
Jan Langrehr kommt gerade aus dem Operationssaal, als er ans Telefon geht. Vorbeihuschenden Medizinern ruft er Anweisungen zu: einen Abstrich hier bitte, ein Röntgenbild dort. Ab und zu verschwindet er aus der Leitung. Langrehr ist Facharzt für Gefäßchirurgie in Berlin und seit Kurzem auch neuer Vizepräsident eines olympischen Verbands, der monatelang auf der sportpolitischen Intensivstation lag und dringend einen Reha-Urlaub vertragen könnte: der Deutsche Verband für Modernen Fünfkampf (DVMF).
Seit dem vergangenen Jahr tobte im DVMF ein Machtkampf zwischen zwei Lagern, der den Verband zwischenzeitlich sogar die Bundesförderung kostete. Ob sich das nun ändern könnte? „Ja“, sagt Langrehr, für die Zukunft sei er „vorsichtig optimistisch“. In ihm und Lutz Keister, dem zweiten neuen Vize, hatten beide Seiten auf einem außerordentlichen Verbandstag am 7. September je einen Vertreter aus den eigenen Reihen abgestellt für eine Kompromisslösung, um den internen Zank ein für alle Mal zu beenden. Sie sollten den Verband als neuer Vorstand wieder in ruhigere Zeiten führen.

:Neues aus der Schlangengrube
Für den Modernen Fünfkampf in Deutschland geht es um die Existenz, doch im Verband wird weiter gestritten: über blockierte Wahlen, fragwürdige Beschlüsse, strittige Kaderlisten – und den nächsten drohenden Streit.
Doch geräuschlos geht der vermeintliche Neustart nicht über die Bühne – auch wenn sich die neue Führungsspitze genau das wünschen würde. Noch immer knackt und knirscht es in einigen Winkeln des Fünfkampfs. Der Vorsitzende des bayerischen Landesverbands, Olaf Kleidon, kritisiert die neue Führung und möchte das Ergebnis des Verbandstags anfechten lassen: „Das, was da gerade im deutschen Verband passiert, ist Korruption durch und durch“, poltert Kleidon; die aktuellen Entwicklungen werde er nicht hinnehmen.
Kleidon war in den vergangenen Monaten schon Teil des Machtkampfes gewesen – als Vorsitzender des Rechtsausschusses. Nun fordert er seit Anfang Oktober, die Nichtigkeit aller Beschlüsse festzustellen, die auf dem Verbandstag gefasst worden waren. Also auch die Wahl von Langrehr und Keister. Begründung: Es seien grundlegende Verfahrensfehler und Satzungsverstöße begangen worden. Der neue Vorstand weist das zurück. Das Amtsgericht Darmstadt, wo der Verband registriert ist, befindet den neuen Vorstand auf SZ-Anfrage ebenfalls für „ordnungsgemäß gewählt“.
Sollte der Streit vor ein ordentliches Gericht gehen, droht dem Verband die Insolvenz
Kleidon hingegen schlägt trotzdem markige Töne an. Die momentane Situation sei eine „konkrete Gefährdung der sportlichen Zukunft seiner Athletinnen und Athleten“, heißt es im Schreiben, das er an den DVMF geschickt hatte. Da dort nach seiner Aussage jedoch noch niemand auf den Einspruch reagiert habe, schließt er nicht aus, bald vor ein ordentliches Gericht zu ziehen. Sollten die Ergebnisse vom 7. September tatsächlich für nichtig erklärt werden, wie Kleidon es fordert, dann stünde der DVMF zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres ohne Vorstand da.
Im Mai, als das letztmals der Fall war, hatte das Amtsgericht einen Notvorstand eingestellt – ein zweites Mal wird es das wohl nicht tun. „Der nächste Notvorstand wäre dann mit der Abwicklung und Löschung des Verbands beschäftigt“, erklärt der damals eingesetzte Notvorstand Leonard Langenkamp. Bedeutet: Wenn es mit der neuen Führung nicht funktioniert, droht dem Verband die Insolvenz.
Ein Szenario, das Jan Langrehr tunlichst vermeiden möchte: „Wir versuchen jetzt, das alles zu beruhigen und die Streitigkeiten hinter uns zu lassen“, sagt er. Seit einer Woche sind Langrehr und Keister, beide kommen aus Berlin, offiziell im Vereinsregister eingetragen. Nach einigem Hin und Her haben sie mittlerweile Zutritt zur Geschäftsstelle in Darmstadt, sprachen jüngst zum Amtsantritt beim Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) vor. Er könne zwar in keine Glaskugel schauen, doch er habe das Gefühl, „die Gesprächsbereitschaft im zerrütteten Verband steigt seit einigen Wochen wieder“, meint Langrehr.
Die Sportler wollen sich rasch auf die Vorbereitung für die Sommerspiele 2028 konzentrieren
Bei einigen Bundesathleten bleibt diese Aufbruchstimmung jedoch noch aus. Der neue Vorstand sei „der Untergang des Fünfkampfs in Deutschland“, befindet eine Kader-Athletin aus Brandenburg, die in Anbetracht der Streitigkeiten anonym bleiben möchte. Ein WM-Teilnehmer, der ebenfalls ungenannt bleiben will, schlägt ähnliche Töne an: „Ich bin nicht wirklich positiv gestimmt, dass hier etwas entsteht“, sagt er. Er gebe der neuen Führung natürlich Zeit, mahnt jedoch, Langrehr und Keister müssten nun schleunigst handeln, um den Sportlern wieder einen normalen Trainings- und Wettkampfbetrieb zu ermöglichen. So wie bei den Funktionären hat sich aber auch bei den Athleten eine Lagerbildung gezeigt; manch einer ist auch einverstanden mit dem neuen Kurs.
Allen ist aber klar, dass jetzt rasch etwas passieren muss. Schließlich hat der deutsche Fünfkampf in Vorbereitung auf die Olympischen Spiele in Los Angeles 2028 das vergangene Jahr mit seiner Streiterei komplett verschenkt – die Athleten waren in den Hintergrund geraten, das Geld fehlte, Training und Wettkämpfe fielen aus.
Dass sich das ändern muss, wissen auch Jan Langrehr und Lutz Keister. So wollen sie die Kooperation mit den Landesverbänden und deren Trainern intensivieren – zuletzt gab es einen Videocall, in dem der Großteil der Landesverbände dem neuen Duo nochmal das Vertrauen aussprach – und den Verband Stück für Stück wieder auf Strecke bringen. Aber nicht mit Hauruck, sondern mit „ruhiger Hand“, wie sie sagen.