt. Außerdem betreibt das Studierendenwerk Frankfurt gemeinsam mit Hochschulen der Rhein-Main-Region und Studentenvertretungen unter wohnraum-gesucht.de ein eigenes Onlineportal, auf dem private Vermieter Wohnraum inserieren können. Seit Oktober vergangenen Jahres vermittelt die AStA-Bettenbörse zudem für kurze Zeiträume unentgeltliche Schlafplätze. Wer ein freies Bett, eine Couch oder Matratze zur Verfügung hat, kann dies über die Plattform anbieten.
Doch zu Semesterbeginn stoßen auch diese Angebote an ihre Grenzen. Die Zahl der Anfragen steige, sagt Wenninger – oft seien es verzweifelte Studierende, die noch immer keine Wohnung gefunden hätten. Eine individuelle Beratung sei hier nicht möglich, und man könne in diesen Fällen nicht direkt zu einer Wohnung verhelfen.
Mittlerweile ist es Ende September. Der Vorlesungsbeginn im Oktober rückt unaufhaltsam näher. Die Suche ist pragmatischer geworden, die Ansprüche sind längst geschrumpft. Hauptsache, ein Mietvertrag, heißt es jetzt. Und schließlich klappt es: 1685 Euro warm für 72 Quadratmeter im studentischen Bockenheim. Teuer, aber immerhin eine schöne Wohnung mit sonnigem Balkon – und die Miete teilen sich drei Bewohner.