Stories of Surrender“ über Ego und Erfolg

Schwarze Jeansjacke, getönte Brille, die Haare zurückgekämmt: Bono betritt das Hotelzimmer in Cannes genau so, wie man ihn vor Augen hat. Der Sänger der irischen Band U2 ist gut gelaunt; gerade hat er sein Konterfei auf dem Wende­cover eines Filmmagazins entdeckt. „Ich bin Scarlett Johanssons B-Seite“, lacht er mit Blick auf den Hollywoodstar, der auf der eigentlichen Titelseite zu sehen ist. Zu den Filmfestspielen in Südfrankreich ist der Ire gekommen, um den Konzertfilm „Bono: Stories of Surrender“ vorzustellen. Er komme gerade aus Amsterdam, berichtet er, wo er mit zwei seiner Kinder seinen 65. Geburtstag gefeiert hat.

Bono, vor ein paar Jahren veröffentlichten Sie Ihre Autobiographie „Surrender – 40 Songs, eine Geschichte“. Nun gibt es mit „Bono: Stories of Surrender“ den Film dazu, für den Sie sich bei Ihrer Buch-Tour oder besser gesagt One-Man-Show filmen ließen. Hier wie dort werden Sie sehr persönlich und teilen private Geschichten aus Ihrem Leben. Was hat Sie dazu veranlasst?

Wenn man berühmt wird, fängt man an, sich über die Jahre eine Art Panzer zuzulegen. Die volle Montur: Rüstung, Schild, Schwert. Das braucht man, wenn man unbeschadet diesen Irrsinn überstehen will. Aber natürlich wiegt das schwer, und irgendwann wird es geradezu zu einer Pflicht, diese Rüstung auch mal wieder komplett abzulegen. Ich wollte mich verletzlich machen, und das hatte etwas sehr Befreiendes.

Ging es Ihnen auch darum, sich selbst besser zu verstehen?

Da ist sicherlich etwas dran. Ich habe immer geglaubt, dass meine Persönlichkeit und mein Charakter vor allem geprägt wurden durch die Bücher, die ich zeitlebens verschlungen habe, Romane, politische Manifeste. Aber irgendwann habe ich mir eingestanden, dass die zwischenmenschlichen Beziehungen, gerade die der Kindheit, viel mehr Einfluss haben auf einen Menschen, als es jeder Text je könnte. Fast alles, was ich in meinem Leben getan habe, war ein Versuch, meinen Vater zu beeindrucken. Nicht zuletzt all meine Weltverbesserungsambitionen. Und wenn ich mich frage, warum ich eigentlich Sänger geworden bin, lautet die Antwort doch ganz schlicht: weil ich das Loch zu füllen versucht habe, das entstand, als meine Mutter mich verlassen hat.

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Ihre Mutter starb, als Sie 14 Jahre alt waren.

Stimmt, aber in dem Alter fühlt sich das an, als sei man verlassen worden. Und es gibt kaum ein schlimmeres Gefühl als diesen Schmerz, glaube ich. Nicht umsonst gibt es diesen legendären, auch von Van Morrison gesungenen Song „Sometimes I Feel Like a Motherless Child“.

War die Auseinandersetzung mit Ihren Eltern also der wichtigste Grund, das Buch zu schreiben?

Einerseits ja. Aber andererseits ging es mir auch darum, eine Sprache zu finden für meinen Glauben. Religion spielt in meinem Leben seit jeher eine große Rolle, und ich wollte davon ausgehend einen Dialog eröffnen mit der Kunst, der Musik und den lang andauernden Beziehungen in meinem Leben. Womit wir dann bei meiner Frau sind; letztlich ist das Buch eine Liebeserklärung an sie.

Haben Sie durch die intensive Beschäftigung mit dem eigenen Leben für das Buch und die Show etwas Neues gelernt über sich selbst?

Dass ich tief in meinem Innersten eine oberflächliche Person bin (lacht). Aber im Ernst, das Herz ist trügerisch über alle Maßen. Und besonders trügerisch ist der Performer. Deswegen läuft zum Abspann des Films der U2-Song „The Showman (Little More Better)“: „The showman gives you front row to his ­heart / The showman prays his heart­ache will chart.“ Aber meine Lieblingszeile in dem Song ist eine, die ich mir bei meinem guten Freund Jimmy Iovine, dem Gründer von Interscope Records, gemopst habe: „Ich habe gerade genug Selbstbewusstsein, um dort anzukommen, wo ich hinwill.“ Vermutlich ist das für mich die größte Erkenntnis mit Blick auf mich selbst gewesen: dass all die Unsicherheit, die ich mein Leben lang nie abgelegt habe, nicht Grund zum Frust ist, sondern im Gegenteil der Motor, der mich am Laufen hält. In diesem Sinne ist Unsicherheit eigentlich die größte Sicherheit, die man als Künstler haben kann.

„Wenn man die Chance hat zu hoffen, dann muss man es tun“: Bono während der Promo-Tour für „Stories of Surrender“
„Wenn man die Chance hat zu hoffen, dann muss man es tun“: Bono während der Promo-Tour für „Stories of Surrender“Reuters

Nach all den Jahren erleben Sie noch Momente der Verunsicherung?

Klar, gerade auf der Bühne. Ich singe quasi gegen mein Unbehagen an. Deswegen werde ich immer besonders nervös, wenn ich irgendwo auftreten muss, ohne zu performen. Ich bin nun einmal kein Schauspieler; ich brauche die Musik und das Mikrofon. Die Aussicht, den Film über mein Schaffen hier in Cannes zu präsentieren, behagte mir gar nicht. Meine Tochter Eve, die Schauspielerin ist, hat mir dann ins Gewissen geredet und mich daran erinnert, dass ich schon ganz andere Auftritte gemeistert habe.

Eve ist das zweite Ihrer vier Kinder. Haben Sie in der Beziehung zu ihnen bewusst daran gearbeitet, ein anderes Verhältnis zu etablieren als das komplizierte, das Sie zu Ihrem Vater hatten?

Tatsächlich war das etwas, worauf ich immer sehr bewusst geachtet habe, und ich hoffe, es ist mir gelungen. Letztlich habe ich mit allen vieren im Laufe ihres Heranwachsens das gleiche Gespräch geführt und ihnen aufgezeigt, wie ein typisches Vater-Kind-Verhältnis aussehen könnte: Man gerät aneinander und verliert den Bezug, spricht eine Weile nicht miteinander oder sagt nur das absolut Nötigste. Irgendwann, meistens dann, wenn die Enkelkinder ins Spiel kommen, findet man im Idealfall wieder zusammen. So habe ich das mit meinem Vater erlebt und dutzendfach in der Nachbarschaft gesehen. Mein Vorschlag an meine Kinder war, all diese Zwischenschritte zu überspringen und von Anfang an auf Nähe, Herzlichkeit und gute Kommunikation zu setzen. Zu meiner Freude fanden sie das eine gute Idee.

Im Film sprechen Sie viel von Hoffnung, nicht nur mit Blick auf die eigene Familie, sondern weit darüber hinaus. Ihren Drang zum Verbessern der Welt haben Sie ja bereits erwähnt. Aber viel Optimismus ist da aktuell nicht geboten, oder?

Die albanische Politikwissenschaftlerin und Autorin Lea Ypi sagt: Wenn man die Chance hat zu hoffen, dann muss man es tun. Hoffnung als moralische Verpflichtung! Gerade, da sich viele Menschen eben gar keine Hoffnung erlauben können.

Ihre Erinnerungen stehen unter dem Motto „Surrender“, also „Ergeben“.

Ergeben! Was für ein groteskes Wort in einer Zeit, in der unsere Welt entschlossen scheint, sich selbst in Brand zu setzen. Wir stehen so kurz vor einem Weltkrieg wie nie zuvor zu meinen Lebzeiten, und ich rede über Gewaltlosigkeit. Glauben Sie mir, ich weiß, wie lächerlich die weiße Flagge aussehen kann. Das war nicht anders, als wir sie damals auf der „War“-Tour buchstäblich auf der Bühne schwenkten zu „Sunday Bloody Sunday“.

Damals war Ihre irische Heimat nicht weit von einem Bürgerkrieg entfernt.

Ganz genau. Aber instinktiv – und sicherlich naiv – wussten wir als Band, dass Gewaltverzicht der einzig richtige Weg ist. Ich hatte John Lennon im Ohr, Martin Luther King und Joan Baez. Am Ende war es tatsächlich die Gewaltlosigkeit, die in Irland den Frieden gebracht hat. Das sollte man dieser Tage nicht vergessen, wo viele den Gedanken daran erneut absurd finden und eher das Gegenteil im Sinn haben. Allerdings habe ich den Eindruck, dass das Strecken der Waffen aktuell deutlich weniger abwegig erscheint als noch vor zwei Jahren. Viele Ukrainer wären inzwischen sicherlich froh, nicht mehr kämpfen zu müssen. Und die Hamas zwingt zahlreiche Menschen dazu, sich diesem religiösen Extremismus zu verschreiben, der nicht an Frieden interessiert ist. Dabei heißt doch das Wort Islam übersetzt „Ergebung“. Manche verstehen das als „Unterwerfung“. Aber für mich bedeutet das, sich Gott hinzugeben, was Hand in Hand mit einem Verzicht auf Gewalt einhergeht.

„Es ist leichter, die Welt zu verändern als die Welt in sich selbst“: Bono mit Präsident Joe Biden, der ihm die „Presidential Medal of Freedom“ verleiht
„Es ist leichter, die Welt zu verändern als die Welt in sich selbst“: Bono mit Präsident Joe Biden, der ihm die „Presidential Medal of Freedom“ verleihtLaif

Von Ihnen stammt aber auch die Aussage, dass das Ergeben besonders schwerfällt, wenn man – wie Sie – ein Kämpfer ist und praktisch schon mit erhobenen Fäusten geboren wurde. Wann kommt der Kämpfer in Ihnen heute noch durch?

Zum Glück habe ich es zu Hause in Irland nicht mehr mit paramilitärischen Einheiten zu tun wie in meiner Jugend. Heute ist, das habe ich irgendwann begriffen, mein größter Gegner die eigene Scheinheiligkeit. Und das Ego.

An Letzterem hat es Ihnen nie gemangelt, hatte man den Eindruck.

Ich finde es auch nicht verwerflich, ein gewisses Ego zu haben. Im Gegenteil. Aber man sollte immer an sich und seinem Ego arbeiten, sich hinterfragen und offen bleiben. Mit 22 Jahren habe ich geglaubt, dass ich nicht die Welt verändern kann, lediglich die Welt in mir selbst. Heute denke ich dagegen, dass es leichter ist, die Welt zu verändern als die Welt in sich selbst.

Da sind wir wieder bei Bono, dem Weltverbesserer. Für diesen Anspruch wurden Sie immer auch verlacht. Haben Sie mit Ihrem Engagement dem eigenen Image und womöglich dem Erfolg von U2 auch geschadet?

Keine Frage, immer wieder. Aber das ist okay, das gehört dazu. Ich habe die Band genauso wie unser Publikum immer wieder bis zum Äußersten strapaziert. Eine Bühne mit George W. Bush zu teilen, als der gerade dabei war, im Irak einzumarschieren – das brachte mir und U2 nicht gerade Pluspunkte ein.

Bereuen Sie es, mit Bush gemeinsame Sache gemacht zu haben?

Nein, kein bisschen. Denn ich habe dazu beitragen können, die damals größte Gesundheitsintervention in der Medizingeschichte ins Leben zu rufen. PEPFAR, der President’s Emergency Plan for AIDS Relief, hat im Kampf gegen HIV und AIDS bis heute 26 Millionen Menschen das Leben gerettet. Das war es wert, Bush nicht auf offener Bühne für andere Aspekte seiner Politik zu kritisieren. Auch wenn ich unter vier Augen darüber durchaus offen mit ihm gesprochen habe.

Präsident Trump hat nun PEPFAR bei Beginn seiner neuen Amtszeit so gut wie abgeschafft . . .

Es ist entsetzlich, mit welcher Leichtigkeit und offenkundigen Freude dieser Imperator diese lebenserhaltenden Maßnahmen durchtrennt hat. Und dass mit Elon Musk nun ein reicher, weißer Südafrikaner mitverantwortlich dafür ist, ob die ärmsten schwarzen Kinder in Südafrika ihre antiretroviralen Medikamente bekommen. Das hat schon etwas von einer Rückkehr der Apartheid, muss ich sagen. Ich würde Musk gerne vor Augen führen, was wir im Kampf gegen AIDS alles erreicht haben. Jetzt die Maßnahmen abzuschaffen, ist in etwa so, als sei man unterwegs zum Mars und würde kurz vor der Ankunft wieder umkehren. Völlig bescheuert. Ich fürchte wirklich, dass am Ende von Trumps Präsidentschaft eine Million Kinder gestorben sein werden, deren Tod man durch das Beibehalten von Programmen wie PEPFAR hätte verhindern können. Sie sehen schon: Ich kann es nicht lassen, den Mund aufzumachen. Dabei sollten wir doch eigentlich über den Film sprechen.

Wir können zum Abschluss ja noch einmal den Bogen zurück schlagen. Hoffen Sie, dass auch junge Zuschauer bei „Bono: Stories of Surrender“ einschalten und so vielleicht zum ersten Mal die Musik von U2 hören?

Das war nicht das Ziel des Films, es würde mich aber sehr glücklich machen, wenn es einige unserer Songs auch in Zukunft in die Playlists von Menschen schaffen würden, die uns neu für sich entdecken. Aber ich habe meinen Frieden damit gemacht, dass U2 es sicherlich nie wieder in die Radiocharts schaffen wird.

Zur Person

Geboren am 10. Mai 1960 als Paul David Hewson in Dublin.

Während seiner Schulzeit erhielt er den Spitznamen Bono Vox (lateinisch für „gute Stimme“); gekürzt machte er ihn zum Künstlernamen.

Populär wurde die Band U2, die Bono mit drei Freunden gegründet hatte, in den Achtzigerjahren; zu den zahlreichen Hits zählen „Pride (In the Name of Love)“, „Sunday Bloody Sunday“, „With or Without You“, „Beautiful Day“.

Seit 1982 ist er mit Alison Hewson verheiratet; zwei Töchter und zwei Söhne, einer von ihnen, Elijah Hewson, ist ebenfalls Musiker.

„Bono: Stories of Surrender“ ist ab 30. Mai bei AppleTV+ zu sehen.