Stress, Ängste, Depressionen: Wie belastet eine schwangere Frau ist, verrät ihr Speichel. US-Forscher stellten fest, dass sich die Bakteriengemeinschaft im Mund verändert – abhängig von den Symptomen. Was auch auf eine schonende Linderung hoffen lässt.
Dass sich die Gesundheit einer Frau während der Schwangerschaft auf ihr ungeborenes Kind auswirkt, ist leicht nachvollziehbar. Aber nicht nur ihre körperliche Verfassung spielt dabei eine Rolle, sondern auch ihre psychische. Um besser einschätzen zu können, wie sich Stress oder Depressionen auswirken, hat eine US-amerikanische Forschungsgruppe nun Speichelproben analysiert.
Die mentale Gesundheit von schätzungsweise 15 bis 20 Prozent der schwangeren Frauen ist aus dem Gleichgewicht. Wie jetzt neue Untersuchungen zeigen, spiegelt die Bakterienflora im Mund- und Rachenraum wider, ob eine Schwangere unter Ängsten, Depressionen, Stress oder sogar einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) leidet. Ein Team der Michigan State University stellte fest, dass Anzahl und Art der Mikroben im Speichel schwangerer Frauen davon abhängen, ob sie unter entsprechenden Symptomen leiden.
Die Studie, aktuell im Fachjournal „BMJ Mental Health“ erschienen, stellt somit erstmals einen Zusammenhang her: zwischen der psychischen Gesundheit von Müttern und ihrer Mundflora, dem oralen Mikrobiom oder „Oralbiom“. An dieser Untersuchung nahmen 224 Frauen im zweiten Trimester ihrer Schwangerschaft teil, die zur Kohorte der langjährigen „Michigan Prenatal Stress Study“ zählen. Sie ließen ihre psychische Verfassung überprüfen und gaben Speichelproben ab.
„Eine positive psychische Gesundheit ist entscheidend für das Wohlbefinden der Mütter und ihre Fähigkeit, sich einfühlsam um ihre Kinder zu kümmern“, erklärte Joseph Lonstein, MSU-Professor für Psychologie, der die Studie leitete. Der Neurobiologe und seine Kollegen hofften, dass ihre Studie andere Forschungsgruppen anregt. Um näher zu untersuchen, wie Mikroben in und auf dem menschlichen Körper mit der psychischen Gesundheit zusammenhängen, und nicht nur von Müttern.
Und nicht nur mit Fokus auf die Darmflora: Neuere Studien lassen annehmen, dass das Oralbiom sowohl neurobiologische Funktionen als auch die mentale Gesundheit beeinflussen kann. In den aktuell untersuchten Fällen variierte das Mikrobiom im Mund- und Rachenraum deutlich, je nach psychischer Verfassung.
Tatsächlich ließ sich bei Frauen, die stark unter Ängsten oder depressiven Beschwerden litten, eine hohe „Alpha-Diversität“ nachweisen: Ihre Proben wiesen vergleichsweise viele Mikrobenarten auf – in ähnlichen Mengen. Eine veränderte „Beta-Diversität“ war wiederum typisch für Frauen mit ausgeprägten PTBS-Symptomen: In ihrem Speichel fanden sich spezifische Mikroben; allerdings andere Arten als in Proben jener Frauen mit nur schwachen PTBS-Symptomen.
Eine schlechte psychische Gesundheit, Stress, Ängste oder Depressionen beeinflussen demnach, in welchen Konzentrationen bestimmte Mikrobenarten im Speichel vorkommen. Während bei Frauen generell die diverse Gruppe der Firmicutes dominiert, ändert sich das mit der Schwangerschaft: In der Mundhöhle von gesunden Schwangeren tummeln sich mehr Proteobakterien, die im Verdacht stehen, die Bluthirnschranke für Keime durchlässiger zu machen und somit zu Entzündungsreaktionen zu führen.
Diese Mikroben florieren geradezu bei akutem Stress, wohingegen sogenannte Spirochaeten vermehrt bei stark depressiven Frauen zu finden waren. Vertreter der Bakteriengattung Dialister sind häufig, wenn Schwangere unter Ängsten oder Depressionen litten. Und auch die Gattung Eikenella ging mit Ängsten, Depressionen oder PTBS einher.
All diese Daten bieten den US-Forschern zufolge eine Chance, künftig auf sanfte Weise einzugreifen: Ihre Ergebnisse würden andeuten, dass sich das psychische Wohlbefinden während einer Schwangerschaft mithilfe von Mikroorganismen verbessern ließe. Und zwar nicht nur durch die probiotische Behandlung des Darmmikrobioms von Müttern, wodurch sich in Studien bereits erfolgreich Ängste und Depressionen lindern ließen.
Auch das Mikrobiom im Mund- und Rachenraum hängt offenbar eng mit der psychischen Gesundheit zusammen, aber auf andere Weise als die Darmflora. Deshalb plädiert das Team aus Michigan nun dafür, künftig das Oralbiom in entsprechenden Studien einzubeziehen – und dieses gezielt zu unterstützen: durch Ernährungsumstellung, bessere Mundhygiene und probiotische Mittel. Gestresste oder mental belastete Schwangere könnten profitieren – und ihre Babys.
Als Ressortleiterin ist Sonja Kastilan dem „Wissen“ verschrieben – und verfolgt Themen aus Medizin und Lebenswissenschaften: von Aids über Evolutionsbiologie und Genanalysen hin zu Stammzellen und Zika.