Streit um EU-Mitgliedschaft: Auf der Straße und in Briefen – Proteste gegen europafeindlichen Kurs in Georgien

Die Proteste gegen den EU-feindlichen Kurs der georgischen Regierung gehen weiter – trotz Repressionen. Am Freitagabend versammelten sich Tausende Befürworter eines Beitritts zur Europäischen Union vor dem stark gesicherten Parlament in Tiflis.

Polizei und Spezialkräfte waren sichtlich auf einen Großeinsatz vorbereitet. Wasserwerfer standen im Stadtzentrum bereit. Im Laufe des Abends wurden sie ebenso eingesetzt wie Tränengas.

Die amtierende Präsidentin Salome Surabischwili, eine erklärte Gegnerin Kobachidses, erklärte in einer Fernsehansprache ihre „Solidarität“ mit der „Widerstandsbewegung“. „Wir werden zusammenhalten, bis Georgien seine Ziele erreicht hat: Rückkehr auf den europäischen Weg und Neuwahlen“, sagte Surabischwili.

Angesichts der Meldungen über gewaltsames Vorgehen der georgischen Behörden rief Frankreich die Regierung in Tiflis auf, das „Recht auf friedliche Proteste„ zu respektieren. In der Erklärung des Außenministeriums in Paris hieß es weiter, Frankreich werde „starke Verbindungen zur georgischen Bevölkerung aufrecht erhalten und ihre europäischen Bestrebungen, die nicht verraten werden dürfen, weiterhin unterstützen“.

Bereits in der Nacht auf Freitag waren bei Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei in Tiflis Regierungsangaben zufolge Dutzende Menschen festgenommen worden. Wenige Stunden zuvor war Kobachidse vom Parlament erneut im Amt bestätigt worden. Wie ein Journalist der Nachrichtenagentur AFP berichtete, schlug die Polizei in Tiflis auf friedlich protestierende Teilnehmer ein. Zudem setzte sie Gummigeschosse, Tränengas und Wasserwerfer ein.

Nach Angaben des Innenministeriums wurden in der Nacht 43 Menschen „wegen Missachtung polizeilicher Anordnungen“ und Vandalismus festgenommen. 32 Polizisten seien durch die „illegalen und gewaltsamen Aktionen“ der Demonstranten verletzt worden.

Zwei Oppositionspolitikerinnen des Bündnisses für den Wandel, Elene Choschtaria und Nana Malaschchia, wurden bei den Ausschreitungen verletzt. Choschtaria erlitt einen Armbruch, Malaschchia wurde die Nase gebrochen, wie das Oppositionsbündnis erklärte. Dem georgischen Ableger des PEN Zentrums zufolge war der bekannte georgische Dichter Zviad Ratiani unter den Festgenommenen. Laut georgischen Medien wurden auch mehrere Journalisten festgenommen.

Der Europarat warf den georgischen Sicherheitskräften eine „brutale Unterdrückung“ der Demonstranten vor und forderte Georgien auf, „den europäischen Werten treu zu bleiben“.

Die pro-europäische Präsidentin Salome Surabischwili hatte das neue Parlament wegen der Betrugsvorwürfe als verfassungswidrig eingestuft und das Wahlergebnis vor dem Verfassungsgericht angefochten. Rechtsexperten zufolge sind die Beschlüsse des neuen Parlaments ungültig, solange das Gericht nicht über Surabischwilis Antrag entschieden hat. Etwa 90 georgische Diplomaten kritisierten ebenfalls Kobachidses Ankündigung, die weitere EU-Integration des Landes zurückzustellen.

Die pro-russische Regierungspartei Georgischer Traum hatte am Donnerstag der EU Erpressung und das Schüren von Unruhen vorgeworfen und die Verhandlungen über einen EU-Beitritt bis 2028 ausgesetzt. Das Land im Südkaukasus mit seinen 3,7 Millionen Einwohnern hat aber das Ziel eines EU-Beitritts in seiner Verfassung verankert.

Über hundert georgische Diplomaten protestierten in einem offenen Brief gegen das Aussetzen der Gespräche. Sie bezeichneten die Entscheidung als verfassungswidrig, sagte ein Diplomat. Auch Mitarbeiter im Verteidigungs-, Bildungs- und Justizministerium bezogen Stellung gegen die Entscheidung der Regierung. Eine Reihe von Privatuniversitäten erklärte, dass sie angesichts der Unruhen den Studienbetrieb aussetzen. Wirtschaftsverbände forderten die Regierung auf, ihre Haltung zu überdenken. Bereits Donnerstagnacht hatten Tausende Menschen gegen den Regierungsbeschluss protestiert, es kam zu Zusammenstößen mit Sicherheitskräften.

Seit Monaten verschlechtern sich die Beziehungen zwischen EU und georgischer Regierung. Der Georgische Traum hat in diesem Jahr Gesetze gegen sogenannte ausländische Agenten verabschiedet und die Rechte queerer Personen eingeschränkt. Das hat die EU-Kommission verprellt. Damit sollten traditionelle Werte Georgiens geschützt werden, hatte die Partei erklärt.

Laut Beobachtern wird der Georgische Traum vom Milliardär und ehemaligen Ministerpräsidenten Bidzina Iwanischwili gelenkt.